Chancen der Plattformökonomie
für das Gesundheitswesen
nutzen
Jonas Pendzielek und Mandy Kettlitz

Die Digitalisierung revolutioniert, wie wir miteinander interagieren, im Gesundheitswesen genauso wie in anderen Branchen. Ein Blick über den Tellerrand hilft zu verstehen, wie die (digitale) Zukunft aussehen wird. Ein Trend der Digitalisierung in vielen Branchen ist die Etablierung von Plattformen zur Abwicklung von ökonomischen und kommunikativen Interaktionen. Dieser Artikel beschreibt, welchen Nutzen Plattformen für das Gesundheitswesen haben können und warum Krankenkassen als Orchestrator für solche Plattformen prädestiniert sind.

Zunächst werden Grundlagen zu Plattformen und der aktuelle Entwicklungsstand von Plattformen im Gesundheitswesen erläutert. Darauf wird identifiziert, welchen Nutzen Plattformen für das Gesundheitswesen haben können. Im dritten Abschnitt wird die Orchestratoren-Rolle vorgestellt und erläutert, warum Krankenkassen im besonderen Maße dafür geeignet sind. Basierend darauf wird im vierten Abschnitt eine konkrete, handfeste Vision beschrieben und die Vorteile für Patientinnen und Patienten und Leistungserbringer aufgezeigt. Der Artikel schließt mit Empfehlungen für Politik und Regulation

Die Autor:innen

Dr. Jonas Pendzialek

Jonas Pendzialek arbeitet im Digital Office bei der Techniker Krankenkasse in Hamburg. Dort beschäftigt er sich mit allen Aspekten der Digitalisierung von Krankenkassen und dem Gesundheitswesen. Zuvor war er in der strategischen Unternehmensentwicklung der TK und als Berater bei einer auf das Gesundheitswesen spezialisierten Top-Management-Beratung tätig. Er promovierte über den Wettbewerb in der GKV vor und nach der Einführung von Zusatzbeiträgen am Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln.

Mandy Kettlitz

Mandy Kettlitz ist im Digital Office in der Unternehmensentwicklung der Techniker Krankenkasse tätig. Ihre Aufgaben umfassen die strategische Ausrichtung und Koordination von digitalen Aktivitäten sowie deren regulatorischen Rahmenbedingungen. Davor war sie Referentin im Bundesministerium für Gesundheit in der Abteilung 5 „Digitalisierung und Innovation“. Als Diplom-Gesundheitsökonomin hat sie langjährige Erfahrungen im Bereich von Versorgungsinnovationen im Gesundheitswesen.

Plattformen und ihre Wirkung für das Gesundheitswesen

Definition Plattform

In der Literatur kursieren zahlreiche Begriffe wie digitale Ökosysteme, digitale Plattformen oder Plattformökosysteme. Im Prinzip meinen diese alle dasselbe.

Der Grundgedanke von Plattformökosystemen, hier kurz Plattform genannt, ist ein System bzw. Netzwerk, in dem verschiedene Akteure kooperieren mit dem Ziel, einen gegenseitigen Vorteil zu erlangen.

Im Mittelpunkt steht eine digitale, vermittelnde Plattform, auf der eine große Menge an Akteuren (Partnern) mit (potenziellen) Kundinnen und Kunden interagieren. Durch die gegenseitige Interaktion auf der Plattform entstehen direkte/indirekte Netzwerkeffekte – zum Nutzen aller (Frauenhofer IESE 2021).

Das Prinzip einer Plattform ist somit durch die Verflechtung von Partnern und digitalen Geschäftsmodellen Mehrwerte zu generieren. Diese Mehrwerte hätte ein einzelner Akteur nicht erreicht. Demnach ergeben sich folgende Prämissen für eine funktionierende Plattform

  1. Ein überlegenes Nutzenversprechen, welches Kundenbedürfnisse adressiert (Value Proposition),
  2. eine multilaterale Verflechtung der Partner ausgerichtet auf das gemeinsame Wertversprechen (Alignement)
  3. einen Orchestrator, der die Plattform initiiert und die Integration der Partner fördert (Gackstatter et al. 2019).
  4. Neben den Prämissen existieren weitere Faktoren, die Plattformen erfolgreich machen.

