Transparenz:
Ein Begriff im Wandel

Lea Watzinger

Die Autorin

Lea Watzinger

Lea Watzinger

Lea Watzinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der interdisziplinären Erforschung der Digitalen Transformation am IDea_Lab – das interdisziplinäre digitale Labor der Universität Graz. Als Politologin und Philosophin beschäftigt sie sich mit begrifflichen Grundlagen und normativen wie praktischen Steuerungspotenzialen einer demokratischen Digitalisierung, darunter Fragen der Privatheit und des Self-Trackings. Sie hat zum Begriff der Transparenz aus begriffsgeschichtlicher, politisch-philosophischer und medienethischer Perspektive promoviert (erschienen im Meiner Verlag Hamburg 2022).

Transparenz ist ein Schlagwort unserer Zeit: eine beinahe magische Formel, mit der einerseits mehr Demokratie, Partizipation und Nachvollziehbarkeit ermöglicht werden soll. Andererseits wird jedoch auch das Individuum zunehmend transparent und durch all die digitalen Daten durchschaubar, wir verlieren unsere informationelle Privatsphäre. Transparenz führt zu Überwachbarkeit – was im Falle des Staates oder von Institutionen wünschenswert ist, im Falle der Bürger:innen jedoch kaum. Der Transparenzbegriff ist also durchaus ambivalent zu bewerten und löst allein nicht jedes Problem, das sich auf politischer, organisationaler oder auch moralischer Ebene ergibt. Einer digitalen Medienlogik folgend handelt es sich um einen Konsensbegriff unserer Zeit von beinahe universaler Geltung, auch weil er für zahlreiche Fachbereiche, Stakeholder und Akteure anschlussfähig ist – und so auch für das Gesundheitswesen.

In diesem Beitrag wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Aspekte des Begriffs der Transparenz gegeben und dieser in einen ideengeschichtlichen Bedeutungskontext gesetzt. In Kapitel 1.2 werden die Begriffsgeschichte und die reichhaltige Metaphorik anhand eines exemplarischen Blicks in die Architektur kurz erläutert. Kapitel 1.3 schließt hieran an und ordnet Transparenz in die Demokratietheorie ein, wo sie als Nachfolgebegriff von Öffentlichkeit und als Gegenbegriff zur Geheimhaltung fungiert, durchaus aber auch widersprüchliche Eigenschaften entwickeln kann. Kapitel 1.4 stellt dieser staatlichen Transparenz die individuelle Transparenz gegenüber, die im Zusammenhang mit Überwachung und im Gegensatz zur Privatheit steht. Kapitel 1.5 diskutiert in Form eines Ausblicks, ob Transparenz zu einer Ideologie geworden ist und inwiefern der Begriff für die Medizin und das Gesundheitswesen relevant ist.

Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit

Etymologie und Bedeutung

Was bedeutet Transparenz? Intuitive, im alltäglichen Sprachgebrauch verankerte Bedeutungen von Transparenz sind zunächst einmal „Durchsichtigkeit“ und „Lichtdurchlässigkeit“: So steht das deutsche Adjektiv ‚transparent‘ übersetzt mit „durchsichtig“, „durchscheinend“ im Wörterbuch, wobei es als Lehnwort aus dem französischen transparent Anfang des 18. Jahrhunderts ins Deutsche übernommen wurde. Zunächst meint es „durch-sichtig“ in Bezug auf durchsichtige Materialien, wie z.B. Glas oder Stoffe, die den Blick auf ein dahinterliegendes Objekt freigeben. Das französische Wort wiederum hat seine Wurzeln im Mittellateinischen transparēre, was mit „durchscheinen, durchsichtig sein“ übersetzt werden kann. Das Substantiv ‚Transparenz‘ im Sinne einer Eigenschaft oder eines Zustands der transparenten Beschaffenheit lässt sich erst etwa Anfang des 19. Jahrhunderts im Deutschen nachweisen, als Ableitung vom Adjektiv ‚transparent‘, wobei die Substantivierung auch im Französischen und Mittellateinischen aufkommt (transparence beziehungsweise transparentia, was je „Durchsichtigkeit“ bedeutet). Doch bezieht sich ‚Transparenz‘ nur noch zum Teil auf materielle Erscheinungen im Sinne einer Lichtdurchlässigkeit, sondern wird meist übertragen im Sinne von „Klarheit“, „Deutlichkeit“ oder „Verständlichkeit“ gebraucht (DWDS 2023).

