Ein Prozessmanagement,
das Resilienz fördert:
Paradoxon oder Synergieeffekt?
Felicitas Marx, Sara Mertke und Toralf Karge

Die Autoren

Felicitas Marx

Felicitas Marx leitet seit 2022 den Geschäftsbereich Versorgungssteuerung bei der Techniker Krankenkasse, der einen großen Anteil der Kerngeschäftsprozesse in sich vereint. Sie verfügt als Betriebswirtin über 17 Jahre Führungserfahrung in Managementfunktionen von Kliniken, ambulanten Ärzte-Zusammenschlüssen sowie einer weiteren großen Krankenkasse.

Sara Mertke

Sara Mertke hat bis 2003 ihre Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten bei der Techniker absolviert und an der Hamburger Fernhochschule Betriebswirtschaft studiert. In ihrer beruflichen Laufbahn, z.B. im Vertrieb, in der Kundenbindung, im Personalrat und in HR, hat sie ihre Erfahrungen mit den TK-Prozessen kontinuierlich ausgebaut. Als Teilprojektleiterin im strategischen Projekt Prozessexzellenz fand sie ihre Berufung im Prozessmanagement. Sara Mertke leitet seit 2021 ein Team von Inhouse Process Consultants. Gemeinsam mit den Process Analysts und den Projekt-Entwickler:innen unterstützen sie die operativen Bereiche dabei, die Prozessorientierung in der TK zu etablieren. Dafür entwickeln sie prozessübergreifende Standards und befähigen die Mitarbeitenden, die BPM-Methoden und Tools für ihre Prozesse optimal anzuwenden.

Toralf Karge

Toralf Karge beendete 2014 seine Ausbildung zum Kaufmann im Gesundheitswesen und hat seit 2016 bei der Techniker Krankenkasse Erfahrungen sowohl auf der operativen als auch auf der konzeptionellen Seite des Unternehmens gesammelt. In vielen unterschiedlichen Einheiten und Leistungsarten hat er sich für effiziente und kundenorientierte Prozesse eingesetzt. Seit 2021 leitet er das Fachteam Geldleistungen im Geschäftsbereich Versorgungssteuerung der Techniker Krankenkasse. Er und das Team sorgen für exzellente Prozesse in den Fachzentren Krankengeld und waren Vorreiter für die operative Umsetzung des Prozessmanagements innerhalb der TK.

Wie Prozessmanagement entstand und warum sein Potenzial lange nicht genutzt wurde

Die Geschichte des Prozessmanagements hängt eng mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft zusammen. In der Zeit der Agrarwirtschaft gab es keine nennenswerte Arbeitsteilung. Erst mit der Industrialisierung mussten einheitliche, gut aufeinander abgestimmte Arbeitsabläufe gewährleistet werden. Nicht nur unter den Arbeitskräften, sondern auch zwischen Menschen und den von ihnen genutzten Maschinen.

1895 begründete Taylor das Qualitäts- bzw. Prozessmanagement mit der Zerlegung von Arbeitsabläufen in planerische und ausführende Tätigkeiten. 20 Jahre später begann die Massenproduktion. Der Mensch wurde Teil einer strikt getakteten Produktionskette mit streng festgelegten, monotonen Arbeitsabläufen.
In den 1930er-Jahren fing die Entwicklung von Rechenmaschinen und 30 Jahre später der Software an. Die Erfindung von Mikroprozessoren läutete 1969 eine Revolution der Arbeitswelt ein. Sie ermöglichten eine speicherbasierte Steuerung der Maschinen und damit die heutige Digitalisierung.

Das Prozessmanagement entwickelte sich eigenständig weiter. In westlichen Ländern ging es lange darum, Produktionsprozesse zu überwachen und vorgeschriebene Abläufe über Flussdiagramme darzustellen. Asien ging ab den 1950er-Jahren andere Wege: In Japan entstand die „Kaizen“-Philosophie, was so viel wie „Wandel zum Besseren“ bedeutet. Bewährte Abläufe wurden kontinuierlich, in kleinen Schritten verbessert. Mit dem Toyota Produktionssystem (TPS) wurde die Wertschöpfungskette erstmals ganzheitlich und kundenzentriert optimiert.

