Was ist
Value-Based Health Care?
Jens Deerberg-Wittram, Valerie Kirchberger
und Florian Rüter

Die Autoren

Dr. Daniel Diekmann

studierte Humanmedizin an der Charité Berlin und promovierte 2014. Er ist Geschäftsführer der ID GmbH & Co. KGaA sowie Vorsitzender des Verwaltungsrates der ID Suisse AG und der HCG Holding.

Der inhaltliche Schwerpunkt der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Auseinandersetzung Herrn Diekmanns liegen in den Bereichen Codierung, Nomenklaturen, Abrechnung. Zudem hat er zahlreiche Projekte zur Gesundheitskarte, Applikationen für Medikationssicherheit basierend auf klinischen Terminologien sowie internationale Projekte im Umfeld von Krankenhausinformationssystemen und zu Abrechnungssystemen basierend auf klinischen Terminologien umgesetzt.

Dr. André Sander

promovierte an der Charité im Bereich Medizinwissenschaften und beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit medizinischen Terminologien und Ontologien. Bei ID Information und Dokumentation ist er als CTO verantwortlich für moderne Softwarearchitekturen, die qualitativ höchsten Standards entsprechen. Seit 2017 ist er zudem Prokurist und Mitglied der Geschäftsführung. Der inhaltliche Schwerpunkt in der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Auseinandersetzung Herrn Sanders liegen in den Bereichen: medizinische Terminologien und Ontologien, semantische Analysen medizinischer Freitexte, Natural Language Processing, Arzneimittel- und Therapiesicherheit, internationale Standards im Gesundheitswesen und skalierbare Terminologieserver.

Das deutsche Gesundheitswesen: Ein gesundes System?

In Zeiten, in denen uns Deutschen der politische Konsens abhanden zu kommen scheint, ist unser Gesundheitswesen eine der letzten Bastionen breiter Zufriedenheit. Politiker aller Fraktionen und Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen sind sich einig: Das deutsche Gesundheitswesen ist eines der besten der Welt! Ein wesentlicher Grund für diese Einschätzung ist die Tatsache, dass kaum ein Land so uneingeschränkten Zugang zu ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen gewährt. Und wir sind es gewohnt, dass wir für diese Leistungen fast nichts zuzahlen müssen. Dabei sind die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse im Vergleich zu anderen Industrienationen niedrig. Ist Deutschland also das „gelobte Land“, das auch ohne „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen die Vollversorgung einer immer älteren und anspruchsvolleren Bevölkerung meistert?

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Produktivität unseres Gesundheitswesens sicherlich sehr hoch ist. Wer in einer Arztpraxis, einer Pflegeeinrichtung oder einem Krankenhaus arbeitet, der weiß, mit welcher „Drehzahl“ wenig Personal immer mehr Patienten versorgen muss.

Das deutsche Gesundheitswesen ist fragmentiert, oft intransparent, manchmal ungerecht und voller Qualitätsdefizite. Das wirtschaftliche Überleben der Leistungserbringer spielt bei immer mehr medizinischen Entscheidungen eine Rolle, und die wirksamsten „Hebel“ heißen Fallzahlsteigerung oder Kostensenkung – am besten sogar beides auf einmal. Ein solches System verliert das große Ziel aus den Augen, um das es eigentlich geht: den Patienten gesund zu machen und dabei die Kosten im Auge zu behalten. Das Verhältnis der medizinischen Ergebnisqualität zu den Versorgungskosten einer Behandlung nennt der US-Amerikanische Wirtschaftsprofessor Michael Porter Value (Porter u. Teisberg 2006). Ein System, das den Value systematisch fördert, bezeichnen sie als Value-Based Health Care (VBHC). Der mangelnde Fokus auf den Value hat auf lange Sicht auch wirtschaftliche Folgen. Fallzahlsteigerung bedeutet wachsende Ausgaben für das Gesundheitssystem, und der mangelnde Fokus auf die Versorgungsqualität befördert vermeidbare Komplikationen, Nachbehandlungen und Notfälle. Die besonderen Belastungen des Gesundheitssystems in den Jahren der COVID-Pandemie haben die Rücklagen der gesetzlichen Krankenkasse und des Gesundheitsfonds vollständig aufgebraucht. Das deutsche Gesundheitswesen ist praktisch pleite, und nur eine rasche Umorientierung kann verhindern, dass wir Leistungen rationieren müssen und damit kranke Menschen benachteiligen.

