Vision der Zukunft:
Eine Partnerschaft
für Gesundheit und Versorgung
Thomas Ballast und Daniel Cardinal

Die Autoren

Thomas Ballast

Thomas Ballast ist seit 2012 stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse (TK). Er verantwortet die Geschäftsbereiche der ambulanten und stationären Versorgung sowie der Versorgungsinnovationen. In seinen Zuständigkeitsbereich fallen zudem die Geschäftsbereiche Service & Kanäle sowie Service- und Business-Management. Bevor er seine Tätigkeit bei der TK antrat, war der Diplom-Volkswirt Vorstandsvorsitzender des Ersatzkassenverbandes vdek. Bis dahin war er bereits in verschiedenen verantwortlichen Positionen in der gesetzlichen Krankenversicherung tätig.

Daniel Cardinal

Herr Cardinal ist seit 2006 in der GKV in unterschiedlicher Verantwortung im Bereich des Vertrags- und Versorgungsmanagements tätig. Seit 2014 ist er bei der TK, zunächst als Leiter der Stabsstelle Strategisches Vertrags- und Versorgungsmanagement, heute als Leiter des Geschäftsbereiches Versorgungsinnovation beschäftigt. Dort fallen u.a. die Themen Arzneimittel und das Versorgungsmanagement in den Aufgabenbereich des Volljuristen. Außerdem trägt Herr Cardinal die Verantwortung für das Fachzentrum Abrechnung, die 15 Landesvertretungen der TK und die Ermittlungsgruppe Abrechnungsmanipulation.

Leistungserbringer behandeln und begleiten Erkrankungen, während Krankenkassen die Versorgung finanzieren. Diese vereinfachte Beschreibung der Rollenverteilung im deutschen Gesundheitswesen gehört der Vergangenheit an. Die Krankenkassen haben schon lange die klassische Rolle des Kostenträgers hinter sich gelassen. Durch die Entwicklung selektivvertraglicher Angebote oder von Satzungsleistungen, um nur wenige Beispiele zu nennen, haben sie ihre ursprüngliche Aufgabe erweitern können. Sie gestalten insbesondere durch proaktive Kundenkommunikation die Versorgung mit und setzen sich für sinnvolle und innovative Ergänzungen der Versorgung ein.

Krankenkassen gestalten durch proaktive Kundenkommunikation die Versorgung mit und setzen sich für innovative Ergänzungen der Versorgung ein.

Die Digitalisierung hat sich dabei in den vergangenen Jahren vom Trend zum festen Bestandteil des Gesundheitswesens entwickelt. Viele Krankenkassen haben diese Entwicklung mit Engagement aufgenommen und entwickeln eigene digitale Innovationen oder implementieren digitale Lösungen anderer Anbieter in ihrem Portfolio. Durch die Digitalisierung entstehen auch im Gesundheitswesen immer mehr Daten. Das führt zu neuen Möglichkeiten für Leistungserbringer, aber auch für Krankenkassen, die Versorgung besser auf den einzelnen Patienten abzustimmen. Die Verfügbarkeit der Daten vorausgesetzt werden individuelle Empfehlungen möglich, die Therapieoptionen, das Versicherungsverhältnis betreffende Services oder präventive Maßnahmen aufzeigen, sofern eine entsprechende Notwendigkeit erkannt wird. Die Rolle der Krankenkasse kann sich dann weiter zu der eines Partners des Kunden auf einer Versorgungsplattform entwickeln.


In den Mittelpunkt der Überlegungen für eine solche Partnerschaft in Versorgungsfragen geraten dabei schnell die Kontaktpunkte der Kundinnen und Kunden zum Gesundheitswesen – zusammengefasst als Kundenschnittstelle bezeichnet. Diese Kundenschnittstelle ist im Gesundheitswesen vielfältig und unterscheidet sich je nach Lebens- oder Gesundheitslage erheblich. Die großen Tech-Konzerne sind hier weit voraus: sie kennen die Kontaktanlässe und versuchen, die Kundenschnittstelle durch Nutzerfreundlichkeit und hohen Mehrwert, aber auch durch Bündelung der Kontaktpartner auf Plattformen hochwertig und unverzichtbar auszugestalten. Das reicht von Kassen-Apps mit dem Schwerpunkt der Verwaltungseffizienz und präventiver Angebote über Marktplätze von arzneivertreibenden Einheiten bis hin zu Kundenbindungsangeboten von Ärzten oder Krankenhäusern. Einige dieser Angebote leben davon, dass im Gegenzug die eigenen Daten zur Verfügung gestellt werden. Selbst ein oftmals zweifelhafter Datenschutz führt nicht unbedingt zu einer grundsätzlichen Ablehnung. Convenience und individueller Mehrwert überstrahlen die Bedenken.