Erst ab den 1990er-Jahren antizipierte der Westen die Kontinuierliche Verbesserung (KVP) und das LEAN Management. In der Hoffnung, Komplexität zu reduzieren, entstanden zahllose, kaum standardisierte Prozessmodelle. Abläufe beschrieb man so, wie man es für den betrachteten Ausschnitt am besten hielt. Wenige Qualitäts- oder Prozessmanagende pflegten schnell alternde Modelle. KVP-Zirkel wurden, häufig in der Produktion, losgelöst davon etabliert. Der Rest des Unternehmens ging weiter seiner Arbeit nach. Das Prozessmanagement blieb lange weit hinter seinem Potenzial zurück, bis Workflows in der Softwareentwicklung den Bedarf auslösten, Abläufe standardisiert darzustellen und maschinell zu steuern.

Wie ein exzellentes Prozessmanagement heute die Resilienz stärken kann

Die digitale Transformation führt uns zur Wissensgesellschaft. Dank der Digitalisierung (Umwandlung analoger Informationen in digitale Formate) nimmt die Automatisierung (Ausführung von Prozessabläufen ohne die Beteiligung von Menschen) exponentiell zu. Für den Erfolg ist es unumgänglich, dass Mensch und Technik harmonieren. Prozesse sind in komplexen Enterprise-Systemen verbunden. Das Internet hebt Unternehmens- oder Landesgrenzen auf. Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz und Robotics helfen, mit der Komplexität umzugehen. Oder sie führen dazu, sich in ihr zu verlieren.

Neben der schwer handhabbaren Komplexität (C) stehen Organisationen in der VUCA-Welt (s. Kap. I.6) vor weiteren Herausforderungen: Volatilität (V), Unsicherheit (U) und Ambiguität (A). Sie müssen sich flexibel an veränderte, globale Umfeldbedingungen anpassen. Resiliente Individuen überstehen schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung. Resiliente Organisationen kehren aber nicht einfach zur alten Form zurück. Sie gestalten nachhaltige Transformationen – proaktiv und rechtzeitig und befinden sich dabei in einem permanenten evolutionären Prozess.

Man kann Prozesse nicht nicht managen.

Organisationsentwicklungsansätze wie Sprial Dynamics, die Lernende Organisation oder New-Work-Konzepte beschäftigen sich damit, wie Organisationen in der Zukunft sein müssen, um am Markt zu bestehen. Dabei bleibt jedoch öfter das Gesetz von Conway (Conway 1968) unbeachtet: „Organisationen, die Systeme entwerfen, […] sind gezwungen, Entwürfe zu erstellen, die die Kommunikationsstrukturen dieser Organisationen abbilden“. Ein Beispiel: In einem Unternehmen sind drei große Softwaresysteme im Einsatz, die von drei Entwicklergruppen umgesetzt werden. Um einen E2E-Prozess zu bearbeiten, werden alle drei Systeme genutzt. Nach Conways Gesetz werden die Qualität und Art der Schnittstellen zwischen den Systemen der Qualität und Art der zwischenmenschlichen Kommunikation zwischen den entsprechenden Entwicklergruppen entsprechen.

End-to-End (E2E) meint von Anfang bis zum Ende: vom Kunden in Systeme, in die Organisation und zurück zum Kunden. Eine Aktion des Kunden muss eine Antwort (an den Kunden) zur Folge haben.

Prozesse sind dabei wie die Kommunikation. Sie sind immer da. Man kann Prozesse nicht nicht managen – man kann sie nur gut managen oder eben nicht so gut.

Ein exzellentes Business Process Management (BPM) versteht sich als ganzheitlicher Managementansatz:

  • Bisher oft getrennte Disziplinen, wie die Modellierung, Analytik und Optimierung von End-to-End-Prozessen (E2E), folgen aus von der Unternehmensstrategie abgeleiteten Zielen und Standards.
  • Prozesse dienen als gemeinsame Sprache, erzeugen Transparenz, machen prozessübergreifende Synergien und die Wirkung von Einflüssen auf das komplexe Gesamtsystem sichtbar (s. Abb. 1).
  • Verantwortlichkeiten gelten für vollständige E2E-Prozesse (360°-Blick und Single Point of Truth) und funktionale Silos werden aufgebrochen.
  • Prozessdaten und -analysen werden zur proaktiven Steuerung und Optimierung genutzt.
  • Das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung und die Notwendigkeit von Innovationen (z.B. Prozess Redesign) sind Teil des Mindsets und der Unternehmenskultur.
  • Gemeinsame Aufträge und Ziele befördern selbstorganisierte und agile Zusammenarbeitsformen.

