Wir können es schöner haben
– und gesünder!
– Für eine neue
Klimakommunikation
Kerstin Blum und Eckart von Hirschhausen

„Research shows that showing people research
doesn’t work“

Eigentlich wissen wir genug. Unser kollektives Verhalten in der Klimakrise ähnelt der Situation, nachts mit voller Blase aufzuwachen. Wir wissen, was zu tun ist. Wir wissen, dass es von allein nicht besser wird. Aber wir stellen uns schlafend, in der Hoffnung, dass sich die Probleme irgendwie durch Ignorieren auflösen. Tun sie nicht. Was hilft: Aufwachen, Augen auf – und Handeln.

Die Erkenntnis, dass der Mensch dramatische Veränderungen des Klimas und der Ökosysteme unseres Planeten verursacht, ist nicht neu. Bereits 1972 hat der Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“ abgesteckt (Meadows 1972), NASA-Wissenschaftler Dr. James E. Hansen hat 1988 im US-Kongress über den menschengemachten Klimawandel berichtet (New York Times 1988), spätestens 2009 haben die Expert:innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) das Konzept der planetaren Grenzen und der Kipppunkte, nach deren Erreichen die Welt nie wieder wird wie zuvor, ausführlich beschrieben (Rockström et al. 2009). Und trotzdem ist die Auseinandersetzung mit der Klimakrise für viele erst wirklich real geworden, seit ein schwedisches Mädchen am 20. August 2018 begonnen hat, zu streiken, statt zur Schule zu gehen. Greta Thunberg hat mit Fridays for Future eine globale Bewegung gestartet und die Welt aufgerüttelt. Und als die Jugendlichen bezichtigt wurden, nur die Schule zu schwänzen und aufgefordert wurden, die Politik den „Profis“ zu überlassen, reagierten die Profis aus der Wissenschaft. 28.000 haben bei „Scientists for Future“ klargemacht, dass die Sorgen um die Zukunft völlig berechtigt sind und wir unsere Lebensgrundlage nur durch schnelles politisches und gesellschaftliches Handeln bewahren können.

Die Klimakrise als „wicked problem“ – warum wir schwer ins Handeln kommen

Warum hat es so lange gedauert, bis wir begonnen haben, auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Krise zu reagieren? Und warum fällt es bis heute so vielen Menschen schwer, zu einer klaren eigenen Haltung und zum Handeln zu kommen? „Research shows that showing people research doesn’t work“ – diese prägnante Zusammenfassung stammt von Dr. John Sterman von MIT Sloan and Climate Interactive (Climate Interactive 2016). George Marshall, der Gründer von Climate Outreach, hat in seinem Buch „Don’t even think about it. Why our brains are wired to ignore climate change“ eine ausführlichere Antwort geliefert (Marshall 2014). Die Klimakrise ist ein Problem, das allen Mechanismen widerspricht, die die Evolution uns mitgegeben hat, um Gefahren zu begegnen. Wenn unser Haus brennt, rennen wir sofort raus und geben alles, um unsere Angehörigen und sogar Fremde zu retten. Wenn unser Haus aber langsam immer heißer und lebensfeindlicher wird, springt unser instinktives Überlebenssystem nicht im gleichen Maße an.

Die Klimakrise ist ein Problem, das allen Mechanismen widerspricht, die die Evolution uns mitgegeben hat, um Gefahren zu begegnen.

Die Gefahr ist höchst komplex, es gibt keinen richtigen Gegner – wir selbst sind Opfer und Verursacher der Krise zugleich. Kein Wunder, dass wir uns schwertun, angemessen zu reagieren. Die Klimakommunikation der letzten 30 Jahre, die das Thema als Wissenschafts- oder Technikthema, als Thema von Eisbären oder fernen Ländern behandelt hat, hat uns nicht aus der kollektiven Lethargie reißen können. Dafür brauchte es Jugendliche, die die Krise als ihre eigene erkannt haben: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ Und plötzlich war es deutlich schwerer, wegzuschauen, erst recht für alle, die selbst Kinder haben.