Krankenkassen müssen an der digitalen Schnittstelle für eine Partnerschaft in Gesundheit und Versorgung ein Angebot schaffen, das sich durch individuelle Mehrwerte und hohe Nutzerfreundlichkeit auszeichnet und die individuellen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden bedient.

Das muss nicht bedeuten, dass man dabei nicht mit anderen Unternehmen kooperiert. Im Gegenteil, die hohe Innovations- und Investitionskraft solcher Unternehmen kann die qualitative Entwicklung von Mehrwertangeboten unterstützen. Es kann jedoch nicht Anspruch der Krankenkassen sein, die Schnittstelle zum Versicherten an Unternehmen abzugeben und damit nicht mehr erster Ansprechpartner zu sein, wenn es um Fragen rund um die individuelle Versorgung oder um weitere Services der Krankenkasse geht. Die Krankenkasse muss auch im digitalen Zeitalter erster Ansprechpartner für Kundinnen und Kunden in Gesundheits- und Versorgungsfragen bleiben oder zum Teil auch erst noch werden.

Eine Plattform-Lösung als kassenindividuelles Partner- und Angebotsportfolio

Je nach Interesse des Kunden und der daraus resultierenden Partnerschaft zwischen Kunde und seiner Krankenkasse, besteht diese nicht nur aus Empfehlungen für gesundheitsbewussteres Verhalten, der digitalen Abbildung von das Versicherungsverhältnis betreffenden Prozessen oder aus einer empfohlenen Inanspruchnahme einer bestimmten medizinischen Versorgung. Für eine gute Partnerschaft auch in Versorgungsfragen ist es charakteristisch, dass der Kunde mit einer Empfehlung nicht allein gelassen wird und sich nicht selbst um eine Lösung bemühen muss. Kundinnen und Kunden werden vielmehr Umsetzungsmöglichkeiten angeboten. Diese Umsetzungsmöglichkeiten bestehen im kassenindividuellen Partner- und Angebotsportfolio, das an einer zentralen Stelle, auf einer Plattform, durch die Krankenkasse vorgehalten wird und somit eine komfortable Nutzung ermöglicht.


Das Portfolio setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die gemeinsam ein möglichst vollständiges Angebot darstellen, um im präventiven, kurativen, pflegerischen und serviceorientierten Bereich die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden einer Krankenkasse hochwertig abzudecken. Dabei kommen kasseneigene Anwendungen wie die ePA und weitere eigene digitale Anwendungen zum Einsatz, die Versorgung, Gesundheit und Services in Bezug auf das Versichertenverhältnis adressieren. Selbstverständlich gehören dazu jedoch auch – soweit verfügbar – digitale Angebote von Drittanbietern, die in einem vertraglichen Verhältnis mit der Krankenkasse stehen. Außerdem bestehen Zugangsmöglichkeiten zur ambulanten und stationären Versorgung sowie zur Heil- und Hilfsmittelversorgung. In seiner Partnerschaft mit der Kasse bekommt der Kunde also persönliche Empfehlungen und kann sich aus einem umfassenden Partner- und Angebotsportfolio (s. Abb. 1) die für ihn individuell beste Versorgung zusammenstellen.