Ein solches BPM unterstützt Unternehmen in der Transformation, verbessert die Zusammenarbeit und fördert Resilienz, statt Veränderungen durch starre Vorgaben und veraltete Dokumentationen auszubremsen.

Prozessexzellenz bei der Techniker Krankenkasse

In den 2010er-Jahren beschäftigte sich die TK erstmals mit Prozessmanagement. Testweise wurden umfangreich Prozesse modelliert und eine Prozessverantwortung zusätzlich zur Fachlichkeit etabliert. Neben dem betrieblichen Vorschlagswesen wurde mit TKWin ein KVP-System eingeführt, dessen Einsatz den Bereichen freiwillig überlassen blieb.

Dank z.B. Scan- oder Datenaustauschverfahren und Online-Angeboten standen Daten digitalisiert zur Verfügung. Die sich daran anschließende „Dunkelverarbeitung“ scheiterte jedoch häufig an komplexen Systemen (z.B. Daten aus mehreren Systemen für Entscheidung benötigt) oder fehlenden Daten (z.B. Bank).

2018 und 2019 wurden im Rahmen der Strategischen Initiative Prozessexzellenz die Grundlagen gelegt, um Prozessmanagement als führenden Gestaltungs- und Steuerungsansatz im Unternehmen zu etablieren. Seither hat das Prozessmanagement eine zentrale strategische Bedeutung. Durch die Befähigung der Mitarbeitenden in der Anwendung von BPM-Tools und Methoden, die Entwicklung prozessübergreifender Standards und der Durchführung von Prozess-IT-Redesign-Projekten wird es in der TK fest verankert. Durch Automatisierung von Prozessabläufen und datengetriebener Prozessteuerung kann die Vernetzung mit anderen Unternehmen im Gesundheits-Ökosystem zur Verbesserung der Versorgung vereinfacht werden.

Die Prozesslandkarte und der Nutzen einer guten Prozessarchitektur

Als einer der ersten Prozesse in der TK wurde das Kinderkrankengeld in einem Prozess-IT-Redesign-Projekt an die neuen Standards der TK angepasst. Das Fundament für die Zusammenarbeit von IT- und Fachexpert:innen war die Entwicklung einer gemeinsamen Prozessdokumentation. Zunächst wurde der Prozess in die Prozesslandkarte der TK aufgenommen. Sie gibt einen Überblick über alle Kerngeschäftsprozesse der TK und ist der erste Aufsatzpunkt für alle weiteren Standards, denen alle Kerngeschäftsprozesse folgen. Auf pyramidenartigen Dokumentationsebenen findet dort jeder die wichtigen Informationen zum Prozess auf dem gewünschten Niveau.

Der fachliche Ablauf des Prozesses wurde in BPMN 2.0 (internationale Modellierungssprache) modelliert. Dies ermöglichte dem interdisziplinären Projektteam zum ersten Mal, ein gemeinsames Verständnis vom Prozess zu entwickeln. Das Verwenden einer Sprache förderte neue kreative Ansätze. Wichtige Knotenpunkte im Prozess, wo der Prozess verschlankt und vereinfacht werden konnte, wurden sichtbar. Der Einsatz agiler Projektmanagementmethoden half bei der Entwicklung der prozessorientierten Anwendungen. Durch das iterative Vorgehen konnten belastbare Arbeitsstände schneller erreicht und Learnings berücksichtigt werden. Der Arbeitsmodus fokussierte sich auf eine parallele Entwicklung durch IT und Fachabteilung. In klassischen Projekten war dieser noch von einer langen Fachkonzeptions- und anschließender Umsetzungsphase geprägt.

Zusätzlich zum Prozessverständnis änderte sich auch das Mindset der für den Prozess verantwortlichen Mitarbeitenden. Mit den Prozessmanagerinnen und -managern (die gestalten und optimieren) und den Prozessverantwortlichen (die steuern und verantworten) wurden neue Rollen geschaffen, die Aufgaben und Verantwortung rund um den Prozess klar benennen. Sie sind die Ansprechpersonen für den Prozess, behalten den Überblick über die Prozessperformance und verantworten Ergebnisse.