Neben den Prämissen existieren weitere Faktoren, die Plattformen erfolgreich machen.

„Erst wenn ein Ökosystem eine kritische Größe erreicht hat, können die Netzwerkeffekte beginnen zu wirken.“ (bitcom 2020)

Eine solche Skalierbarkeit innerhalb von Plattformen ist nur dann zu erreichen, wenn die Teilnahme grundsätzlich offen und freiwillig ist und nicht hinsichtlich Teilnehmenden oder Geschäftsmodellen reguliert wird (Nokaj 2021). Da größere Investitionen in den Aufbau und die Skalierung einer Plattform getätigt werden müssen, ist eine ausreichend hohe finanzielle Ausstattung und Ausdauer erforderlich.

Eine entscheidende Anforderung an Plattformen ist die Erfüllung von Kundenbedürfnissen und -erwartungen. Die Grundlage hierfür bilden Daten, um Kundenverhalten besser zu verstehen und darauf basierend ein attraktives Angebotsportfolio aufzubauen. Je attraktiver eine Plattform aus Kundensicht ist, umso attraktiver wird sie für weitere Partner. Eine wachsende Plattform erfordert wiederum ein skalierbares, funktionierendes Angebots- und Partnermanagement (Talin 2021).

Mit der raschen Skalierbarkeit von Geschäftsmodellen und dem Fokus auf Kundenbedürfnissen geht eine sich ständig ändernde Marktdynamik einher. Das erfordert ebenfalls ein gewisses Maß an Schnelligkeit, Resilienz und Anpassungsfähigkeit der Plattform (Talin 2021).

Plattformen in der Gesundheitsbranche

Bei der Gestaltung des digitalen Wandels im Gesundheitswesen liegt Deutschland im internationalen Vergleich weit hinten (Bertelsmann Stiftung 2018). Gleiches gilt für den Aufbau von Plattformen. Das liegt in der Struktur des deutschen Gesundheitswesens begründet, die den Aufbau und Betrieb einer skalierbaren Plattform erschwert. So steht dem Erfolgsfaktor Offenheit ein hochregulierter Markt mit teilweise regulatorischen und technischen Eintrittsschranken entgegen. Die Gesundheitsversorgung ist überwiegend sektorengesteuert und fragmentiert, die Vergütungs- und Regulierungsstrukturen sind gesetzlich normiert. So können sich freie Geschäftsmodelle kaum etablieren. Durch die sektorale Trennung haben sich außerdem spezifische IT-Systeme sowie Schnittstellen gebildet. Diese erschweren eine nahtlose Zusammenarbeit der verschiedenen Systeme untereinander (fehlende Interoperabilität). Ein weiterer Grund, warum sich die Akteure im deutschen Gesundheitswesen bislang kaum um die Entwicklung oder Beteiligung an Plattformen bemüht haben, liegt in der Regulierung der gesetzlichen Krankenversicherung begründet (Nokaj 2021).


Trotz aller Einschränkungen und Zutrittshürden haben sich auch hier vereinzelt Plattformansätze gebildet. Bei Weitem nicht in dem Ausmaß wie in anderen Branchen, die von marktbeherrschenden Unternehmen wie Apple und Google dominiert werden, was tendenziell zu einer Konzentration der Marktstrukturen führt (SVR Gesundheit 2021).


So finden sich hierzulande Ansätze von reinen Datenplattformen mit dem Fokus, große Datenmengen zu sammeln und zu analysieren. Weiterhin finden sich horizontale Plattformen, die sich auf ein bestimmtes Behandlungssetting z.B. Krebsbehandlung konzentrieren. Vertikale Plattformen hingegen integrieren verschiedene Schritte entlang der Wertschöpfungskette oder der Customer Journey, so beispielsweise Telemedizinanbieter mit Pharmaunternehmen/Apotheken. Vertikal als auch horizontal integrierte Plattformen (Metaplattformen) vernetzen verschiedene Angebote im Gesundheitssystem. Sie sind im deutschen Gesundheitswesen (noch) nicht vorhanden (Choueiri et al. 2020).