Value als übergeordnetes Ziel

Value ist nach der Definition von VBHC quantifizierbar, weil sowohl die Ergebnisqualität als auch die Kosten einer Behandlung gemessen werden können. Damit kann Value auch als Zielgröße eines Wettbewerbs im Gesundheitswesen dienen: Die Ärzte oder die Kliniken, die den höchsten Value erzielen, sollen im Wettbewerb gewinnen!

Wettbewerb im Gesundheitswesen

Im Wettbewerb des Gesundheitswesens bemühen sich die Anbieter von Leistungen (Ärzte und Kliniken), dass die Nachfrager von Leistungen (Patienten, zuweisende Ärzte und ggf. auch Kostenträger) ihre Versorgungsangebote in Anspruch nehmen. Im idealen Wettbewerb gibt es ausreichend Angebote, Transparenz über die wichtigsten Unterschiede zwischen den Leistungserbringern und ihren Angeboten und Wahlfreiheit der Nachfrager. Im idealen Wettbewerb um den größten Value wird die Auswahl auf Basis von Daten und objektivierbaren Kriterien über Qualität und Kosten getroffen. Fehlen solche Daten oder Kriterien, dann „gewinnen“ möglicherweise die Gesundheitsleistungen, die unnötig oder gar schädlich sind. Und vergisst man den Kostenaspekt, dann wird die Versorgung so teuer, dass zumindest Teile der Bevölkerung von wichtigen Behandlungen ausgeschlossen sind. Ein Beispiel für einen dysfunktionalen Wettbewerb im Gesundheitswesen ist die Versorgung mit langstreckigen Wirbelsäulenversteifungen in Deutschland. Diese Operationen sind sehr teuer, nur für ausgewählte Patientengruppen medizinisch indiziert und in der Durchführung anspruchsvoll. Da oft keine objektiven Kriterien bei der Indikationsstellung herangezogen werden und die Qualität der Operation selten transparent gemacht wird, werden immer mehr dieser teuren Eingriffe an Patienten durchgeführt, die davon nicht profitieren können oder sogar darunter leiden (Zich u. Tisch 2017).

Ergebnisqualität

Was ein gutes medizinisches Ergebnis ist, kann nur der Patient beurteilen. Diese Feststellung macht nach wie vor einigen Ärzten zu schaffen: Was soll man machen, wenn die Erwartungen des Patienten unrealistisch sind? Und warum soll ein Arzt für mehr verantwortlich gemacht werden als die perfekte Durchführung einer Operation oder das Verschreiben der richtigen Medikamente? Kann ein Arzt „schuldig“ sein, wenn sich ein Implantat lockert oder der Patient das Einnehmen seiner Tabletten immer wieder vergisst?


Zunächst geht es beim Konzept der Ergebnisqualität nicht um Verantwortung oder gar Schuld. Sondern es geht um das Erheben von aussagekräftigen Daten und ein gemeinsames Verständnis von Erfolg oder Misserfolg. Wenn der Patient nach der Rückenschmerz-Operation genauso große Schmerzen hat wie vorher, dann ist das schlechte Ergebnisqualität, egal wie kunstvoll operiert wurde oder wie fehlerlos das postoperative Röntgenbild aussieht. War dieses Ergebnis vorherzusehen und wurde der Patient nicht entsprechend aufgeklärt, dann ist das ein schlimmes Versäumnis. Und Aufklärung bedeutet nicht nur das Hinweisen auf mögliche Komplikationen! Auch wenn das zuverlässige Einnehmen von Medikamenten bei einem alleinlebenden und leicht dementen Patienten nicht sichergestellt ist, dann ist das „einfache Verschreiben“ nicht ausreichend. Deshalb gilt im Sinne vom Value: Nur wenn eine Behandlung zu einer messbar besseren Lebensqualität, einer Linderung von Krankheitssymptomen und Schmerzen oder zumindest zum Aufhalten einer progredienten Krankheit führt, kann von einem guten Ergebnis gesprochen werden. Diese Ergebnisqualität muss abhängig vom Krankheitsbild in vielen Dimensionen gemessen werden (Porter 2010). Dabei reicht nicht eine kurze Momentaufnahme z.B. bei Entlassung aus dem Krankenhaus oder beim Besuch des Hausarztes. Ergebnisqualität muss konsequent vom Auftreten erster Symptome an bis zum Abschluss der Behandlung regelmäßig und mehrdimensional erfasst werden. Nur in der Langzeitbetrachtung können wir feststellen, ob eine Behandlung wirklich nachhaltig erfolgreich war. Für die Messung der Ergebnisqualität aus Patientensicht haben sich in den letzten Jahren sogenannte Patient-Reported Outcomes (PROMS) etabliert (Black 2013). PROMs sind validierte und wissenschaftlich akzeptierte Instrumente, die als standardisierte Fragebögen eine valide und reliable Information über bestimmte Dimensionen der funktionalen, kognitiven und mentalen Fähigkeiten des Patienten geben. Im Idealfall messen alle Anbieter ihre Ergebnisqualität auf eine standardisierte Weise und machen die Daten nach innen und außen transparent. So ist nicht nur gewährleistet, dass sich Patienten und Zuweiser informieren können, sondern die Transparenz über die eigene Qualität kann gezielt für Verbesserungsmaßnahmen genutzt werden.