Vorteile im Hinblick auf Resilienz

  • Die gemeinsame und einheitliche Prozessdokumentation gibt Auskunft über alle Informationen zum Prozess und ermöglicht standardisierte und schnell erlernbare Bearbeitungsweisen durch die Prozessausführenden.
  • Auswirkungen von Änderungen sind erkennbar und betroffene Abteilungen werden rechtzeitig eingebunden.
  • Klare Verantwortlichkeiten – Alle wissen was zu tun ist und wer die Initiative ergreift.

Das Prozess-IT-Redesign und ausführbare Prozessmodelle

Die Modellierung des Prozesses Kinderkrankengeld während des Prozess-IT-Redesign-Projekts in BPMN 2.0 hatte auch technische Ziele. Das fachliche Prozessmodell wurde genutzt, um die Prozessausführung mit einer Process Engine technisch zu steuern.

Abb. 1 Einflussfaktoren auf die optimale Prozessgestaltung

Das Prozess-IT-Framework orchestriert dabei unterschiedliche Fach- und Querschnittsanwendungen, die für die Bearbeitung z.B. eines Antrags benötigt werden. So weiß das System genau, wo der Prozess aktuell steht und was als Nächstes zu tun ist. Die Sachbearbeitenden werden vom System zur manuellen Bearbeitung aufgefordert, wenn es eine menschliche Interaktion braucht, z.B. um Kundinnen und Kunden exzellent zu beraten oder komplexe Entscheidungen zu treffen.

Um dieses Zukunftsmodell zu entwickeln wurde der Prozessablauf vollständig überarbeitet. Dafür orientierte man sich an der Vision eines möglichst vollautomatisierten Prozesses, der im Kundensinne das Kinderkrankgeld ohne erneuten Kundenkontakt auszahlt. Außerdem sollte den Kundinnen und Kunden die Möglichkeit zur Online-Beantragung sowie die maximale Transparenz über den Prozessfortschritt gegeben werden. Aus dieser Vision wurde der redesignte Prozess entwickelt, der zur Erreichung der Unternehmensziele beiträgt.

Vorteile im Hinblick auf Resilienz

  • Das Prozessmodell steuert alle Prozessbausteine in der vorher definierten Abfolge. Nach dem digitalen Eingang der erforderlichen Daten kann der Kundenantrag vollständig automatisiert bearbeitet werden. In 50% aller Fälle geschieht dies bereits. Automatisierung und Standardisierung ermöglichen die einheitliche Prozessausführung.
  • Die Entwicklung des ausführbaren Prozessmodells für Kinderkrankengeld ging schneller als andere Projekte, da Bausteine vom bereits redesignten Prozess Mutterschaftsgeld übernommen werden konnten. Das standardisierte technische Framework vereinfacht die Projektarbeit und erhöht die Innovationsgeschwindigkeit.

Corona als Bewährungsprobe für Prozessmanagement in der TK

Die Vorteile eines modernen, sowohl fachlich als auch technisch standardisierten Prozesses wurden schnell nach Ende des Prozess-IT-Redesign-Projekts Anfang des Jahres 2021 deutlich. Der Grund war, wie in weiten Teilen der Gesellschaft, die Corona-Pandemie.

Im ersten Jahr der Corona-Pandemie 2020 lagen die Antragszahlen für Kinderkrankgeld noch deutlich unter dem Durchschnitt. Während viele Erkrankungen bei den Kindern durch Kontakteinschränkungen, Masken und Abstand halten sich gar nicht erst verbreiten konnten, waren viele Menschen mit ihren Kindern sowieso im „Home Office“ und führten dort eine Betreuung durch. Dieser Zustand änderte sich im Januar 2021. Nun konnte auch Kinderkrankengeld im Rahmen von Schul- und Kitaschließungen in Anspruch genommen werden. Die Antragzahlen der TK verdreifachten sich zeitweise – in der sowieso schon saisonalen Hochphase.