Rahmenbedingungen und Nutzen von Plattformen für das Gesundheitswesen

Die digitale Transformation hat das Verhalten und die Erwartungen der Menschen in allen Lebensbereichen verändert. Neue technische Möglichkeiten und die Verfügbarkeit von Informationen von überall führen dazu, dass Versicherte mobiler und besser informiert sind. Für das Gesundheitswesen bedeutet das, dass die Versorgung zunehmend über digitale Anwendungen und Kanäle erfolgen kann. Bedingt durch die Corona-Pandemie hat sich die Anzahl digitaler Anwendungen und einhergehend digitaler Geschäftsmodelle stark erhöht. Die Nachfrage nach Fernbehandlungen ist beispielsweise deutlich gestiegen (Mangiapane et al. 2021).

Der Fokus von Plattformen liegt auf der Erfüllung von Kundenbedürfnissen und -erwartungen.

Gleichzeitig legt der Gesetzgeber mit den Digitalisierungsgesetzen den Grundstein für den sicheren Datenaustausch im Gesundheitswesen über eine digitale Infrastruktur, einem zentralen Ort für Gesundheitsdaten (elektronische Patientenakte) und der Erstattungsfähigkeit und Ausweitung von digitalen Anwendungen (u.a. Videosprechstunden, Digitale Gesundheitsanwendungen etc.).


Wie im vorangegangenen Abschnitt dargestellt, liegt der Fokus von Plattformen auf der Erfüllung von Kundenbedürfnissen und -erwartungen. Dies gelingt durch stetige Verbesserung von Customer Journeys – hier konkreter Patient Journeys.

Eine Patient Journey bezeichnet den gesamten Zyklus, den eine gesunde oder kranke Person bei einem Gesundheitsanliegen durchläuft. Diese betrifft sowohl die Behandlung akuter sowie chronischer Erkrankungen als auch Maßnahmen der Gesunderhaltung und administrative Abläufe.

Das Umfeld ist zunehmend reif, um digitale Plattformen im deutschen Gesundheitswesen tragfähig zu machen. Damit lassen sich insbesondere zwei wertvolle Effekte erschließen:


Im Gesundheitswesen ist ein strukturierter Austausch von Daten entlang der Patient Journeys und damit über die Sektorengrenzen hinweg unabdingbar. Eine Plattform kann dabei deutlich effizienter sein als die gegenseitige Vernetzung über offene Standards. Digitale Plattformen können Daten aus angebundenen IT-Systemen sammeln und allen angeschlossenen Nutzerinnen und Nutzern des Gesundheitssystems auf Basis eines Datenschutz- und -zugriffskonzepts permanent zur Verfügung stellen. Eine verbesserte Verfügbarkeit sowie einheitliche Basis von Daten kann die medizinische Behandlung unterstützen, Informationsverluste oder Doppeluntersuchungen vermeiden als auch übergreifende Erkenntnisse aus den Daten generieren. Es wird transparent wie unterschiedliche Patient Journeys verlaufen und welche den besten Gesundheitserfolg und höchste Wirtschaftlichkeit versprechen.


Ein weiterer Vorteil, den Plattformen besonders gut bieten können, ist eine ganzheitliche Unterstützung der Patient Journeys. Eines der größten Probleme für Patientinnen und Patienten ist der Mangel an Transparenz und Orientierung im Gesundheitssystem. Darüber hinaus birgt das Thema Gesundheit oftmals eine hohe Komplexität, was es für Laien schwer macht, qualifizierte Entscheidungen zu treffen. Verglichen mit der Buchung einer Reise, bei der im schlechtesten Fall das falsche Hotel gewählt wird, kann die Wahl der falschen Versorgung oder des falschen Leistungserbringers weitreichende Folgen haben. Während insgesamt die Qualität der Versorgung in Deutschland als sehr gut bewertet werden kann, haben Patientinnen und Patienten häufig keine Möglichkeit dies für ihre spezielle Journey zu beurteilen. Sie müssen sich auf Meinungen einzelner, teilweise von weiteren Interessen beeinflusster, Akteure verlassen. Auf einer Plattform lassen sich evidenzbasierte Patient Journeys, insbesondere basierend auf Leitlinien, zielgerichtet zur Anwendung bringen. Damit wird den Patientinnen und Patienten jeweils immer der nächste, am besten geeignetste Schritt empfohlen. Dazu zählt auch das passgenaue Matching von Kundinnen und Kunden und Partnern durch die Plattform.

