Neustart! TitelbildInnovationsmanagement
im Gesundheitswesen –
wie zukunftsfähige Versorgungsmodelle
in die Praxis überführt werden können
Matthias Zuchowski

Interne und externe Innovationsimpulse in Gesundheitsnetzwerken

Innovationsvorgänge und Innovationsprojekte können nach einem 2007 durch Bessant und Tidd beschriebenen Modell anhand des Ausmaßes der Innovation in zwei Kategorien eingeteilt werden. Dies sind erstens eine im operativen Geschäft schrittweise eingeführte, inkrementelle Innovation und zweitens eine radikale Innovation mit in kurzer Zeit umgesetzten größeren Veränderungsvorgängen. Dazu werden weitergehend vier Innovationsbereiche (4-„P“) beschrieben, welche auch in der Gesundheitswirtschaft von Relevanz sind (Bessant u. Tidd 2007, S. 24). Innovationen können demnach betreffen:

  • Paradigmen und zugrunde liegende Mindsets,
  • Produkte und Dienstleistungen,
  • Prozesse und damit die Art und Weise der Wertschöpfung sowie die
  • Position, also den Kontext und das Umfeld einer Gesundheitsleistung.

Innovationsimpulse für Gesundheitsnetzwerke und Gesundheitsorganisationen können sowohl innerhalb der Organisation bzw. des Netzwerkes entstehen als auch von außen die Organisation erreichen. Die Fähigkeit zur erfolgreichen Aufnahme und Integration von Innovationen wird dabei maßgeblich auch für Organisationen im Gesundheitswesen gefordert (Robert Bosch Stiftung 2019, S. 22). Damit dieser Prozess zielgerichtet abläuft und anhand von strategischen Eckpunkten gesteuert wird, kann ein strategisches Innovationsmanagement, eingebettet in die strategische Planung und das Projektmanagement der Gesamtorganisation, einen wichtigen Beitrag zum langfristigen Erfolg der Organisation leisten.

Abb. 1 Darstellung von Innovationsbereichen in den 4 Quadranten der Grafik mit zugeordneten realisierten oder zukünftigen Innovationsbeispielen im Gesundheitswesen (Kategorisierung der Innovationsbereiche in Anlehnung an Bessant und Tidd 2007)

Interne Innovationsimpulse

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In Gesundheitsorganisationen können im Rahmen der regulären medizinischen Leistungserbringung oder durch gezielte Förderung mittels Innovationswerkstätten erkannte Problemstellungen bei Medizinprodukten oder medizinischen Verbrauchsmaterialien zu organisationsinternen Eigenentwicklungen führen. Die gemeinsam im Behandlungsprozess erkannten Defizite stellen in diesem Fall den Impuls zur Entwicklung innovativer Lösungen dar.

Gezielte Innovationsentwicklung erfordert die Einbettung in das normative und strategische Management im Sinne eines organisationseigenen Innovationsmanagements.

In Gesundheitsorganisationen können im Rahmen der regulären medizinischen Leistungserbringung oder durch gezielte Förderung mittels Innovationswerkstätten erkannte Problemstellungen bei Medizinprodukten oder medizinischen Verbrauchsmaterialien zu organisationsinternen Eigenentwicklungen führen. Die gemeinsam im Behandlungsprozess erkannten Defizite stellen in diesem Fall den Impuls zur Entwicklung innovativer Lösungen dar.

Dr. Matthias Zuchowski, M.A.

Matthias Zuchowski leitet seit 2017 die Medizinstrategische Entwicklung, ist Leiter der Abteilung für Projektmanagement und Unternehmensentwicklung sowie Geschäftsleiter des Medizinischen Versorgungszentrums des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart. Hier koordiniert er zudem die gesundheitsökonomische Forschung der Klinikstandorte und ist als wissenschaftlicher Beirat im Projekt Neustart! Reformwerkstatt für unser Gesundheitswesen der Robert Bosch Stiftung und als Dozent an mehreren Hochschulen in Baden-Württemberg tätig. Als Arzt, Gesundheitsökonom und Wissenschaftsmanager setzt er sich für eine sachdienliche Verbindung von Medizin und Ökonomie in allen Ebenen der Gesundheitsversorgung ein.

Externe Innovationsimpulse

Externe Innovationsimpulse können von Kräften innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens ausgehen. Analog zu den fünf Marktkräften nach Porter können diese Kräfte im Gesundheitswesen das Hinzutreten von konkurrierenden Gesundheitsdienstleistern oder veränderte Anforderungen und Bedarfe von Patienten, niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten oder Kostenträgern sein. Auch können Innovationsimpulse durch ersetzende, neue Gesundheitsleistungen oder die veränderte Stellung von Lieferanten und Medizinprodukteanbietern hervorgehen. Durch die genannten Kräfte kann sich die Attraktivität oder Rentabilität des Marktes, in dem sich die Gesundheitsorganisation befindet, verändern und damit Auslöser für notwendige Innovationsschritte werden. Im Besonderen die Veränderung der Gesundheitsversorgung durch die fortschreitende Digitalisierung der Medizin wird von Bürger:innen, Patient:innen und gesundheitswissenschaftlichen Expert:innen gleichermaßen als Taktgeber für kommende Innovationsgebiete gesehen (Robert Bosch Stiftung 2019, S. 38).