Transparenz stammt also ursprünglich als Fachbegriff aus der Optik, der sodann verallgemeinert wurde, was seine besondere Anschlussfähigkeit an Metaphern von Licht und Erkenntnis nahelegt, die den Begriff derart gebräuchlich und anschlussfähig und zu etwas im allgemeinen ‚Guten‘ macht. Doch so erhält der Begriff, der Sichtbarkeit auszudrücken scheint, zugleich eine deutliche Ambivalenz und ist gerade nicht mehr vollkommen klar, sondern auf paradoxe Weise mehrdeutig (Rowe u. Slutzky 1963, S. 45): Was transparent ist, wird unsichtbar. In unserem alltäglichen Sprachgebrauch benutzen wir Transparenz jedoch für nicht weniger als das Gegenteil von Unsichtbarkeit – im Sinne von Sichtbarkeit, in einem metaphorischen Sinn. Diese abstrahierte Bedeutung bezieht sich auf soziale Sachverhalte und Institutionen.

Die etymologischen Wurzeln und der metaphorische Gehalt von Transparenz vermischen sich und kreisen um die Verbindungen von Licht, Erkenntnis und Moralität, denn Licht und Sehen werden zu bildhaften Synonymen für Wahrheit, Erkenntnis und Integrität. Es kommt zu einer Moralisierung von Transparenz und einer Metaphorik von ‚hell und dunkel‘, von ‚sichtbar‘, ‚rein‘, ‚wahr‘ und im Gegensatz dazu stehend ‚unsichtbar‘, ‚verwegen‘ und ‚betrügerisch‘: Transparenz wird zu etwas Wünschenswertem, das Sichtbarkeits-Annahmen auf Politik und Demokratie überträgt, wobei sie stets zwischen bildlicher und abstrakter Bedeutung changiert.

Metaphorik: Architektur

Anwendung finden diese Überlegungen in der Architektur. Transparenz ist in der Architektur eng verbunden mit dem Anspruch auf Zugänglichkeit und Demokratie. Seit dem 19. Jahrhundert fasziniert Glas Architekt:innen, wobei die so hergestellte Durchsichtigkeit Zeichen der Moderne wurde und gerade auch im 21. Jahrhundert eine erneute Popularität erfährt. Glas ist der Baustoff der Transparenz, da es durchsichtig ist und zu Sichtbarkeit verhelfen kann: Das Versprechen einer demokratischen Öffentlichkeit verbindet sich so mit der Ästhetik und der Materialität von Glas. Am Deutschen Bundestag und seinen Gebäuden wird dieses Verhältnis von Transparenz und Architektur intensiv verhandelt, wie etwa die transparente Reichstagkuppel, das dadurch offene Plenum oder die Abgeordnetenhäuser und Nebengebäude zeigen (Deutscher Bundestag 2023). Transparent zu bauen wird dabei zu einer Ausdrucksform – angestrebter oder proklamierter – politscher und gesellschaftlicher Offenheit, die von verschiedenen Akteuren gesellschaftlich anschlussfähig ist – für demokratische wie weniger demokratische Staaten (Barnstone 2005), aber auch Unternehmen.

In der Architektur ist Transparenz eng mit dem Anspruch auf Zugänglichkeit und Demokratie verbunden.

Der architektonische Diskurs greift dem demokratietheoretischen Zugriff auf Transparenz sozusagen vorweg, indem er sie als Erfordernis des demokratischen Staates materialisiert. Damit rückt Transparenz in eine Linie mit dem politischen Vorläuferbegriff Öffentlichkeit. Der Blick in die Architektur verdeutlicht die Normativität von Transparenz und ihre metaphorische Verquickung mit Sichtbarkeit und Demokratie.