Krankenkassen in der Rolle des Orchestrators

Eine zentrale Rolle für die erfolgreiche Umsetzung einer Plattform kommt dem sogenannten Plattform-Orchestrator zu. Typischerweise zählen zu den Aufgaben eines Orchestrators die Definition von Zweck, Design und Vision der Plattform sowie die technische Entwicklung und der Betrieb der Plattform. Weiterhin legt der Orchestrator die Standards der Plattform-Interaktion fest und überwacht deren Einhaltung. Je nach Offenheitsgrad der Plattform bestimmt der Orchestrator die Regeln zur Teilnahme. Dadurch verantwortet er auch die Gewinnung und Bindung der (ausreichenden Anzahl an) Teilnehmenden (Partnern und Kundinnen und Kunden). Im laufenden Betrieb fördert er die Transaktionen zwischen den einzelnen Teilnehmenden auf der Plattform (Smedlund u. Faghankhani 2015; Eisenmann et al. 2008).

Die wichtigsten Voraussetzungen, um die Orchestrator-Rolle bestmöglich auszufüllen, sind:

  • eine gewisse Reichweite im Gesundheitswesen (kritische Masse)
  • Fähigkeiten, ein Partnernetzwerk (inkl. attraktivem Angebotsportfolio) aufzubauen
  • das Vertrauen der Patientinnen und Patienten sowie Finanzkraft bzw. finanzielle Ausdauer

Es existieren weitere Voraussetzungen, die an dieser Stelle nicht weiter betrachtet werden sollen. Neben den Erfolgsfaktoren ist aus einer Gesamtsicht des deutschen Gesundheitswesens auch die Auswahl eines vergleichsweise neutralen Akteurs als ganzheitlichen Dienstleister entscheidend. Insbesondere sollte der Verlust der Kundenschnittstelle des Gesundheitswesens an große Technologieriesen (Apple, Google etc.) vermieden werden.

Die gesetzlichen Krankenkassen befinden sich in einer einzigartigen Position, ein ganzheitlicher Dienstleister für das Gesundheitswesen zu sein.

Die gesetzlichen Krankenkassen befinden sich in einer einzigartigen Position, dieser Dienstleister für das Gesundheitswesen zu sein. Sie haben einen übergreifenden Blick auf das gesamte System und sind nicht nur auf die einzelnen Sektoren, Fachgebiete oder Regionen beschränkt, wie dies typischerweise für Leistungserbringer der Fall ist (Kettlitz et al. 2021). Demnach verfügen Krankenkassen bereits über eine große und gleichzeitig sektorenübergreifende Reichweite, haben eine direkte Kundenschnittstelle und verwalten Daten ihrer Versicherten, welche die gesamte Patient Journey abbilden.


Die Krankenkassen stehen zudem im Wettbewerb untereinander. Dadurch besteht ein gewisser Innovations- und Leistungsdruck dahingehend, den Versicherten die besten Angebote und Services zur Verfügung zu stellen. Durch diesen Druck haben sie bereits weitgehende Erfahrungen im Aufbau attraktiver Angebote und im Management mit Partnern aufgebaut (z.B. besondere Versorgungsformen, erweiterte Satzungsleistungen und digitale Services).


Da Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht gewinnorientiert handeln und darüber hinaus stark gesetzlich reguliert sind, ist ein möglicher Missbrauch von Daten der Versicherten oder eine Diskriminierung dieser maximal unwahrscheinlich und unmittelbar sanktionierbar. Daher können Versicherte ihren Krankenkassen durchaus vertrauen – insbesondere in Abgrenzung zu Technologie-Unternehmen, die Daten in jedem Fall kommerzialisieren (Kettlitz et al. 2021).