Abb. 1 Plattform als zentrale, vernetzte Anlaufstelle

Aus Kundensicht muss der Zugang zu den wertschöpfenden Angeboten auf der Plattform möglichst einfach gestaltet sein. Dafür eignet sich heute insbesondere die bereits erwähnte digitale Schnittstelle, da durch sie ein orts- und zeitunabhängiger Zugriff auf das Angebot auf der Plattform mittels Smartphone, Tablet oder anderen Devices möglich ist. In den meisten Fällen dürfte der Kontakt über die Kunden-App der Kasse erfolgen. Dort erreicht den Kunden per Push-Nachricht die Empfehlung, über die dann der Zugriff auf Angebote und Leistungen erfolgt. Der primär digitale Zugriff orientiert sich an den heute üblichen Zugangswegen anderer in ihrem Geschäftssegment erfolgreichen Plattformanbieter, die bereits Bestandteil des alltäglichen Lebens geworden sind. Beispielsweise sei hier auf Airbnb, Amazon oder eBay verwiesen, die ausschließlich auf digitalem Weg genutzt werden. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass die Leistung auch digital erbracht wird. Die analoge Versorgung in einer Praxis, in einem Krankenhaus, bei einem Therapeuten oder in einem Sanitätshaus kann um sinnvolle digitale Ansätze ergänzt und von nicht zwingend erforderlichen Prozessen entlastet werden.

Use-Case Versorgungspartnerschaft

Um zu zeigen, wie eine Partnerschaft in Versorgungsfragen vor dem Hintergrund der beschriebenen Inhalte konkret aussehen könnte, wird im Folgenden mithilfe eines Use-Cases ein beispielhafter Versorgungsweg beschrieben.
Nachdem postoperative Reha-Maßnahmen wegen einer Knieoperation abgeschlossen sind, erhält der Kunde Sebastian aus der App seiner Krankenkasse eine Push-Nachricht, die ihm eine Videosprechstunde beim Orthopäden empfiehlt. Dazu gehört auch eine Liste mit Orthopäden, die nach dem Praxisstandort sortiert ist. Sebastian nimmt die Empfehlung an, nachdem ihm auf Wunsch Alternativen zur Auswahl angezeigt wurden und bucht über die Kunden-App seiner Kasse einen freien Termin beim Orthopäden Dr. Müller.
Auslöser für die Empfehlung von Sebastians Krankenkasse ist eine Analyse der Datenbestände der Kasse, die eine hohe Wahrscheinlichkeit für Rückenprobleme nach einer Knieoperation für Versicherte wie Sebastian ergeben hat. Die Orthopäden können auf Basis ihrer Bewertungen durch andere Patienten und unter Berücksichtigung des Wohnortes ermittelt und sortiert werden. Auch denkbare alternative Behandlungsoptionen ermittelt die Krankenkasse anhand der Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften und auf Basis der ihr zur Verfügung stehenden Daten ihrer Kunden, die sich in einer vergleichbaren Situation für einen anderen Behandlungsweg entschieden haben.


Am vereinbarten Termin findet die Videosprechstunde statt, sofern dort als notwendig befunden kann ein persönlicher Termin folgen. Unterstützt durch die Daten aus Sebastians elektronischer Patientenakte (ePA) ermittelt Dr. Müller ein Risiko für wiederkehrende Rückenschmerzen und verschreibt ihm Physiotherapie zum Muskelaufbau und zur Verbesserung seiner Körperhaltung. Dr. Müller nimmt auf Wunsch von Sebastian alle relevanten Informationen in seine ePA auf. Das elektronische Rezept erhält Sebastian noch im Termin auf seinem Smartphone in der Kassen-App. Im Anschluss bewertet Sebastian den Orthopäden und die von der Kasse ausgesprochene Empfehlung. Dr. Müller beurteilt die Qualität der Empfehlung der Kasse auf einer kasseneigenen Website für Leistungserbringer und Anbieter von Gesundheitsleistungen.


Die Kassen-App schlägt Sebastian eine Physiotherapie-Praxis in seiner Nähe vor, in der andere Patienten mit gleicher Indikation bereits gute Erfahrungen gemacht haben. Sebastian vergleicht die vorgeschlagenen Praxen, entscheidet sich aufgrund eines Tipps aus dem Freundeskreis jedoch nicht für die empfohlene Praxis und vereinbart über die Kunden-App seiner Kasse einen Termin in der Praxis 123Physio. Nach dem ersten persönlichen Termin finden die weiteren Therapien per Video-Sitzung statt. Nach Abschluss der Physiotherapie bewertet Sebastian zunächst mittels Bewertungsbogen seiner Kasse die Empfehlung, die Terminvereinbarung und die Behandlung durch den Therapeuten Felix. Auch Therapeut Felix bewertet die Termine mit Sebastian über einen entsprechenden Bewertungsbogen auf der kasseneigenen Website.