Kerstin Blum

Kerstin Blum ist Geschäftsführerin der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen, die sie seit 2019 zusammen mit dem Gründer Eckart von Hirschhausen aufbaut. Zudem entwickelt sie als Senior Project Manager der Berliner Konzept- und Beteiligungsagentur Die BrückenKöpfe Strategien zum Thema „Nachhaltigkeit im deutschen Gesundheitswesen“. Sie greift zurück auf mehr als 15 Jahre Erfahrung im gesundheitspolitischen Umfeld mit wechselnden Perspektiven: als Mitarbeiterin im Bundestagsbüro, als Projektmanagerin bei der Bertelsmann Stiftung und als Abteilungsleiterin eines großen Krankenkassenverbandes

Prof. Dr. med. Eckart von Hirschhausen

Eckart von Hirschhausen ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftungen Humor Hilft Heilen (2008) und Gesunde Erde – Gesunde Menschen (2020). Er studierte Medizin und Wissenschaftsjournalismus in Berlin, London und Heidelberg. Als Mitgründer der „Scientists für Future“ engagiert sich Hirschhausen dafür, Klimaschutz als Gesundheitsschutz in Gesundheitswesen, Gesellschaft und Politik zu verankern. In der ARD moderiert er „Hirschhausens Quiz des Menschen“, „Wissen vor Acht – Erde“ und Reportagen. Durch seine millionenfach verkauften Bücher, darunter sein aktuelles Buch „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“ (2021), wurde er einer der erfolgreichsten Sachbuch-Autoren Deutschlands. Seit 2018 ist Eckart von Hirschhausen Chefreporter der Zeitschrift „Hirschhausen STERN Gesund leben“. Sein Live-Bühnenprogramm „Endlich“ beendet er im März 2023, um sich noch stärker der Arbeit mit „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ zu widmen. Eckart von Hirschhausen ist Ehrenmitglied der Charité, Honorarprofessor der Universität Marburg, „Freund der Pflege“ des Deutschen Pflegerats, Botschafter für „Globale Gesundheit“ des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit im Rahmen der Agenda 2030 und des World Health Summit, Mitglied im Nachhaltigkeitsbeirat NRW, Mitglied Deutsche Gesellschaft CLUB OF ROME e.V., und hat u.a. den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wissenschaftsjournalismus erhalten.

Die Last der Verantwortung und die Chance für Veränderung

Heute, nach vielen verschenkten Jahren, in denen wir hätten handeln müssen, sieht es düster aus. Schon der Bericht des Weltklimarates 2021 hat gezeigt: Der Klimawandel kommt noch schneller als befürchtet. Wir haben bereits im letzten Jahrzehnt eine Erwärmung um 1,1 Grad Celsius erreicht und unser Budget an Treibhausgas, das wir noch ausstoßen dürfen, um unter 1,5 Grad zu bleiben, ist noch geringer als gedacht (IPCC 2021). Die Folgen sind immer deutlicher sichtbar, Berichte über weltweite Hitzesommer, Dürren, Überflutungen und Hurrikans überschlagen sich. Uns gehen die Superlative aus, ständig ist von „Jahrhundertereignissen“ die Rede, obwohl dieses Jahrhundert gerade erst angefangen hat. Das Ziel der Weltgemeinschaft, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu beschränken, ist nur noch mit großer Anstrengung zu erreichen. Eine internationale Forschergruppe um Johannes Rockström, den Direktor des PIK, hat allerdings gerade noch einmal deutlich gemacht, dass „1,5 Grad“ kein willkürliches Ziel ist, sondern ein echtes planetares Limit (Armstrong McKay et al 2022). Geben wir dieses Ziel auf, ist das Überschreiten von Kipppunkten mit drastischen Veränderungen unseres Erdsystems nicht mehr zu stoppen – die Welt wird eine andere, gefährlicher, ungerechter, mit kaum absehbaren Krisen. Doch noch sind die katastrophalen Folgen abwendbar, wenn der Klimaschutz schnell greift.