Behandlungskosten

Für die Beurteilung des Value ist es notwendig, auch die relevanten Behandlungskosten zu kennen. Die finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen sind begrenzt. Deshalb müssen wir uns für die Behandlungen entscheiden, bei denen einer möglichst guten Ergebnisqualität vernünftige Gesamtkosten gegenüberstehen. Ähnlich wie bei der Betrachtung der Ergebnisqualität müssen dabei alle anfallenden Kosten über den gesamten Behandlungsverlauf des Krankheitsbildes erfasst werden. Aus Sicht des Gesundheitssystems ist die isolierte Beurteilung der Kosten eines Eingriffs (z.B. einer Herzoperation) nicht ausreichend. Wichtiger ist vielmehr, wie hoch die Kosten der Behandlung der kardiovaskulären Erkrankung insgesamt waren (wobei die Operation wahrscheinlich ein signifikanter Kostenblock war), und ob eine alternative Behandlung (z.B. eine medikamentöse Therapie oder ein Herzkathetereingriff) bei niedrigeren Kosten zu einer ähnlichen Ergebnisqualität geführt hätte.

Die Messung von Value

Im Idealfall werden für jeden Patienten sowohl die Krankheitsbild-spezifischen medizinischen Ergebnisse als auch die Kosten der gesamten Behandlung erfasst. Das ist in Deutschland gerade wegen der Trennung des ambulanten und stationären, des akutmedizinischen und des rehabilitativen Sektors oft schwierig. Doch einige fortschrittliche Organisationen machen bereits seit langer Zeit vor, wie man trotz dieser Hürden für einige Krankheitsbilder den Value erfassen kann. So erfasst die Martini-Klinik in Hamburg, ein Spezialkrankenhaus für die Behandlung des Prostatakarzinoms, bereits seit über 25 Jahren die Ergebnisqualität aller Patienten vom Behandlungsbeginn bis zum Lebensende (Huland et al. 2018). Auch die Charité in Berlin (Karsten et al. 2018), das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und das Unispital Basel erfassen für einzelne Patientengruppen die Ergebnisqualität nach Standards des International Consortium for Health Outcomes Measurement (ICHOM) (Porter et al. 2016).


Die standardisierte Messung der Ergebnisqualität ist mithilfe digitaler Erfassungstools deutlich einfacher geworden. Früher mussten die Patienten Papierfragebögen ausfüllen, die dann zu Auswertungszwecken aufwändig in Datenbanken übertragen wurden. Vor allem die Nacherfassung Monate oder Jahre nach Verlassen des Krankenhauses war schwierig, weil z.B. Patienten umgezogen waren oder weil die das Zurückschicken der Fragebögen vergaßen. Heute können die Eingaben von den Patienten über datensichere Portale am Computer, am Tablet oder Smartphone erfolgen. Der Aufwand für die Patienten ist damit sehr gering, und die Klinik kann den Patienten unmittelbar wichtige Rückmeldungen zum Genesungsverlauf geben. Die so gewonnenen Daten können direkt verarbeitet und z.B. bei Visiten oder Ambulanzbesuchen verwendet werden. Studien zur Nutzung von PROMS bei der Symptomkontrolle von Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen haben gezeigt, dass die konsequente Messung der Behandlungsqualität nicht nur die Lebensqualität der Patienten, sondern auch das Gesamtüberleben signifikant verbessert (Basch 2017).

