Ausgangslage und Handlungsbedarfe
Angesichts der demografischen und epidemiologischen Entwicklungen steht die Gesundheitsversorgung in Deutschland vor großen Herausforderungen. Der Bevölkerungsanteil älterer und alleinlebender Menschen nimmt ebenso zu wie die Zahl chronischer Erkrankungen, gleichzeitig kehren Infektionskrankheiten zurück oder erreichen ganz neue Dimensionen. Dabei gibt es einen engen Zusammenhang zwischen niedrigem sozialem Status und schlechter Gesundheit. Prävention und Gesundheitsförderung sind in Deutschland unterentwickelt.
Aber auch Veränderungen der Versorgungsstrukturen müssen bewältigt werden: Zum einen gibt es ein enormes Verteilungsproblem bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten. Zum anderen haben wir im internationalen Vergleich eine enorm hohe Anzahl von Krankenhausbetten und nicht zuletzt wegen ökonomischer Fehlanreize eine außergewöhnlich hohe Anzahl von Operationen (zum Beispiel in der Orthopädie). Der Gesetzgeber hat es bisher nicht geschafft, diesen Problemen wirksam zu begegnen. Das deutsche Gesundheitswesen ist zudem gekennzeichnet durch eine hohe Fragmentierung, die einen großen Teil der Versicherten überfordert. Verstärkt wird das Problem durch eine gering ausgeprägte Gesundheitskompetenz (Health Literacy) (Hurrelmann 2020). Aus all diesen Gründen erhalten Betroffene nicht immer eine angemessene Versorgung.
Ein niedrigschwelliger Zugang zu den Leistungen des Gesundheitswesens ist entscheidend für die Inanspruchnahme und Bedarfsgerechtigkeit eines Systems (SVR 2014).
Vor diesem Hintergrund gilt es, neue, passgenaue Versorgungsangebote zu entwickeln. Angesichts der nebeneinander bestehenden Unter‑, Über- und Fehlversorgung (SVR 2014) gibt es in Deutschland seit Längerem Debatten zur Stärkung der Primärversorgung. Sie stellt im ambulanten Geschehen die zentrale Eintrittspforte ins Gesundheitswesen dar. Laut Sachverständigenrat (SVR 2014) ist ein niedrigschwelliger Zugang zu den Leistungen des Gesundheitswesens entscheidend für die Inanspruchnahme und Bedarfsgerechtigkeit eines Systems. Das ist besonders für vulnerable Gruppen (dazu gehören auch ältere Menschen) und für Bevölkerungsgruppen in strukturschwachen Regionen bedeutsam. Die Primärversorgung muss auf dem Land, aber auch in städtisch geprägten benachteiligten Gebieten effizient und bedarfsgerecht gesichert werden. Gute Erreichbarkeit, integrierte Versorgungsangebote und ein breites Versorgungsspektrum bei hoher Qualität sind zentrale Ziele. Dadurch wird beispielsweise auch ein Verbleib im häuslichen Umfeld bei beginnendem Pflege- und Unterstützungsbedarf ermöglicht. Die Lösung all dieser Herausforderungen würde erheblich zu mehr Gesundheit, Lebensqualität und Zufriedenheit beitragen. Sie hätte auch wirtschaftliche Vorteile durch vermiedene Krankheits- und Pflegekosten.