Wir befinden uns an einer Weggabelung. Wir haben das Wissen und kennen die Anpassungsmaßnahmen, mit denen wir die Erderwärmung begrenzen können. Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können uns eine Zukunft sichern“ (Hoesung Lee, IPCC 2022)

Wir alle tragen gerade eine ungeheure Verantwortung. Dieses Jahrzehnt entscheidet über die nächsten 10.000 Jahre, darüber ob wir das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen. In Anbetracht der Größe der Herausforderung, die vor uns liegt, möchte man manchmal am liebsten weghören, wegschauen, das Buch zur Seite legen. Und die parallelen Krisen von Pandemie, Krieg und Gesundheitswesen machen es nicht einfacher, die übergeordnete Überlebensfrage nicht aus dem Auge zu verlieren. Aber gerade jetzt braucht es jeden „Profi“, jeden Laien, alle Bürgerinnen und Bürger, die sich informieren, hinschauen, sich eine Meinung bilden, diese äußern und politisches Handeln einfordern. Nur so können politische Mehrheiten für die notwendigen Veränderungen entstehen!

Wir brauchen ein Narrativ des positiven Wandels

Wie erreichen wir nun die Menschen – auch immer wieder uns selbst – mit der Botschaft, dass wir handeln müssen? Wie motivieren wir für Veränderung, für Lösungen, für Innovation? Das Projekt „More in Common“ forscht dazu, wo die Klimakrise Gesellschaft eint, und wo sie sie spaltet. Es betrachtet die Bevölkerung Deutschlands in sechs Gruppen, von den „Offenen“ und den „Involvierten“ bis hin zu den „Enttäuschten“ oder den „Wütenden“. Einigkeit gibt es mittlerweile bei der Problemdiagnose: Weite Teile der Bevölkerung (80 Prozent) machen sich Sorgen über den Klimawandel. Und auch die Zukunft der Artenvielfalt, der Landschaften sowie der Meere und Ozeane treibt die Menschen in allen Teilen der Gesellschaft um (Gagné u. Krause 2021, S. 10). 71 Prozent erwarten von der Politik einen umfassenden Plan, der zügig umgesetzt werden soll. Doch obwohl die allermeisten Menschen über mehr Klimaschutz nachdenken und das Thema verbindendes Potenzial hat, nehmen 80 Prozent der Befragten die öffentliche Klimadebatte häufig als spaltend wahr und meiden oft Gespräche über Klimathemen im privaten Umfeld (Gagné u. Krause 2021, S. 40). Denn bei der konkreten Diskussion über Maßnahmen zum Klimaschutz prallen Interessen aufeinander, werden komplexe technischen Lösungen hin und her diskutiert, dominieren die Interessen von Lobbygruppen den öffentlichen Diskurs. Dabei wünscht sich die große Mehrheit der Menschen Veränderung und eine echte Anstrengung für den Klimaschutz – solange alle Teile der Gesellschaft nach ihren Möglichkeiten beitragen und der Wandel im Inland wie auch international „fair“ gestaltet wird (Melloh et al. 2022, S. 29f.).

Auch mit allen Herausforderungen und Limitationen: Die Menschheit hat bewiesen, dass sie größte Herausforderungen verstehen, akzeptieren und mit einer einzigartigen Fähigkeit zu gemeinsamem sozialem Handeln lösen kann. Eine Vielzahl von neuen wissenschaftlichen Arbeiten aus verschiedensten Disziplinen belegt genau diese Fähigkeit zur Kooperation und Gemeinwohlorientierung (z.B. Rosling et al. 2018; Bregman 2020).

Um uns aus einer Situation zu befreien, in der wir scheinbar hilflos und jeder für sich vor einem unlösbaren Problem stehen, braucht es nicht so sehr ein Mehr an Forschung – es braucht vor allem ein gemeinsames Bild der Lage, Zukunftsvisionen, ein Narrativ des positiven Wandels (Marshall 2014, S. 233). Kommunikation erreicht Verhaltensänderung, wenn sie nicht nur auf Fakten beruht, sondern unsere Werte anspricht (Schrader 2022, S. 13).

Gesundheit als „Game Changer“

In einer gemeinsamen Studie haben „More in Common“ und „Climate Outreach“ nach den Werten gesucht, die Menschen vereinen. Bei der Frage, was die wichtigsten Aspekte ihrer persönlichen Vision für eine gute Zukunft sind, nennen in allen Gruppen eine große Mehrheit „gute körperliche und geistige Gesundheit“ als den wichtigsten Wert – im Durchschnitt 83 Prozent. Andere Aspekte wie „Freiheit“ oder „Verbundenheit mit anderen Menschen“ erreichen geringere Werte und sind den verschiedenen Gruppen unterschiedlich wichtig (s. Abb. 1; Melloh et al. 2022, S. 34).