Durch die gemeinsame Vorarbeit im Projekt gelang es der Fachabteilung und IT, ein speziell für diesen Sachverhalt entwickeltes Antragsformular innerhalb von zwei Wochen an das Prozess-IT-Framework anzubinden und somit eine vollautomatische Verarbeitung für diese Antragsart umzusetzen. Alle Anträge des „Corona-Kinderkrankengeldes“ hätten sonst manuell bearbeitet werden müssen. Zu lange Wartezeiten bei den Kunden wurden so vermieden und die Erreichbarkeit im persönlichen Kundenkontakt sichergestellt.

TK-intern half die standardisierte Dokumentation bei der Organisation von Unterstützung im Prozess. Diese war trotz Automatisierung immer noch notwendig – konnte aber durch ein einheitliches Verständnis über den Prozess innerhalb von wenigen Tagen organisiert werden. Dabei wurden über 50 Mitarbeitende in der für sie neuen Prozessausführung geschult.

PX4Life: Prozesssteuerung und KVP in Rahmen von Prozessmeetings

Die kontinuierliche Verbesserung ist Bestandteil der meisten modernen Prozessmanagementsysteme. Auch in der TK ist dies vorgesehen. Die Basis dafür bilden ebenfalls die ausführbaren Prozessmodelle. Das bisherige Controlling im Prozess Kinderkrankengeld befasste sich bisher mit klassischen Ergebnis- und Servicekennzahlen. Durch Prozessexzellenz ist es nun möglich, Transparenz über die wichtigsten Prozesskennzahlen (Automatisierung, Durchlaufzeit, Bearbeitungszeit etc.) zu erhalten. Alle Aktivitäten, die im Rahmen der Process Engine ausgeführt werden, können später ausgewertet werden. So lassen sich elementare Informationen zur Prozessperformance ermitteln.

Die Prozesskennzahlen ermöglichen ein proaktives Eingreifen in den Prozess. Beispielsweise können über das Ausweisen von manuellen Bearbeitungszeiten arbeitsintensive Aktivitäten identifiziert und optimiert sowie Benchmark-Ansätze verfolgt werden. Zusammen mit dem Austausch mit den Prozessausführenden und dem Einsatz eines Prozess-Mining-Tools zur weiteren Analyse ist der Prozessmanager so nah wie nie zuvor an seinem Prozess.

Vorteile im Hinblick auf Resilienz

  • Das Mindset der kontinuierlichen Verbesserung ist im Prozessmanagement Teil der Unternehmenskultur. Wer von sich aus stetig nach positiven Veränderungen strebt, ist es gewöhnt, darauf angemessen zu reagieren.
  • Die gerade entstehende Prozessdatenwelt liefert völlig neuartige Erkenntnisse. Früher wusste man, wie viel Arbeit verteilt werden muss. Heute erkennt man Zusammenhänge und kann erklären, warum so viel Arbeit da ist. Dieser neue Reifegrad von Prozesstransparenz erlaubt in Krisen und im Alltag eine proaktive Steuerung des Prozesses und verbessert so nachhaltig das Kundenerlebnis.

Ausblick

Nach mehreren Jahren ist die Etablierung des Prozessmanagements als zentraler Steuerungs- und Gestaltungsansatz in der TK lange nicht abgeschlossen. Der Fokus lag auf einzelnen Prozessen mit hohem Businessnutzen. In Projektform werden sie analysiert und maximal digitalisiert und automatisiert. Dabei werden an der Prozessgestaltung beteiligte Mitarbeitende (z.B. Prozessmanager, IT) im BPM befähigt, die Anwendungen mit ausführbaren Prozessmodellen gesteuert und neue Prozesskennzahlen verfügbar, die als Grundlage für kontinuierliche Prozessverbesserung dienen.
Dieses Vorgehen hat Vorteile. So erleben die Beteiligten selbst, was durch die fachliche und technische Neugestaltung ihrer Prozesse möglich ist. Interne Expertinnen und Experten (z.B. Scrum Master, Process Consultants) begleiten sie, führen Trainings on the Job durch, und sie wenden das Erlernte direkt an. So entstehen sukzessive neue Zusammenarbeitsformate – beispielsweise zwischen den prozessverantwortlichen Abteilungen und der IT, die gemeinsam priorisieren und Prozesse weiterentwickeln. Oder zwischen prozessverantwortlichen Abteilungen und den ausführenden Einheiten, z.B. in Prozessmeetings zur kontinuierlichen Verbesserung.