Institutionelle Transparenz

Nachfolgebegriff von Öffentlichkeit und Gegenbegriff von Geheimhaltung

Transparenz als demokratietheoretischer Begriff und demokratische Anforderung bezieht sich maßgeblich auf den Staat, und, in einem weiteren Sinne, kollektive Akteure und Institutionen, und richtet sich gegen Geheimhaltung. In diesem Gegensatz zur Geheimhaltung folgt sie wiederum einer langen politischen Ideengeschichte: von Immanuel Kants (1724-1804) Prinzip der Publizität über Jürgen Habermas’ (*1929) deliberative Öffentlichkeit und Hannah Arendts (1906-1975) Öffentlichkeit als Handeln. Alle drei Autor:innen haben enorm einflussreiche normative Konzepte für Öffentlichkeit entwickelt und damit Vorstellungen und Diskurse geprägt: Von Kants Philosophie der Aufklärung geht die Rechtfertigungsbedürftigkeit von staatlicher Geheimhaltung aus. Er legt das Vernunftkriterium und vernünftige Nachvollziehbarkeit an sein Prinzip der Publizität an. Habermas schließt hieran an und begreift sodann die Öffentlichkeit als Sphäre des argumentativen Austausches und Aushandelns vernünftiger Argumente. Damit steht Habermas einerseits in der Tradition Kants, und schließt andererseits an Arendt an. Diese wiederum legt den Fokus auf das gemeinsame Handeln, wofür nicht unbedingt und allein liberale demokratische Strukturen notwendig sind. Sie stellt einen starken Handlungsbezug der Bürger:innen ins Zentrum. Allen drei Ansätzen gemeinsam ist eine ausgeprägte Normativität und eine Zentrierung auf den Menschen als Bürger:in, der Zugang zu staatlichen Vorgängen und Politik haben muss, um so – zumindest theoretisch – beteiligt zu sein oder sein zu können (Watzinger 2022b).

Transparenzparadox

Kann es auch zu viel Transparenz oder Transparenz an der falschen Stelle geben? Ist Transparenz immer erstrebenswert?

„Transparenz ist zunächst einmal eine merkwürdige Metapher: Der transparente Körper wird, insofern er durchsichtig ist, selbst unsichtbar. Er verschwindet im Blick des Betrachters. Genau dies könnte die praktische Wirkung von Transparenz in der Politik sein. Schuld ist ein epistemologisches Paradoxon: Je schärfer ein Detail betrachtet wird, desto mehr geraten die Strukturen aus dem Blick.“ (Baumann 2014, S. 405)

Transparenz kann zum Widerspruch werden: Wenn zwar alles verfügbar ist, doch nicht politisch gehandelt wird und keine Öffentlichkeit entsteht. Was durch Transparenzpraktiken ans Licht kommt, erfordert eine politische Reaktion und politisches Handeln. Bleibt das Transparent-Werden von politischen Vorkommnissen ohne Kontextualisierung und politischen Sinn, zeitigt das Offenlegen keine demokratischen Effekte. Daher stellt Transparenz selbst keinen Wert an sich dar, sondern scheint zu einer Art Platzhalterbegriff für andere komplexe und umstrittene Werte zu werden. Für die diskursiven Anforderungen einer zeitgenössischen Gesellschaft im digitalen Wandel stellt Transparenz möglicherweise einen passenden Begriff für Öffentlichkeit dar, da er flexibel auf unterschiedliche Akteure anwendbar und offen interpretierbar ist. Der Kern der Demokratie liegt jedoch nicht in einer bloßen Sichtbarkeit, sondern im Austausch und Abwägen von vernünftigen Argumenten. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche und nicht zu unterschätzende komplexe Leistung, wie der Blick in die politische Philosophie zeigt. Gleichwohl überträgt sich der Transparenzbegriff nicht nur aus Optik und Architektur auf die Demokratie, sondern zugleich auch auf das Individuum.

Kann es auch zu viel Transparenz geben?

Individuelle Transparenz

Überwachung und Gegenbegriff von Privatheit

Praktiken der Individualisierung von Transparenz lassen sich dabei besonders deutlich im Rahmen von Self-Tracking Praktiken beobachten, bei denen Körperdaten über das Smartphone oder andere tragbare Kleingeräte wie Uhren oder Armbänder und verbundene Apps aufgezeichnet werden. Dabei ermöglicht die Verfügbarkeit mobiler digitaler Anwendungen eine noch nie dagewesene Beobachtung und Überwachung persönlicher Daten, von körperlichen Werten über Gewohnheiten bis hin zu emotionalen und mentalen Zuständen. Im Zentrum von Self-Tracking steht in aller Regel ein Wunsch nach (vermeintlicher) datafizierter Selbsterkenntnis, also sich selbst, den eigenen Körper oder Gewohnheiten zu durchschauen und daran anschließend fitter, effizienter oder gesünder zu werden. Die Optimierung des Selbst spielt eine zentrale Rolle. Solche Datensammlungen erfolgen zwar in aller Regel freiwillig und intendiert, aus einer Perspektive der Privatheit erweisen sie sich trotzdem als problematisch, da durch Aufzeichnungspraktiken die Grenzen der Privatsphäre aufgelöst werden, die eine autonome Selbstdarstellung in unterschiedlichen sozialen Kontexten ermöglichen (Lanzing 2016). Insofern stellt eine derartige Übertragung der Transparenznorm auf das Individuum eine ethische Herausforderung dar. In Bezug auf das Individuum wird Transparenz zum Gegenbegriff von Privatheit, die zentral ist für mündige und freie Bürger:innen, denn sie ermöglicht Selbstreflexion und Austausch in einem geschützten Rahmen und ist „Ermöglichungsbedingung“ (Seubert 2017, S. 126) demokratischer Praxis. Gleichzeitig wohnt der Privatsphäre ein deutlich ambivalentes Potenzial inne, denn was als privat gilt, kann kaum öffentlich diskutiert werden und muss insofern auch nicht gerechtfertigt werden (Hagendorff 2018). Diese Ambivalenz und Spannung zwischen Offenlegung und Schutz vor ebendieser Offenlegung verbindet Transparenz und Privatheit als Antipoden. Mit Blick auf eine digitale Transparenz des Individuums steht die Privatheit als Schutz vor und Freiheit von Beobachtung im Gegensatz zu freiwilligen wie unfreiwilligen Datafizierungspraktiken. Der Mensch wird so im Digitalen gläsern und durchschaubar, wobei Self-Tracking Anwendungen besonders präsent und populär sind.