Abb. 1 Wichtige Aspekte der persönlichen Zukunftsvision nach Typ (Melloh et al. 2022, S. 34).
Was uns alle verbindet: der Wunsch nach Gesundheit

Wichtige Aspekte der persönlichen Zukunftsvision nach Typ (Melloh et al. 2022, S. 34).

Gesundheit ist ein „Game Changer“ bei unserer Suche nach gesellschaftlichen Lösungen für die Klimakrise. Es ist das „missing link“ zwischen der globalen, aber abstrakten Gefährdung, den eigenen Werten und dem eigenen Handeln. War Gesundheit lange etwas Individuelles, ist durch Pandemie, Dürre, Hitze, Waldbrand und andere Ereignisse heute jedem klar: Gesundheit beruht auf Grundlagen, die das Gesundheitswesen selbst weder garantieren noch behandeln kann. In einem Wort: Gesunde Menschen gibt es nur auf einer gesunden Erde. International heißt dieses Konzept Planetary Health oder „One Health“ (s. auch Kap. I.3). Betrachtet man im Sinne dieses Konzepts Klimaschutz als Gesundheitsschutz, wird sein Nutzen für jeden einzelnen von uns direkt klar. Und über Co-Benefits ermöglichen Klimaschutzmaßnahmen bereits im hier und heute jede Menge Zugewinn an Lebensqualität und Gesundheitschancen. Hundert Prozent erneuerbare Energien machen nicht nur den Strom sauber, sondern auch die Atemwege! Eine Verkehrswende und Stadtplanung, die sich mehr an Menschen als an Autos orientiert, bietet Raum für Bewegung und Begegnung, mehr Sicherheit vor Unfällen und saubere Luft, mehr Ruhe und Erholung. Begrünte Innenstädte bieten Schatten, Kühle und Schutz, damit unsere Städte nicht zu Hitzefallen für Ältere und Vorerkrankte werden. Auch die Planetary Health Diet predigt nicht den totalitären Veganismus, sondern nur deutlich weniger tierische Produkte, als der durchschnittliche Deutsche derzeit zu sich nimmt. Gewinnen können wir eine ressourcenschonende, nachhaltigere Landwirtschaft, mehr Tierwohl und mehr Gesundheit, weil Übergewicht, Herzinfarkt und Schlaganfall verhindert werden. Der Hebel ist enorm: Laut Lancet Climate Countdown könnten 150.000 vorzeitige Todesfälle allein durch eine pflanzenbasierte Ernährung verhindert werden. Wir haben alles zu verlieren – aber wenn wir die Transformation gut gestalten enorm viel zu gewinnen.

Fünf am Tag fürs Klima

Wie steht es denn nun um unser eigenes, individuelles Handeln? Ein interessantes Detail der „More in Common“ – Studie ist, dass fast niemand in Deutschland meint, beim Klimaschutz persönlich „weniger“ als die meisten anderen zu tun (9 Prozent). Im Gegenteil: Im Zweifel tut man gefühlt mindestens genauso viel oder sogar mehr als die anderen. Gleichzeitig ist die große Mehrheit von uns der Meinung, dass alle anderen zu wenig tun (Gagné u. Krause 2021, S. 17f.). So wird das nichts mit kollektivem Aktivwerden.

Viele Akteur:innen im Klimaschutz scheuen inzwischen davor zurück, Forderungen nach individuellem Handeln für den Klimaschutz zu äußern. Und das mit gutem Grund. Der Ölkonzern BP machte das Konzept des CO2-Fußabdruck weltweit bekannt, als er 2004 einen Rechner herausbrachte, mit dem Menschen herausfinden können, für wie viel CO2-Emissionen sie verantwortlich sind. Praktischer Nebeneffekt: Die Diskussion verlagerte sich für lange Zeit weg von der Verantwortung von Unternehmen und hin auf unser persönliches (Fehl )Verhalten. Heute ist klar: Der große Hebel liegt in Politik und Wirtschaft, und als einem der großen Player im Land auch im Gesundheitswesen.