Auch in puncto Finanzkraft stehen die gesetzlichen Krankenkassen mehrheitlich gut da, wie das Deutschen Finanz-Service Institut (DFSI) in seinem Rating 2020/21 konstatiert (DFSI 2020). So können die Krankenkassen seit dem Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) in die Entwicklung digitaler Innovationen investieren und gleichzeitig aktiver Treiber für digitale Versorgungsinnovationen oder Gestalter digital gestützter Versorgungsprozesse sein (Deutscher Bundestag 2019). Damit erfüllen Krankenkassen die wichtigsten Voraussetzungen, um Orchestrator einer Plattform zu sein.

Gestaltungsmöglichkeit einer TK-Plattform

Wie die Orchestrator-Rolle durch eine Krankenkasse wie die TK ausgestaltet sein kann, soll die exemplarische Patient Journey von „Anna“ mit einer Plattform verdeutlichen.

Fallbeispiel

In unserem fiktiven Beispiel hat Anna bedauerlicherweise einen Unfall. Annas Ärztin diagnostiziert einen komplizierten Bruch und rät zu einer Operation im Krankenhaus. Die erhobenen Daten wie Diagnosen und Röntgenbilder stellt die Ärztin in Annas elektronische Patientenakte ein. Anna teilt ihre Daten über die Plattform der TK, um den TK-Zweitmeinungsdienst zu nutzen. Die Zweitmeinung ergibt, dass die Operation sinnvoll ist. Auf Basis der Diagnose und der notwendigen OP empfiehlt die TK direkt den geeignetsten Partner auf der Plattform für die Behandlung: das St. Suggestus-Krankenhaus in Annas Stadt. Dabei werden natürlich die persönlichen Kriterien und Präferenzen von Anna in die Empfehlung einbezogen. Da das St. Suggestus-Krankenhaus direkt mit der technischen Plattform vernetzt ist, werden Anna direkt drei mögliche freie Termine in der kommenden Woche vorgeschlagen. Mit einem Fingerdruck nimmt Anna einen Termin an. Aufgrund der zur Verfügung gestellten Daten „weiß“ die TK über Annas familiäre Situation und die bevorstehende OP Bescheid. Die Plattform bietet Anna daher proaktiv eine Haushaltshilfe an, welche Anna im Haushalt und bei der Kinderbetreuung unterstützt. Das Krankenhaus prüft die medizinische Notwendigkeit und stellt eine Haushaltshilfe-Verordnung aus. Anna wird so schnell und mühelos wieder richtig gesund.

An diesem simplen Beispiel wird bereits klar, welche deutliche Erleichterung eine solche Plattform und deren Unterstützung für die Patientinnen und Patienten darstellt und welchen wichtigen Beitrag die TK leisten kann.


Der Use Case zeigt plastisch die in der Bedarfsfeststellung abgeleiteten Vorteile, die den Patientinnen und Patienten aus der Nutzung der Plattform entstehen: Sie bekommen eine wirksame Unterstützung an die Hand und damit Orientierung und Sicherheit. Weiterhin bietet die Plattform durch Vermittlung von Partnern oder Terminen auf Knopfdruck sowie der gezielten Reduzierung eine deutliche Steigerung des Komforts gegenüber dem Status quo. Für die Patientinnen und Patienten ist es nicht leicht, die Folgen einer passgenauen Versorgung für ihre Gesundheit einzuschätzen. Genau diese Folge ist für sie jedoch am wichtigsten. Bei allen Vorteilen bleibt die Nutzung der Plattform natürlich freiwillig.


Auch für die Partner ergeben sich klare Vorteile durch die Teilnahme an der Plattform. Unmittelbar profitieren die Partner aus der erleichterten Gewinnung der richtigen, d.h. passenden, Patientinnen und Patienten zu ihrem jeweiligen medizinischen Fokus. Außerdem ermöglicht die Plattform optimierte betriebliche Abläufe, sowohl bei der Versorgung als auch bei notwendigen Verwaltungsaufwänden. In zweiter Instanz ergeben sich auch wettbewerbliche Aspekte für die Partner. Zum einen kann die Teilnahme an der Plattform die eigene unmittelbare Wettbewerbsposition absichern oder verbessern. Zum anderen ist eine vergleichsweise neutrale Kassen-Plattform gegenüber Plattformen der Industrie vorzuziehen – besonders deshalb, weil letztere stark divergierende Eigeninteressen haben – und um Eingriffe in die Therapiefreiheit zu vermeiden.