Innovationsimpulse können auch durch Kooperation oder Integration von gesundheitlichen Start-ups in die Organisation oder das Gesundheitsnetzwerk von außen eingebracht werden. Die Harmonisierung und Überführung der Innovationsideen in die Breite der Anwendung stellen dann die besondere Herausforderung im Rahmen des Innovationsmanagements dar.


Wenn die Gesundheitsorganisation sich in einem Netzwerk befindet, können Innovationsimpulse auch von Netzwerk- oder Kooperationspartnern ausgelöst werden. Dies kann bei einem Übertrag von Innovationsideen oder einem Know-how-Übertrag aus einer anderen Branche geschehen, beispielsweise aus Konzernstrukturen oder aus anderen Behandlungssektoren, wie ein Transfer von innovativen Prozessen aus der ambulanten Behandlung in die stationäre Medizin.

Strukturen eines strategischen Innovationsmanagements

Eine zufällig entstandene innovative Idee in einer Gesundheitsorganisation bleibt zunächst ein Impuls, der auch gänzlich ohne Veränderungseffekt verbleiben kann. Der Innovationsimpuls muss, damit er Wirkung entfalten kann, strategisch eingeordnet, in den Alltag übersetzt (translatiert), erprobt (pilotiert) und in den Regelbetrieb überführt werden. Da dies im Besonderen in konservativen Umfeldern nicht automatisch abläuft, erfüllt strategisches Innovationsmanagement die Funktion des Steuerns, Begleitens und Umsetzens von Innovationen in gesundheitswirtschaftlichen Organisationen.


Strategisches Innovationsmanagement in Gesundheitsorganisationen basiert dabei auf drei maßgeblichen Grundsätzen, welche im Folgenden weiter ausgeführt werden: Impulse vernetzen und Ideen zusammenbringen, Raum für Pilottests bieten und Innovationsprojekte strategisch auswählen und professionell managen. Organisationale Ausprägungen dieser Funktionen stellen Innovationshubs, Innovationslabore oder Innovationsplattformen dar.


Innovationsplattformen oder Innovationslabore aggregieren die internen und externen Innovationsideen und bringen diese zusammen. Wie in Abbildung 2 dargestellt, steht das Innovationslabor als ein Beispiel für eine organisationale Innovationsplattform im engen Austausch mit der Strategie- und Projekteinheit der Gesundheitsorganisation. Innovationsideen innerhalb der Organisation, wie beispielsweise die umfassende Veränderung eines Behandlungsprozesses oder die Einführung von neuen Technologien in die medizinische Leistungserbringung, erreichen die Innovationsplattform genauso wie externe Innovationsimpulse von mit der Gesundheitsorganisation in Kontakt stehenden Start-ups. Die internen Impulse können durch an der Plattform verankerte Innovationsteams und Innovationswerkstätten gezielt gefördert werden. Aufgabe des Innovationslabors ist nun, die internen und externen Impulse zusammenzuführen und anhand der gemeinsamen Strategie auszurichten und zu priorisieren. Diese strategische Ausrichtung stellt bereits einen wichtigen Erfolgsfaktor für Innovationsvorhaben dar (Hernandez et al. 2013). Die Umsetzung von Innovationsimpulsen erfolgt in der gesundheitswirtschaftlichen Praxis maßgeblich im Rahmen von Pilotierungen und Tests. Da auch diese im Gesundheitswesen bereits ein Management und eine medizinisch-wissenschaftliche Begleitung benötigen, stellt die Innovationsplattform idealerweise bereits die Ressourcen und Fähigkeiten für ein professionelles Projektmanagement zur Verfügung. Aufgabe von Innovationsprojekten ist es, Innovationsvorhaben nach der erfolgreichen Testung in die Anwendung in der medizinischen Versorgung zu bringen.


Eine Gründerplattform als Teil einer organisationseigenen Innovationsplattform dient dabei als möglicher Kontaktpunkt zu jungen gesundheitswirtschaftlichen Unternehmungen und unterstützt das Erzielen eines gegenseitigen Vorteils: Die Gesundheitsorganisation selbst profitiert von externen Innovationsimpulsen und der frühen Anwendungen neuer Technologien und das medizinische Start-up erhält Zugang zum komplexen Realbetrieb einer Gesundheitsorganisation mit Möglichkeit zum Anwenden der innovativen Dienstleistung. Eine Gründerplattform bietet im gesundheitswirtschaftlichen Kontext idealerweise ebenso die Option zur wissenschaftlichen, medizinischen und gesundheitsökonomischen Begleitung der Anwendung jener neuen Methodik.