Trotzdem: Die Verantwortung, die wir tragen, endet nicht an unserer Haustür. Und in einer Welt, an der wir im Angesicht der Vielzahl der Krisen oft tatsächlich wenig tun können, ist ein Handeln für Gesundheit und Klimaschutz jederzeit möglich – und gar nicht so schwer. Wir müssen ja nicht gleich versuchen, komplett CO2-neutral zu leben (Gratzel 2020). Jeder Tag bietet tausend Möglichkeiten, sich für die eigene Gesundheit und die des Planeten zu entscheiden. Jede einzelne dieser Entscheidungen scheint klein und unbedeutend, aber sie macht uns zum Teil der Veränderung. In der Summe ändern sie Nachfrage und Marktanteile, Verkehrsaufkommen, Diskussionen im privaten und beruflichen Umfeld. Erinnern sie sich an „5 am Tag“? Eine der erfolgreichen Kommunikationskampagnen zu gesundem Verhalten, die den Genuss von mindestens fünf Stück Obst und Gemüse pro Tag bei vielen Menschen im Kopf verankert hat. Wie wäre es mit fünf Entscheidungen jeden Tag für ein gesünderes, klima- und umweltfreundliches, enkeltaugliches Leben. Das klingt doch machbar, oder?

Das Gesundheitswesen als Sektor mit Strahlkraft

Das Gesundheitswesen ist ein Sektor von höchster Bedeutung für alle Bevölkerungsgruppen: Jeder Mensch hat früher oder später, oft in prägenden Lebensphasen, direkten Kontakt mit seinen Menschen und Einrichtungen. Man vertraut sich und sein Leiden den Ärzt:innen, Pflegefachkräften an, den Menschen, die für Menschen da sind. Dieses hohe Vertrauen in die Gesundheitsberufe zeigt sich konstant in der Befragung, welchen Berufsgruppen wir überhaupt trauen (s. Abb. 2). Mehr sichtbarer Einsatz für Klimaschutz als Gesundheitsschutz und Veränderungen hin zu mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen entwickeln daher eine hohe Sichtbarkeit und Überzeugungskraft auch in andere Gesellschaftsbereiche. Veränderungen in der Stahlindustrie wird kaum jemand von uns direkt wahrnehmen. Aber wenn in Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern und anderen Gesundheitseinrichtungen Klimaschutz zum Thema wird, wenn Krankenkassen und Unternehmen der Gesundheitswirtschaft sich für Nachhaltigkeit einsetzen und Änderungen fordern und umsetzen, bekommt jede:r von uns das mit. Neben der Erkenntnis, dass Werte mehr bewirken als Fakten, ist die Einsicht, dass es Multiplikator:innen braucht, denen die Menschen vertrauen, eine der zentralen Erkenntnisse der Klimakommunikation (Marshall 2014, S. 237). Kaum jemand eignet sich besser als die Menschen, die sich in verschiedenen Funktionen für die Gesundheit ihrer Mitmenschen einsetzen.

Abb. 2 Vertrauen der Deutschen in unterschiedliche Berufsgruppen (GfK Verein 2018)

Feuerwehrleute
0%
Sanitäter
0%
Krankenschwestern/ -pfleger
0%
Ärzte
0%
Lok-, Bus-, U-Bahn-, Straßenbahnführer
0%
Apotheker
0%
Ingenieure, Techniker
0%
Polizisten
0%
Handwerker
0%
Unternehmer
0%
Händler, Verkäufer
0%
TV-Moderatoren
0%
Schauspieler
0%
Banker
0%
Journalisten
0%
Profisportler
0%
Werbeleute
0%
Versicherungsvertreter
0%
Politiker
0%

Das Beste, was ein Einzelner derzeit tun kann, ist kein Einzelner zu bleiben. Das haben unzählige Akteur:innen im Gesundheitswesen erkannt. Sie engagieren sich in zivilgesellschaftlichen Gruppen wie Health for Future oder den Klimadocs, verändern das Handeln von Institutionen, Verbänden und Unternehmen, gestalten neue Rahmenbedingungen in den Gremien der Selbstverwaltung (Blum et al. 2022).

Das Beste, was ein Einzelner derzeit tun kann, ist kein Einzelner zu bleiben.