Fazit und Resümee

Für das deutsche Gesundheitswesen können Plattformen zahlreiche Mehrwerte bieten. Hauptsächlich profitieren Patientinnen und Patienten von einer sinnvollen, effektiven und abgestimmten Gesundheitsversorgung. In der Rolle des Orchestrators agieren Krankenkassen aktiv im Sinne ihrer Versicherten. Allerdings können Krankenkassen unter den bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen nur sehr eingeschränkt in der beschriebenen Orchestrator-Rolle fungieren:

Plattformen können zahlreiche Mehrwerte für das deutsche Gesundheitswesen bieten.

  • Die Möglichkeiten für Krankenkassen, Daten anzunehmen, zu speichern und zu verarbeiten, sind heute auf Abrechnungs- und Verwaltungszwecke eingeschränkt. Behandlungsdaten oder Daten aus dem Umfeld der Patientinnen und Patienten, mit denen gezielte, individualisierte Empfehlungen ausgesprochen werden können, zählen bislang nicht dazu. Krankenkassen sollten derartige Daten, die bislang nicht zum gesetzlichen Umfang gehören, speichern, verarbeiten und sinnvoll mit weiteren Daten zusammenführen dürfen. Nur so lassen sich echte, individualisierte Empfehlungen ermöglichen.
  • Eine aktive Begleitung und Unterstützung der Patientinnen und Patienten durch Krankenkassen – beispielsweise durch die konkrete Empfehlung geeigneter Partner – ist bislang nicht zulässig oder in einer rechtlichen Grauzone. Hauptsächlich, da dies einer freien Arztwahl oder dem Arztvorbehalt entgegenstehen könnte. Dabei können Patientinnen und Patienten in Krankheitssituationen regelmäßig überfordert werden – von der mangelnden Vernetzung der Ärztinnen bzw. Ärzte während ihrer Behandlung oder von den häufig fehlenden evidenzbasierten Gesundheitsinformationen. In solchen Fällen sollten Empfehlungen durch den Orchestrator bzw. auf der Plattform möglich sein, sofern diese objektiv und transparent begründet sind und dem Wohl der Patientinnen und Patienten dienen.
  • Die Generierung von Empfehlungen beruht auf Datenauswertungen. Um dies in ausreichend hoher Skalierung zu ermöglichen, ist der Einsatz von Anwendungen und Systemen mit Künstlicher Intelligenz (z.B. Maschine Learning) erforderlich. In diesem Bereich sind allerdings wichtige ethische und haftungsrechtliche Fragen beim Einsatz im Rahmen der medizinischen Versorgung noch zu klären.

Konkret ist die Politik gefragt, förderlichen Rahmenbedingungen und einen verbindlichen Ordnungsrahmen für die Einführung von Plattformen im Gesundheitswesen zu schaffen. Dazu zählen insbesondere:

  • Ausweitung der Ermächtigungsgrundlage für Krankenkassen Sozialdaten zielgerichtet auswerten zu können mit dem Ziel, frühzeitig Tendenzen von Über‑, Unter- und Fehlversorgung zu erkennen.
  • schnellere Datenverfügbarkeit und -nutzung zur Verbesserung der Versorgung
  • Nutzung von Schnittstellen und Standards im Gesundheitswesen verpflichtend durchsetzen (einheitliche, interoperable Datenformate und -standards)
  • Stärkung der Rolle der Krankenkassen als aktiver Begleiter ihrer Versicherten
  • Förderung der Innovationsfähigkeit der Krankenkassen durch erweiterte Kooperationsmöglichkeiten mit Partnern im Technologie- und Gesundheitsmarkt
  • Setzung eines strategischen Rahmens zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen
  • Herstellung von Rechtssicherheit bei der Einführung von Schlüsseltechnologien (hinsichtlich Haftung und Anwendungsklarheit)

Es ist an der Zeit, dass Krankenkassen die Möglichkeiten erhalten, die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems und der -versorgung im Sinne ihrer Versicherten aktiv mitzugestalten.

Literatur

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