Das gelingt leider nicht immer. Nach Abschluss der Projekte erfolgt mit der Rückkehr in die Linie manchmal auch der Rückfall in alte Arbeitsweisen, z.B. Fachkonzepte zu schreiben statt gemeinsam Prozessmodelle weiterzuentwickeln. Befähigte Personen widmen sich neuen Projekten, statt die Prozesse in der Linie weiter zu managen. Und dass nicht alle Personen in den Linien-Teams gleichermaßen mit den neuen Methoden/Tools arbeiten, trägt auch seinen Teil zur fehlenden Durchdringung bei.

Aktuell sind Maßnahmen geplant, die in der täglichen Arbeit und ohne Prozess-Redesigns den Nutzen eines exzellenten Prozessmanagements generieren sollen bzw. der Weiterentwicklung des BPM in der TK dienen:

  • Die Prozesslandkarte und damit das gemeinsame Verständnis zu den E2E-Kerngeschäftsprozessen ist die Basis aller Aktivitäten im Prozessmanagement. Die dafür erforderliche Grundlagenqualifikation soll zukünftig einem breiteren Kreis als nur einzelnen Prozessmanagenden zugutekommen. Das ist der erste Schritt, um die Vorteile der Transparenz auch für die Prozesse zu nutzen, die (noch) nicht redesignt werden.
  • Es gibt viele Systeme in der TK, die Anregungen für die Optimierung der Kerngeschäftsprozesse liefern, z.B. Ideenmanagement, Beschwerden von Versicherten, Customer Journeys. Noch nicht bei allen ist ein klarer Bezug zu den Prozessen möglich.
  • Führungskräfte sind bewusst für Prozesse und deren bestmögliche Ausführung verantwortlich. Sie schaffen den nötigen Rahmen für den erfolgreichen Change, ermutigen die Mitarbeitenden, ihre Entwicklung selbst voranzutreiben und neue Zusammenarbeitsformen zu etablieren. Der Change darf dabei nicht isoliert in bestehenden Bereichssilos stattfinden, sondern ist ein Erfolgsfaktor zur Akzeptanz und Ausgestaltung einer an der Unternehmensvision ausgerichteten bereichsübergreifenden Verantwortung und Kommunikation. Prozessmanagement ist exzellent, wenn es alle Informationen zusammenbringt und die Ideen priorisiert, die das gesamte Unternehmen voranbringen. Insofern dürfen Führungskräfte noch mehr zu Multiplikatoren der Transformation werden.
  • Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich rasant weiter. Durch gut gemanagte Prozesse werden neue Möglichkeiten nutzbar. Die TK nutzt z.B. selbst entwickelte Datenmodelle für KI-Ansätze für Prädiktionsmodelle oder zur Formularerkennung etc. In Verbindung mit Prozessmodellen und -Mining wird so der Ausbau zum Machine Learning möglich.
  • Die Prozessmodelle dienen bereits zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten, z.B. Tracking des Bearbeitungsstands für Versicherte. Ein weiterer Ausbau ist sinnvoll, z.B. zur Förderung der Nachhaltigkeit in dem für die Prozessausführung genutzte Ressourcen dokumentiert werden.

So wie sich Unternehmen heute in der permanenten Evolution befinden, um auf immer schnellere Veränderungen und neue Anforderungen zu reagieren, muss sich auch ein exzellentes BPM in einem Unternehmen kontinuierlich weiterentwickeln.

Ein Individuum ist nur dann resilient, wenn es mehrere Säulen als Grundpfeiler seiner Stabilität hat. Das Prozessmanagement stellt in Unternehmen ebenfalls nur eine Säule des Veränderungsmanagements dar und ist für sich allein kein Wundermittel. Um seine volle Wirksamkeit zu entfalten, muss es einhergehen mit modernen Formen der Zusammenarbeit, einem agilen Mindset, ausreichenden Change Kompetenzen und einem hohen Grad an Selbstverantwortung. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass man mit Entwicklung jemals fertig werden kann.

Literatur

Conway ME (1968) How Do Committees Invent? Datamation 14(5), 28–31