Bedarfsgerechte Krankenhausreform
oder kalte Strukturbereinigung?
Die zukünftige Krankenhausversorgung
aus Sicht der DKG
Gerald Gaß

Der Autor

Dr. Gerald Gaß

Dr. Gerald Gaß ist seit 2021 Vorstandvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Zuvor war er Präsident der DKG und Geschäftsführer des Landeskrankhauses Andernach.

Das deutsche Gesundheitswesen insgesamt und die Krankenhäuser im Besonderen haben in der Corona-Pandemie gezeigt, wie leistungsfähig und wie verlässlich ihre Strukturen sind. Die Übersterblichkeit liegt weit hinter der anderer Länder zurück. Zu keinem Zeitpunkt mussten die Ärztinnen und Ärzte entscheiden, bei welchen Patientinnen und Patienten sie noch maximale Therapiemöglichkeiten einsetzen und bei welchen nicht. Die Krankenhäuser waren sogar in der Lage, schwer kranke Patientinnen und Patienten aus den Nachbarländern zu übernehmen, und retteten in vielen Fällen deren Leben. Auch aus diesem Grund waren der Lockdown und die Beschränkung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland weniger drastisch als beispielsweise in Frankreich, Italien oder Spanien. Politik, Gesellschaft und das deutsche Gesundheitswesen haben sich in dieser Krise bewährt.

Aktuelle Lage und Herausforderungen

Schon vor der Pandemie waren sich die Politik, die Wissenschaft, die Kostenträger und die Krankenhäuser einig, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen der medizinischen Versorgung einer grundlegenden Reform bedürfen. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen vom steigenden Versorgungsbedarf einer älter werdenden Bevölkerung über zunehmende Versorgungslücken im ländlichen Raum bis hin zu schlecht aufeinander abgestimmten Behandlungsprozessen im Bereich der sektorenübergreifenden Versorgung. Dass insbesondere die Kostenträger das Ziel der Ambulantisierung von Krankenhausleistungen und einen damit verbundenen Kapazitätsabbau verfolgen, soll hier nicht unerwähnt bleiben. Hinzu kommen eine Digitalisierung, die ihre Potenziale bei weitem noch nicht ausschöpft, und eine Vielzahl von Nachweis- und Dokumentationsverpflichtungen, die den Beschäftigten in den Kliniken und Arztpraxen viel Zeit für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten stiehlt. Eine große Herausforderung ist auch der zunehmende Fachkräftemangel. Insbesondere im Bereich der Pflegekräfte, der Ärztinnen und Ärzte sowie der IT-Kräfte können die Krankenhäuser schon heute freie Stellen häufig nicht besetzen. Diese Situation wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen und auf fast alle Gesundheitsberufe im Krankenhaus ausweiten.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und ihre Mitgliedsverbände haben die Politik vor diesem Hintergrund bereits im Herbst 2019 aufgefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen der medizinischen Versorgung grundlegend zu reformieren und ungesteuerte Umbrüche der Versorgungsrealität über immer mehr Vorgaben, Kontrollmechanismen und Sanktionsandrohungen („kalte Strukturbereinigung“) zu beenden. In ihrem Appell erneuerten die DKG und ihre Mitgliedsverbände ausdrücklich ihr Angebot, sich auch in schwierige Strukturdiskussionen, wie den Abbau nachweisbar nicht bedarfsnotwendiger Kapazitäten, aktiv einzubringen.

Lehren aus der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie hat den Bedarf einer grundlegenden Versorgungsreform nicht vermindert. Gleichwohl lassen sich aus dem erfolgreichen Umgang mit der Pandemie wichtige Lehren für die anstehende Reform ziehen. Wichtige Erfolgsfaktoren sind der föderale Aufbau des Gesundheitswesens und die vertrauensvolle, enge Zusammenarbeit der Verantwortlichen vor Ort in den Regionen. Fast überall wurden Partikularinteressen und Wettbewerb zu Gunsten kooperativer Strukturen und gemeinsamer Versorgungsverantwortung zurückgestellt. Dies ermöglichte es, die regionalen Versorgungsgegebenheiten zu berücksichtigen und flexibel auf die Entwicklung des Pandemiegeschehens zu reagieren. Den Krankenhäusern ist es ein wichtiges Anliegen, diesen gemeinsamen Geist über die Pandemie hinaus auch in den Alltag zu überführen und damit im positiven Sinne eine neue Normalität der Kooperation von Leistungserbringern auch über die Sektorengrenzen hinweg zu bewahren.


Als Reaktion auf die Pandemie setzte der Gesetzgeber ausgewählte Dokumentations- und Nachweisverpflichtungen sowie Strukturvorgaben zeitlich befristet aus. Der Abbau nicht zwingend erforderlicher Bürokratie und die Rückführung von Regelungen und Kontrollen trugen maßgeblich dazu bei, dass die Versorgung flexibel und ohne Abstriche bei der Qualität am tatsächlichen Bedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtet werden konnte. Zu einer spürbaren Entlastung des Personals der Krankenhäuser führte vor allem die Aussetzung der kleinteiligen und stationsbezogenen Vorgaben der Pflegepersonaluntergrenzen und Mindestvorgaben im psychiatrischen Bereich. Als Ersatz für die Pflegepersonaluntergrenzen hat die DKG gemeinsam mit ver.di und dem Deutschen Pflegerat der Politik schon vor der Pandemie einen Vorschlag für ein am tatsächlichen Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtetes Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument (PPR 2.0) vorgelegt. Auch um den Ankündigungen aus der Konzertierten Aktion Pflege Taten folgen zu lassen, muss die Politik dieses Konzept nun zeitnah gesetzlich umsetzen.


Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch in fast allen anderen Gesellschaftsbereichen einen deutlichen Schub gegeben. Gleichzeitig wurde offenkundig, dass das immense Potenzial der Digitalisierung bislang nur ansatzweise ausgeschöpft werden konnte. Dies gilt auch für die Krankenhäuser. Um den Prozess der Digitalisierung zu beschleunigen, ist ein breites Bündel an Maßnahmen zwingend erforderlich. Neben einheitlichen Standards bedarf es vor allem einer auskömmlichen Finanzierung der erforderlichen Investitions- und Betriebskosten. Das mit dem Krankenhauszukunftsgesetz auf den Weg gebrachte Sonderprogramm für Investitionen in die digitale Infrastruktur der Krankenhäuser ist daher ein erster wichtiger Schritt zum richtigen Zeitpunkt. Das Programm wird die Behandlungsprozesse und den Informationsaustausch für die Patientinnen und Patienten verbessern und außerdem auch dazu beitragen, dass die Krankenhäuser die Arbeitsbedingungen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attraktiv gestalten können.


Offenkundig ist aber auch, dass der Zukunftsfonds die seit Jahren bestehende Investitionsmisere der Krankenhäuser nicht allein wird lösen können. Gefordert sind vor allem die Länder, die ihren Investitionsverpflichtungen in den vergangenen Jahren nicht nachgekommen sind. Gegebenenfalls gemeinsam mit dem Bund müssen sie endlich eine auskömmliche Investitionsfinanzierung dauerhaft sicherstellen.

Reformagenda

Mit der Verbesserung der Personalsituation der Krankenhäuser, dem beschleunigten Ausbau der Digitalisierung, dem Abbau überflüssiger Dokumentations- und Nachweisverpflichtungen und einer nachhaltigen Reform der Investitionsfinanzierung zeichnen sich einige Schwerpunkte der gesundheitspolitischen Agenda der nächsten Legislaturperiode bereits deutlich ab.

Zwingend erforderlich ist darüber hinaus eine Reform des DRG-Systems.

Die Krankenhäuser sind das Rückgrat der gesundheitlichen Daseinsvorsorge in Deutschland. Die ausschließlich leistungsbezogene Finanzierung dieser Daseinsvorsorge über die DRGs ist kein zukunftsfähiges Konzept.

Ein erster, allerdings sehr isolierter Schritt zu einer Weiterentwicklung war die Herauslösung der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen. Notwendig ist eine Finanzierungsreform, die die zentrale Funktion der Krankenhäuser in einer zunehmend vernetzten Versorgung berücksichtigt und zugleich auch die Komplexität der Anreizwirkungen neuer Finanzierungsinstrumente insgesamt betrachtet. Ein neues Finanzierungssystem muss den sich wandelnden Aufgabenstellungen der Krankenhäuser gerecht werden und ihre Kostenzuwächse unabhängig von der Leistungsentwicklung decken.


Die Krankenhäuser sind sich ihrer Verantwortung für eine qualitativ hochwertige, flächendeckende Versorgung der Bevölkerung bewusst. Dies umfasst ausdrücklich auch ihre Verantwortung für einen wirtschaftlichen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel. Vor diesem Hintergrund haben sich die DKG und ihre Mitgliedsverbände bereits im März 2019 zu einer aktiven Mitwirkung an Strukturveränderungen bekannt. Denn auch die Krankenhäuser wissen, dass nicht jedes der aktuell 1.925 Krankenhäuser in der jetzigen Form dauerhaft zukunftsfähig ist und für die Versorgung der Bevölkerung zwingend gebraucht wird. Unter dem Leitsatz „Fair diskutieren, entscheiden und handeln“ haben die Krankenhäuser zum Auftakt ihrer gleichnamigen Kampagne im September 2020 nochmals an die Politik in Bund und Ländern appelliert, die Weiterentwicklung der Krankenhauslandschaft in einem transparenten und fairen Miteinander zu gestalten. Der kalte Strukturwandel, den die Beschäftigten in den Kliniken, aber auch die Patientinnen und Patienten und die Bevölkerung in den Regionen seit vielen Jahren erleben, muss ein Ende haben. Die Krankenhäuser sind zuversichtlich, dass der Wandel gelingen kann, wenn die Politik und die Selbstverwaltungspartner gemeinsam den Geist und das neu gewonnene Vertrauen aus der Krisenbewältigung nutzen, um in den kommenden Monaten gemeinsam, verantwortlich und fair über die Zukunft der medizinischen Versorgung und der Krankenhäuser zu diskutieren, zu entscheiden und zu handeln.