Abb. 2 Darstellung einer möglichen aufbauorganisatorischen Ausgestaltung eines Innovationslabors in einer Gesundheitsorganisation. Mit durchgehenden Strichen werden die Beziehungen zwischen Geschäftsführung, Strategieeinheit und Innovationslabor dargestellt. Die Innovationsprojekte sind Teil der Umsetzung von definierten Strategien der Gesamtorganisation.

Die Translation bzw. Übersetzung von innovativen Ideen in anwendbare Prozesse in der Gesundheitsversorgung und damit die Ermöglichung der Übernahme in den Regelbetrieb sind mit der vorangehend beschriebenen Ausprägung die bedeutendsten Aufgaben von Innovationsplattformen in Gesundheitsorganisationen.

Professionelles Projektmanagement als Translationsvoraussetzung

Die Etablierung eines professionellen Projektmanagements in der Organisation ist eine wichtige Voraussetzung, um die Translation von Innovationsideen in die Praxis zielgerichtet und nachhaltig erfolgreich zu gestalten.

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Um diese Translation zielgerichtet und nachhaltig erfolgreich zu gestalten, ist die Etablierung eines professionellen Projektmanagements in der Organisation eine wichtige Voraussetzung. Die Sicherstellung von ausreichender Zeit zur Vorplanung von Ressourcen und Zeitumfängen, die eindeutige Definition von Projektzielen, eine angepasste Ausgestaltung des Projektteams, die Vergabe der notwendigen Entscheidungsbefugnisse, die organisationalen Projektkompetenzen und ein effektives Projektcontrolling stellen auch für Innovationsprojekte bedeutende Erfolgsfaktoren dar (Alias et al. 2014; Zuchowski u. Kohler 2020). Beispielhaft wird die Struktur eines solchen projektbezogenen Innovationsmanagements in Abbildung 3 dargestellt.

Abb. 3 Darstellung einer kooperativen und projektbasierten Innovationsumsetzung in einer Gesundheitsorganisation. Das Innovationslabor dient dem digitalmedizinischen Start-up als erster Kontaktpunkt mit der Organisation, welche Fachwissen und gesundheitsbezogene Projektexpertise in das aufgesetzte Innovationsprojekt einbringt.

Zentrale Projektmanagementstrukturen und das Verankern von Projektmanagementkenntnissen in Gesundheitsorganisationen können dabei helfen, diese projektbezogenen Faktoren bei der Umsetzung von Innovationsvorhaben in Innovationsprojekten sicherzustellen und sichern gleichzeitig, zusammen mit der Innovationsplattform, eine strategische Verbindung zwischen den Zielen der Organisation und den umgesetzten Innovationsvorhaben.

Zusammenfassung

Innovationsmanagement im Gesundheitswesen ist ein aktiver Prozess, welcher durch eine organisationale Innovationskultur, eine Plattform für Innovationen und ein professionelles Projektmanagement befördert werden kann. Um Innovationen im Gesundheitswesen erfolgreich umzusetzen und in die Regelversorgung zu bringen, gilt es in einem geschützten und kontrollierbaren Rahmen Innovationsimpulse aufzunehmen und zu testen. Im Rahmen von Innovationsprojekten kann ein Wissenstransfer innerhalb von Gesundheitsnetzwerken und zwischen Kooperations- und Entwicklungspartnern sichergestellt werden sowie eine Innovationsidee medizinisch und ökonomisch bewertet und für die effektive Translation in die Regelversorgung vorbereitet werden.

Literatur

Alias Z et al. (2014) Determining Critical Success Factors of Project Management Practice: A Conceptual Framework, Procedia – Social and Behavioral Sciences 153, 61–69. doi: 10.1016/j. sbspro.2014.10.041

Bessant J, Tidd J (2007) Innovation and Entrepreneurship. 1. Aufl. John Wiley & Sons

Hernandez SE et al. (2013) Patient-centered innovation in health care organizations: a conceptual framework and case study application. Health care management review. United States 38(2), 166–175. doi: 10.1097/HMR.0b013e31825e718a

Robert Bosch Stiftung (2019) Neustart! Bürgerreport 2019. URL: https://www.bosch-stiftung.de/de/publikation/neustart-buergerreport-2019 (abgerufen am 27.08.2021)

Zuchowski ML, Kohler F (2020) Professionelles Projektmanage- ment als Grundlage für erfolgreiche Innovationsentwicklung im Gesundheitswesen. In: Pfannstiel MA, Kassel K, Rasche C (Hrsg.) Innovationen und Innovationsmanagement im Gesundheitswesen: Technologien, Produkte und Dienstleistungen voranbringen. 139–162. Springer Fachmedien Wiesbaden. doi: 10.1007/978-3-658-28643-9_9