So wie es im National Health Service (NHS) eine verantwortliche Person und Struktur für Klimaneutralität und Nachhaltigkeit gibt, so braucht es auch in Deutschland im nächsten Schritt verbindliche Ziele, Rahmenbedingungen und eine institutionelle Verankerung. Der zweite „Elefant im Raum“ sind alle Anpassungsmaßnahmen, die anstehen, um Krankenhäuser, Pflegeheime und andere existenzielle Elemente unserer Infrastruktur für kommende Hitzewellen, Flutkatastrophen oder Wassermangel resilient und krisenfest zu machen. Eine Jahrhundertaufgabe – für die wir nur ein Jahrzehnt Zeit haben.

Die nachhaltigste Operation ist die, die keiner braucht.

Es gibt viel zu tun – das wussten wir auch vorher schon. Viele der Dinge, die immer schon richtig waren – zum Beispiel Gesundheitsförderung und Prävention statt Kuration, der Abbau von Über- und Fehlversorgung, die Stärkung von Gesundheitskompetenz und informierter Entscheidungsfindung – sind klimafreundlich. Die nachhaltigste Operation ist die, die keiner braucht – und auch keiner macht. Nachhaltigkeit schafft ein Mehr an Gesundheit! Da sind sie wieder, die Co-Benefits. Wir können es schöner haben als jetzt. Und gesünder!

Literatur

Armstrong McKay D et al. (2022) Exceeding 1.5°C global warming could trigger multiple climate tipping points. Science 377(6611)

Blum K, Graalmann J, Kreßler F (2022) Gesundes Klima? Retrospektive: Aktivitäten und Akteure des deutschen Gesundheitswesens im Bereich „Klimawandel und Gesundheit“ 2.0. Berlin. URL: https://brueckenkoepfe.de/publikationen (abgerufen am 27.09.2022)

Bregman R (2020) Im Grunde gut. Eine neue Geschichte der Menschheit. Rowohlt Verlag Hamburg

Climate Interactive (2016) John Sterman addresses Ban Ki-Moon on the need for deeper emission cuts. 5. November. URL: https://www.climateinteractive.org/media-coverage/john-sterman-addresses-ban-ki-moon-on-the-need-for-deeper-emissions-cuts/ (abgerufen am 27.09.2022)

Gagné J, Krause L-K (2021) Einend oder spaltend? Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland. More in Common. URL: https://www.moreincommon.de/media/leapg0va/more_in_common_studie_klima_zusammenhalt.pdf (abgerufen am 27.09.2022)
GfK Verein (2018) Trust in Professions 2018 – eine Studie des GfK Vereins. Nürnberg. URL: https://www.nim.org/sites/default/files/medien/135/dokumente/2018_-_trust_in_professions_-_deutsch.pdf (abgerufen am 27.09.2022)

Gratzel D (2020) Projekt Green Zero. Können wir klimaneutral leben? Mein konsequenter Weg zu einer ausgeglichenen Ökobilanz. Ludwig Buchverlag München

IPCC (2021) Climate Change 2021 The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press. URL: https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/ (abgerufen am 27.09.2022)

IPCC (2022) Keynote address by the IPCC Chair Hoesung Lee at the opening of the First Technical Dialogue of the Global Stocktake. 9. Juni 2022. URL: https://www.ipcc.ch/2022/06/10/keynote-address-hoesung-lee-technical-dialogue-global-stocktake/ (abgerufen am 27.09.2022)

Marshall G (2014) Don’t even think about it. Why our brains are wired to ignore climate change. Bloomsbury USA

Meadows D et al. (1972) Die Grenzen des Wachstums: Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart

Melloh L, Rawlins J, Sippel M (2022) Übers Klima reden: Wie Deutschland beim Klimaschutz tickt. Wegweiser für den Dialog in einer vielfältigen Gesellschaft. Climate Outreach Oxford. URL: https://climateoutreach.org/reports/uebers-klima-reden/ (abgerufen am 27.09.2022)

Rockström J, Steffen W, Noone K, Persson Å, Chapin FS et al. (2009) A safe operating space for humanity. Nature 461(7263), 472–475

Rosling H et al. (2018) Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Ullstein Verlag Berlin

Schrader, C (2022) Über Klima sprechen. Das Handbuch. Oekom Verlag

Shabecoff P (1988) Global Warming Has Begun, Expert Tells Senate. The New York Times, 24. Juni 1988. URL: https://www.nytimes.com/1988/06/24/us/global-warming-has-begun-expert-tells-senate.html (abgerufen am 27.09.2022)