Im Anschluss an die Physiotherapie schlägt die Krankenkasse Sebastian über eine Push-Benachrichtigung vor, ein Fitnessangebot in einem Fitnessstudio anzunehmen, um präventiv zu arbeiten und zukünftige Probleme zu vermeiden. Bestandteil der Empfehlung sind ein Fitnessstudio, entsprechende Online-Kurse und eine kasseneigene Fitness-App. Sebastian entscheidet sich für das vorgeschlagene Studio, schließt einen Vertrag ab und bucht entsprechende Online- und Präsenzkurse. Das Fitnessstudio meldet den abgeschlossenen Vertrag über die Webseite der Kasse für Ärzte und andere Leistungserbringer. Nach einigen Wochen bewertet Sebastian das Fitnessstudio und die besuchten Kurse, nachdem ihn seine Kasse per Push-Bemächtigung in der App darum bittet.


Sämtliche von Sebastian in dieser beispielhaften Erläuterung genutzten Anlaufpunkte werden von der Krankenkasse auf einer kassenindividuellen Plattform bereitgestellt bzw. der Kontakt auf digitale Weise ermöglicht. Die Push-Benachrichtigungen mit Versorgungsangeboten und Empfehlungen führen den Kunden also in Angebote, die dort vorgehalten werden. Jede Interaktion von Sebastian mit Leistungserbringern oder der Krankenkasse führen im Ergebnis zu neu entstehenden Daten, die entweder direkt bei der Krankenkasse oder in der ePA von Sebastian hinterlegt werden und somit die Basis für die Entwicklung von individuellen Empfehlungen der Kasse erweitern. Dadurch nimmt die Qualität für zukünftige Empfehlungen, die die Krankenkasse gegenüber ihren Kunden aussprechen wird, immer mehr zu. Bewertungen der Leistungserbringer verbleiben im Gegensatz zu Bewertungen der individuellen Empfehlungen nicht bei der Krankenkasse. Sie fließen in einen zentralen Datenbestand, der auch anderen Krankenkassen bzw. Kunden anderer Kassen Auskunft über Leistungserbringer ermöglicht. Idealerweise werden diese Daten durch Beurteilungen Dritter aus anderen digitalen Kontexten ergänzt.

Vorteile einer Partnerschaft für Gesundheit und Versorgung

Die Versorgung von Sebastian zeigt auf, welche Vorteile für die an der Versorgung beteiligten Institutionen (in diesem Fall) mit dem Modell der Versorgungspartnerschaft zwischen Kunde und Kasse verbunden sind. Im Mittelpunkt steht die Individualisierung von Versorgung. Sebastian wurde genau die Therapie vorgeschlagen, die aufgrund seines individuellen Krankheitsverlaufes am sinnvollsten ist. Er bleibt von unnötigen Untersuchungen oder Arztbesuchen, die zu keinem spürbaren Mehrwert im Heilungsprozess führen, verschont. Zudem wird der Patient in organisatorischen Fragen des Versorgungsprozesses entlastet. Nachdem ihm bereits die sinnvollsten Leistungserbringer vorgeschlagen wurden, ist eine Terminvereinbarung in wenigen Sekunden möglich. Ein Anruf, der oft mit Wartezeit verbunden ist, entfällt.

Versorgung wird für Patientinnen und Patienten einfacher und schneller. Sie ist zudem wesentlich zielgenauer und effizienter gestaltet, da sie sich auf das konzentriert, was individuell am geeignetsten erscheint.

Für die Krankenkassen entsteht dadurch der Mehrwert, dass die Ausgaben wirklich nur dort anfallen, wo sie eine sinnvolle Investition in die Gesundheit des Kunden darstellen. Die Versorgung wird also durch die Idee der Versorgungspartnerschaft noch wirtschaftlicher. Darüber hinaus kann sie sich mit dem Modell der Partnerschaft im Wettbewerb differenzieren. Im Vergleich zu Krankenkassen, die keine Plattformlösung anbieten, differenziert sie sich über digitale Mehrwertangebote und ein gutes Empfehlungsmanagement. Bezogen auf andere Kassen, die ebenfalls ein Modell der Partnerschaft anbieten, entsteht ein Wettstreit um das bestmögliche Portfolio, die besten Mehrwerte, die besten Partner und die beste Versorgung.