Dabei ergeben sich zwei Ebenen der individuellen Transparenz:

  • Auf horizontaler Ebene transparent wird eine Person z. B., wenn sie ihren digitalen Kontakten ihre Profildaten zugänglich macht und diese teilt.
  • Gleichzeitig wird die Person dabei auch auf einer vertikalen Ebene transparent, da Akteure wie Diensteanbieter, Unternehmen oder auch staatliche Institutionen die Daten sammeln und verarbeiten (können).

Eine solche horizontale wie vertikale Transparenz ermöglicht Kontrolle und Überwachung, wobei eben nicht nur Daten des Einzelnen für sich selbst generiert und genutzt werden, sondern auch für die Anbieter. So kommt es zu einer Kommodifizierung der Nutzer:innen, d. h. der Mensch und seine Daten werden zur Ware (Rössler 2017).

Die grundsätzliche Gefährdung und Auflösung der Privatsphäre durch digitale Anwendungen und Daten betrifft alle Nutzer:innen, doch sind unterschiedliche User:innen unterschiedlich vulnerabel gegenüber Privatheitsverlusten. Es ist daher zentral, sowohl beim Anwendungsdesign als auch bei der wirtschaftlichen

Eine digitale Medienlogik

Für das 21. Jahrhundert stellt Transparenz einen normativ starken und aufgeladenen Begriff dar, der auf den digitalen Wandel des 21. Jahrhunderts reagiert. Digitalisierung und Datafizierung verstärken Transparenzpraktiken sowohl im Bereich der staatlichen wie der individuellen Transparenz. Eine solche digitale Medienlogik zeichnet sich unter anderem durch Verdatung, Vernetzung und Partizipation und das Auflösen räumlich-zeitlicher Beschränkungen aus. Ihr ist die Veröffentlichung und Verbindung von Informationen und Daten inhärent, was Transparenz in einen Imperativ verwandelt – des Politischen, der Gesellschaft sowie des Individuums. Eine demokratische, zugängliche, Geheimhaltung entgegentretende Denkbewegung überträgt sich dabei auf den privaten Bereich des Individuums und eine Transparenznorm gilt auch im Privaten: So erscheint Transparenz als erstrebenswert, die Preisgabe von persönlichen Daten als selbstverständlich. Diese die digitale Sphäre charakterisierende Medienlogik verändert die Art und die Formen der Kommunikation und lässt eine Erwartungshaltung entstehen, stets und ubiquitär (fast) jede Information zu erhalten und diese vervielfältigen zu können.

Ausblick

Transparenz als Ideologie?

Der Transparenzbegriff beschreibt nicht nur digitale Öffentlichkeiten oder eine Erosion der Privatsphäre und ist auch nicht nur moralisch sowie normativ bedeutsam, sondern er erhält bisweilen ideologischen Charakter. Das bedeutet, er stellt eine gemeinschaftliche Überzeugung über die Welt dar, gibt normative Orientierung und ist kaum hinterfragbar. Transparenz zeichnet sich demnach aus durch die Verbindung eines demokratischen common sense der institutionellen Transparenz mit einer Medienlogik des Digitalen sowie einer freiwilligen Selbstvermessung und Datenpreisgabe. Solche Praktiken sind derart zur Selbstverständlichkeit geworden, dass Transparenz zu einer magischen Formel für Demokratie, Partizipation und Erkenntnis wird (Alloa 2018).