Weniger etabliert als die Messung der Ergebnisqualität ist die routinemäßige Erfassung der Behandlungskosten für Patienten mit einem bestimmten Krankheitsbild. Die meisten Krankenhäuser verfügen über eine Kostenstellenrechnung, bei der die Kosten der verschiedenen Patientengruppen einer Abteilung nicht getrennt betrachtet werden. Lediglich Kostenstellen, die nur Patienten mit einem einzigen Krankheitsbild umfassen, lassen Rückschlüsse auf die durchschnittlichen Behandlungskosten pro Patient im Krankenhaus zu. Allerdings umfassen die Kosten einer Patientengruppe auf Ebene des Gesundheitssystems auch die Kosten vor und nach dem Krankenhausaufenthalt. Um diese sinnvoll erfassen zu können, ist es notwendig, den gesamten Behandlungsprozess detailliert zu dokumentieren, um dann die Prozesskosten der einzelnen Aktivitäten zu erheben. Das dafür geeignete Kostenrechnungsverfahren und seine Anwendung für Analysen von Value sind gut beschrieben (Kaplan u. Porter 2011). Die systematische Erfassung der Behandlungskosten auf Ebene von Krankheitsbildern ist zumindest in einigen hochspezialisierten Fachkliniken üblich.

Die kontinuierliche Messung der medizinischen Ergebnisqualität und der dafür aufgewendeten Kosten ermöglichen Vergleiche, auf Basis derer die Leistungserbringer Verbesserungsprojekte durchführen können. Diese haben zum Ziel, dass entweder die medizinischen Ergebnisse besser werden oder, bei gleichbleibend hoher Qualität, die Kosten sinken. Reine Ergebnisverbesserung ohne Kostenkontrolle kann leicht zu ausufernden Kosten führen. Kostensenkung ohne Qualitätsmessung führt schnell dazu, dass man „am falschen Ort“ spart.

Vergütungsmodelle, die Value honorieren

Wenn ein Krankenhaus zusammen mit niedergelassenen Ärzten einen großen Value erzielt und nachweisen kann, dann kann das die Grundlage für qualitätsorientierte Vergütungsmodelle sein. In solchen Vergütungsmodellen garantieren die Leistungserbringer gegenüber den Kostenträgern typischerweise eine bestimmte Ergebnisqualität und nehmen Abschläge bzw. Zusatzkosten in Kauf, sollte die vereinbarte Qualität nicht erreicht werden. Im Jahr 2016 wurden im Krankenhausstrukturgesetz die rechtlichen Voraussetzungen für Qualitätsverträge zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen in Deutschland geschaffen (Krankenhausstrukturgesetz 2015). Derzeit haben also Krankenhäuser für vier Krankheitsbilder (u.a. für die endoprothetische Versorgung von Patienten mit fortgeschrittener Arthrose) Vergütungsvereinbarungen getroffen, bei denen ein nachweisbar verbesserter Value wirtschaftliche Vorteile für die Klinik und die Kostenträger haben soll. Im Jahr 2022 sind weitere vier Leistungsbereiche, unter anderem der wichtige Bereich der Geburten, für Qualitätsverträge geöffnet worden.

Beispiel: Qualitätsorientierte Vergütung orthopädischer Leistungen in Schweden

Schwedens nationales Gesundheitssystem ist steuerfinanziert und es garantiert allen Schweden eine umfassende Gesundheitsversorgung ohne Zuzahlungen oder Leistungsbegrenzungen. Die allermeisten Leistungserbringer sind öffentliche Einrichtungen und die Gesundheitsversorgung ist regional organisiert. Um einer Kostensteigerung durch unkontrollierte Mengenausweitungen entgegenzuwirken, werden einige elektive Leistungen regional ausgeschrieben. Qualifizierte Krankenhäuser können um Mengendeputate bieten, die sie dann im vereinbarten Zeitraum „abarbeiten“. Dieses Vergabeverfahren wurde vom für die Gesundheitsversorgung zuständigen Bezirksrat von Stockholm seit 2009 genutzt, um im sogenannten Orthochoice-Programm Krankenhäuser zu bestimmten Qualitätsgarantien zu verpflichten. Hierbei wurde den beteiligten Kliniken für endoprothetische Leistungen ein Leistungsbündel vergütet, das diagnostische, akuttherapeutische und rehabilitative stationäre und ambulante Leistungen umfasste. Für die Endoprothetik werden in Schweden schon seit den 70er-Jahren in einem nationalen Qualitätsregister umfassende Daten unter anderem zu kurzfristigen und langfristigen Komplikationen nach Gelenkersatzeingriffen erhoben. Auf Basis dieser Daten mussten die am Orthochoice-Programm beteiligten Kliniken Garantien u.a. für vermeidbare Komplikationen und Reoperationen geben. Alle mit solchen unerwünschten Ereignissen verknüpften Zusatzkosten waren mit der Fallpauschale abgegolten und mussten ggf. vom Krankenhaus getragen werden. Das Orthochoice-Programm führte zu einem signifikant besseren Value. Komplikationen gingen im Laufe weniger Jahre um 26% zurück, Reoperation sogar um 36%, und die Kosten sanken um durchschnittlich 20% (Porter et al. 2014).