Auch Leistungserbringer profitieren von diesem Partnerschaftsmodell. Es wird sichergestellt, dass auch aus ihrer Sicht unnötige Arzt- oder Krankenhauskontakte verhindert werden. Gleichzeitig werden bessere Voraussetzungen dafür geschaffen, dass notwendige Kontakte soweit möglich und medizinisch sinnvoll auf digitale Formen umgestellt werden. Die Konzentration der Patientinnen und Patienten auf die richtigen Leistungserbringer mit der notwendigen Fachkenntnis entlastet Praxen und Kliniken und schafft Raum für die Versorgung solcher Personen, die genau auf ihre Fachkenntnisse angewiesen sind. Für Patientinnen und Patienten und Leistungserbringer entsteht also ein „best match“. Der Leistungserbringer bekommt die Patientinnen und Patienten, die er aufgrund seiner Fähigkeiten bestmöglich versorgen kann, während der Patient den für ihn am besten geeignetsten Leistungserbringer bekommt.

Die zentralen Voraussetzungen einer gelingenden Partnerschaft

Verfügbarkeit von Gesundheitsdaten und Interoperabilität

Gesundheitsdaten bilden die zentrale Voraussetzung für ein Partnerschaftsmodell, denn eine sowohl quantitativ als auch qualitativ hochwertige Datenbasis ist Grundlage für ein gutes Empfehlungsmanagement. Heute stehen den Krankenkassen zunächst nur die Abrechnungsdaten der Leistungserbringer zur Verfügung, die zudem teilweise erst mit einem zeitlichen Verzug von mindestens sechs Monaten bei den Krankenkassen eingehen. Dieser drastische Zeitverzug ist vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung im Gesundheitswesen und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten nicht mehr hinnehmbar. Allerdings reichen Abrechnungsdaten allein nicht aus, um das Modell des Gesundheitspartners umsetzen zu können. Es sind weitere Daten aus unterschiedlichen Quellen notwendig, die Rückschlüsse auf den individuellen Gesundheitszustand zulassen und somit das Bild der Abrechnungsdaten ergänzen. Hier sind zum einen Daten gemeint, die die Kundinnen und Kunden selbst erheben, beispielsweise durch Fitness-Tracker oder andere Gesundheits-Apps. Zum anderen zählen aber auch weitere Daten aus der Versorgung dazu, die beispielsweise durch Untersuchungen und Therapien im niedergelassenen oder stationären Bereich entstehen und in der ePA zusammengeführt werden. Gemeint sind u.a. Laborberichte, Ergebnisse bildgebender Untersuchungen oder OP-Berichte in strukturierter Form. Die Pläne der gematik zur Weiterentwicklung der ePA sind in diesem Zusammenhang zwar vielversprechend. Allerdings wird noch viel Zeit vergehen, bis sich die ePA zu einem umfassenden digitalen Datenzentrum des Versicherten entwickelt hat.

Damit Daten verfügbar werden können, ist die individuelle Bereitschaft der Kundinnen und Kunden zur Teilnahme und zur gleichzeitigen Bereitstellung der Daten zu Auswertungszwecken der Kasse erforderlich. Auf eine Partnerschaft mit der Krankenkasse in Gesundheits- und Versorgungsfragen lässt sich der Kunde nicht automatisch mit Begründung der Mitgliedschaft in der Kasse ein. Kundinnen und Kunden müssen aktiv ihren Willen zur Teilnahme erklären. Nur dann können ihre Daten von der Kasse im Empfehlungsmanagement genutzt werden.

Die alleinige Existenz der Daten bringt noch keinen spürbaren Mehrwert. Solche Daten müssen dann auch verfügbar gemacht werden. Dies setzt sowohl eine vollständige Vernetzung als auch mehr Interoperabilität voraus.

Der Anschluss der Leistungserbringer an die Telematik-Infrastruktur ist zur Vernetzung in den vergangenen Jahren gut vorangeschritten. Die meisten niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte sind bereits an die Datenautobahn des Gesundheitswesens angeschlossen. Die Anbindung der Krankenhäuser und Apotheken schreitet ebenfalls voran. Dadurch wird ein unkomplizierterer Datenaustausch zwischen Leistungserbringern möglich und digitale Anwendungen wie die ePA können in Dokumentations- und Versorgungsprozesse eingebunden werden. Um aber auch andere Daten nutzen zu können, muss Interoperabilität gegeben sein. Schließlich reichen die Versorgungsdaten der ePA für die Möglichkeiten des Partnerschaftsmodells nicht aus. Eine Sicherung der durch die Kundinnen und Kunden selbst erhobenen Daten in Fitness-Trackern oder in einzelnen Apps auf dem Smartphone führt noch nicht zu einem Mehrwert in der Versorgung. Die Daten müssen einfach in die ePA transferiert werden können. Dies setzt eine digitale Schnittstelle für solche Anwendungen voraus, die das für Nutzer einfach ermöglicht und die somit Interoperabilität gewährleistet.