In Zeiten der Digitalen Transformation wird Transparenz zu einer Herausforderung für Demokratie und Privatheit.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Transparenz ein Konzept ist, das ideengeschichtlich seinen Ursprung in der Demokratietheorie hat, sich jedoch zu einer Ideologie wandelt, gemäß deren normativer Forderung das Individuum Informationen über sich selbst sichtbar und zugänglich macht. So wird Transparenz zu einer Herausforderung für Demokratie und Privatheit in Zeiten einer Digitalen Transformation (Watzinger 2022b). Transparenz fungiert daher im digitalen 21. Jahrhunderts als Schlüsselbegriff und Ideologie aus einer Verbindung von Technik und Zeitgeist und zeigt sich dabei selbst als facettenreich und widersprüchlich.

Gesundheitswesen

Auch in der Medizin und im Gesundheitswesen spielt die Forderung nach Transparenz eine große Rolle, wie auch der vorliegende Sammelband zeigt.

So zeigt sich ganz grundsätzlich im Verhältnis von Ärztin und Patient eine komplexe Transparenz-Beziehung: einerseits entsteht eine vertikale Transparenz des Patienten gegenüber der Ärztin – durch ihr Fachwissen, die Daten, die sie erhebt und Geräte, mit denen der Patient sichtbar und transparent (gemacht) wird. Ihre Erkenntnisse muss die Ärztin wiederum transparent erklären, d.h. so, dass der Patient sie nachvollziehen kann. Gleichzeitig muss die Ärztin ihre Befunde vor Dritten geheim halten, um die Privatsphäre des Patienten zu schützen.

Was bedeutet Transparenz in der Anwendung von Technik im ärztlichen Handeln und welche Rolle spielt diese für die Akzeptanz sowohl seitens der Behandelten als auch seitens des medizinischen Personals? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Forderung nach Herstellung von Transparenz ziehen? Das besondere Spannungsfeld, das sich aus der besonderen Privatheit von Gesundheitsdaten und der notwendigen Transparenz gegenüber Ärztinnen und Akteuren aus dem Gesundheitssystem ergibt, wird auch an Debatten über die elektronische Patientenakte deutlich (Bader 2023). So steht das Gesundheitswesen einerseits vor hohen Anforderungen, transparent zu sein (und ggfs. zu werden), aber gleichzeitig die Privatsphäre und Autonomie der Patient:innen wie auch Ärzt:innen sicherzustellen.

Literatur

Alloa E (2018) Transparency: A Magic Concept of Modernity. Alloa E u. Thomä D (Hrsg.) Transparency, Society and Subjectivity. Critical Perspectives. 21–55. Cham Palgrave Macmillan

Bader A (2023) Wenn die Patientenakten digital sind. In: Tagesschau online vom 09.03.2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/elektronische-patientenakte-109.html (abgerufen am 28.06.2023)

Barnstone DA (2005) The transparent state. Architecture and politics in postwar Germany. Routledge London

Baumann M-O (2014) Die schöne Transparenz-Norm und das Biest des Politischen: Paradoxe Folgen einer neuen Ideologie der Öffentlichkeit. Leviathan 42/3, 398-419

Deutscher Bundestag (2023) Architektur. URL: https://www.bundestag.de/architektur (abgerufen am 28.06.2023)

DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (2023) Transparenz. URL: https://www.dwds.de/wb/Transparenz (abgerufen am 28.06.2023)

Hagendorff T (2018) Ambivalenz des Privaten. Friedewald M (Hrsg.) Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt. Interdisziplinäre Perspektiven auf aktuelle Herausforderungen des Datenschutzes. 13-32. Springer Wiesbaden

Lanzing M (2016) The transparent self. Ethics and Information Technology 18/1, 9-16

Rössler B (2017) Autonomie. Suhrkamp Berlin

Rowe C, Slutzky R (1963) Transparency: Literal and Phenomenal. Perspecta 8 45-54

Seubert S (2017) Das Vermessen kommunikativer Räume. Politische Dimensionen des Privaten und ihre Gefährdungen. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30/2, 124–133

Watzinger L (2022a) Self-Tracking als Praktik individueller Transparenz. In: Schöppner R, Hackel A (Hrsg.) Automat und Autonomie. 143–156. Zum Verhältnis von Mensch, Technologie und Kapitalismus. Alibri Aschaffenburg

Watzinger L (2022b) Transparenz als Herausforderung für Demokratie und Privatheit. Meiner Hamburg