Ermutigt durch diese Ergebnisse startete der Stockholmer Bezirksrat im Jahr 2014 ein noch weiter entwickeltes Programm, diesmal für Patienten mit Rückenschmerzoperationen. Wieder war das Ziel, Kosten zu sparen und Qualität zu steigern. Zusätzlich sollten aber auch unnötige Eingriffe verhindert werden. Hierfür wurden erstmals neben Daten zu Patientenmerkmalen und Komplikationen auch PROMs genutzt. Das Modell umfasst eine prospektive Vergütung, die von der Art des Eingriffs und der durchschnittlichen Fallschwere abhängig ist, sowie eine leistungsabhängige Vergütung, die von der verbesserten Lebensqualität und Schmerzsituation des Patienten ein Jahr nach der Operation bestimmt wird. Vergütet wird wiederum ein Leistungsbündel, das den Krankenhausaufenthalt des Patienten sowie die Vor- und Nachbehandlung umfasst. Die leistungsabhängige Komponente macht 10% der Gesamtvergütung aus, wobei sie abhängig von den Schmerzen des Patienten bis zu 27% niedriger oder 34% höher ausfallen kann. Dies bedeutet für die Kliniken im schlimmsten Fall, dass auch bei einer exzellent durchgeführten Operation schmerzhafte finanzielle Abschläge fällig werden, wenn der Patient von dem Eingriff nicht profitiert. Dieses Vergütungsmodell lässt Kliniken einerseits vorsichtiger bei der Indikationsstellung für eine Operation und gleichzeitig gründlicher bei der Vor- und Nachbehandlung werden. Schwierige Eingriffe werden nur noch von Kliniken durchgeführt, die ausreichend Erfahrung haben, und einige Krankenhäuser spezialisieren sich sogar auf anspruchsvolle Patientengruppen, bei denen auch leichte Verbesserungen schon „gute Ergebnisse“ sind. Erste Daten zeigen, dass dieses Vergütungsmodell tatsächlich zu niedrigeren Kosten, besserer Nachbehandlung, weniger Komplikationen und weniger vergeblichen Eingriffen führt (Porter et al. 2014).

Beispiel: Qualitätsorientierte Vergütung für die Brustkrebsbehandlung in den Niederlanden

Das Krankenversicherungsgesetz von 2006 in den Niederlanden hat privaten Krankenversicherern die Aufgabe übertragen, ein bezahlbares und für alle zugängliches Gesundheitswesen mit hoher Versorgungsqualität sicherzustellen. Dies führte zur Implementierung des VBHC-Konzepts im niederländischen Gesundheitswesen. Krankenversicherungen erwerben hier Versorgungsleistungen von Krankenhäusern durch Selektivverträge, in denen Preis und Qualität festgelegt werden.


Zilveren Kruis, die größte niederländische Krankenversicherung, hat in fünf Pilotprojekten (Kataraktchirurgie, Brustkrebschirurgie, Neugeborenenversorgung, Depressions- und Angststörungstherapie und Suchtbehandlung) mit verschiedenen Krankenhäusern innovative Versorgungsverträge abgeschlossen, die Ergebnisqualität und Kosten besonders berücksichtigen (Dohmen u. van Raaij 2018). Am Auswahlprozess für diese Verträge haben insgesamt 90 Krankenhäuser teilgenommen.