Künstliche Intelligenz, Datenschutz und Datennutzung

Ist die erforderliche Datenbasis der Versicherten geschaffen, so müssen Krankenkassen in der Lage sein, die Daten ihrer Kundinnen und Kunden für sie gewinnbringend zu nutzen. Dafür müssen Technologien eingesetzt werden, die den Mehrwert aus den großen Datenmengen generieren können. Künstliche Intelligenz spielt dabei eine immer wichtigere Rolle. In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Nutzungsmöglichkeiten ergeben und der Weiterentwicklungsprozess ist noch lange nicht erschöpft. Künstliche Intelligenz kann – letztlich wie Ärzte es heute auch tun, aber mit einer wesentlich größeren und aktuelleren Datenbasis – aus den Gesundheitsdaten der Versicherten Muster erkennen. Diese Muster geben beispielsweise darüber Auskunft, welche Therapie bei welchem Patienten mit welcher Erkrankung und gesundheitlicher Historie erfolgreich war. Daraus sind dann die individuellen Empfehlungen ableitbar und können mit Angeboten der Plattformlösung der Krankenkasse verknüpft werden. Kassen müssen dafür sowohl die technische Infrastruktur im Unternehmen schaffen, als auch die dafür erforderlichen Fachkräfte vorhalten. Die IT-Bereiche der Krankenkassen werden vor diesem Hintergrund in den kommenden Jahren spürbar wachsen.
Um die hier beschriebenen Möglichkeiten in Deutschland realisieren zu können, müssen wir uns intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wie wir unseren Datenschutz zukünftig sinnvoll

Eine rigide Auslegung und Umsetzung der DSGVO führt zu einem deutschen Datenschutz, der Mehrwerte aus der Digitalisierung im Gesundheitswesen bisher verhindert.

Dabei bedeutet Datennutzung nicht automatisch, dass Daten zu unseriösen Zwecken missbraucht werden. In anderen Ländern der Europäischen Union sehen wir, wie man mit der DSGVO gute Voraussetzungen schaffen kann, um sowohl den Datenschutzinteressen als auch den Vorteilen aus der Datennutzung im Gesundheitswesen gerecht werden zu können. Ein Gleichgewicht zwischen Datenschutz und Patientenschutz durch Datennutzung kann also gelingen. Diskutieren wir in Deutschland die Nutzung der Daten, so werden die Diskussionen oft mit dem Hinweis erstickt, dass ihr Schutz wichtiger sei. Das alleinige Interesse an einem starken Datenschutz scheint unantastbar. Dabei verlieren wir immer wieder aus den Augen, dass mit diesen Daten sehr viel Gutes i.S.d. Patientenschutzes bewegt werden kann.

Gesundheitsdaten müssen einem besonderen Schutz unterliegen, sie sind ein unbestritten hohes Gut. Allerdings muss dieser Schutz einen sinnstiftenden Umgang mit Daten ermöglichen.

Fazit

Es ist nicht zu akzeptieren, dass unser Datenschutz eine schnellere und einfachere Heilung einer Krankheit oder den Schutz vor ihr verhindert, obwohl es durch Datennutzung eigentlich möglich wäre. Wir berauben uns heute der Möglichkeiten, Versorgung im Sinne von Kranken, Gesunden, Leistungserbringern und Krankenkassen individueller und besser zu machen. Das Modell einer Partnerschaft in Gesundheit und Versorgung ist mit vielen Vorteilen für alle Beteiligten verbunden. Wir werden sie für eine zielgerichtetere und bessere Prävention, Therapie und Nachsorge aber nur nutzen können, wenn wir Datenschutz und Datennutzung in ein angemessenes Gleichgewicht bringen. Es gilt die Vorteile in den Mittelpunkt zu stellen und den Rahmen zu erfassen, in dem zum Wohle der Menschen Gesundheit partnerschaftlich besser gemacht werden kann.