Vier wesentliche Elemente haben die Verträge gekennzeichnet:

  1. Das Krankenhaus und nicht der Versicherer legt auf Basis seiner eigenen Erfahrung fest, welche Kriterien zu berücksichtigen sind.
  2. Das Krankenhaus übernimmt volle Verantwortung für die erreichte Ergebnisqualität.
  3. Der Versicherer definiert keine Mindestvoraussetzungen bei der Auswahl der Krankenhäuser, d.h. jedes Krankenhaus kann prinzipiell teilnehmen.
  4. Die Auswahl des Krankenhauses erfolgt allein auf Basis der historischen Versorgungsqualität (bei den im Vertrag relevanten Qualitätsindikatoren), nicht der Preise oder Kosten.

Santeon ist eine Gruppe von sechs unabhängigen Krankenhäusern in den Niederlanden, die 2010 zusammenkamen, um das Thema Value systematisch weiterzuentwickeln (Okunade et al. 2017). Eine Vereinbarung dieser Zusammenarbeit war die einheitliche Messung der Ergebnisqualität für bestimmte Krankheitsbilder an jedem Standort und der Vergleich der Patientendaten. Die regelmäßigen Treffen und Datenanalysen führten zu signifikanten Verbesserungen der gemessenen Qualität. Aufgrund ihrer herausragenden Ergebnisqualität schlossen die Santeon-Krankenhäuser Ende 2016 mit drei der vier großen Krankenversicherer in den Niederlanden qualitätsorientierte Versorgungsverträge ab. Die Vergütung basiert auf der Ergebnisqualität der Brustkrebsbehandlung und kann je nach Behandlungsergebnis zwischen 95 und 105 Prozent der Fallpauschale liegen. Krankenhäuser erhalten auch einen Bonus für Verbesserungen gegenüber dem Vorjahr, und das beste teilnehmende Krankenhaus erhält einen zusätzlichen Bonus. Die Transparenz der Daten, der Vergleich mit anderen Anbietern und finanzielle Anreize sollen die Qualität der Santeon-Kliniken weiter verbessern und ihre Positionierung als Gruppe von Qualitätskliniken stärken.

Qualitätsorientierte Vergütung für die Behandlung jugendlicher Diabetiker in den Niederlanden

Typ-1-Diabetes tritt normalerweise im Kindes- und Jugendalter auf und erfordert eine kontinuierliche Kontrolle des Blutzuckerspiegels. Diese Kontrolle erfolgt durch regelmäßige Messungen, Insulinersatz und eine angepasste Lebensweise. Die Herausforderung besteht darin, dass der Blutzuckerspiegel über den Tag und im Laufe des Lebens stark schwankt. Jugendliche haben besonders Schwierigkeiten, sich an die erforderlichen Verhaltensregeln zu halten. Unzureichend kontrollierter Diabetes kann zu Notfällen und schwerwiegenden Folgeerkrankungen führen.


Diabeter, eine Klinikkette in den Niederlanden, hat ein innovatives Versorgungskonzept für Jugendliche mit Typ-1-Diabetes entwickelt. Die Patienten besuchen nur viermal im Jahr eine der Diabeter Kliniken, werden aber regelmäßig über digitale Kommunikationsmittel und Messdatenübertragungen überwacht. Diabeter verwendet modernste Mess- und Infusionstechnologien und nutzt die Patientendaten zur Weiterentwicklung des Versorgungsmodells.


Diabeter konnte nachweisen, dass es eine bessere kurz- und langfristige Blutzuckerkontrolle sowie die Vermeidung von Folgeerkrankungen im Vergleich zu anderen Kliniken in den Niederlanden bietet. Innerhalb weniger Jahre hat Diabeter einen großen Anteil der Menschen mit Typ-1-Diabetes in den Niederlanden unter Vertrag genommen. Im Jahr 2018 schloss Diabeter mit der größten Krankenversicherung der Niederlande einen zehnjährigen Versorgungsvertrag ab, der nicht die Menge, sondern den Value der Leistungen berücksichtigt. Dieser Vertrag umfasst eine Gesamtvergütung für alle relevanten Versorgungsleistungen und medizinischen Geräte. Diabeter kann entscheiden, wie diese Vergütung für die Versorgung der einzelnen Patienten eingesetzt wird. Die Vergütung berücksichtigt die kurz- und langfristige Blutzuckerkontrolle sowie die Vermeidung von Komplikationen. Die erzielten Zuschläge werden von Diabeter verwendet, um das Versorgungsmodell weiterzuentwickeln (Zilveren Kruis 2018).

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