Acht Minuten – das ist laut einer Veröffentlichung im British Medical Journey (BMJ) hierzulande die durchschnittliche Beratungsdauer in der hausärztlichen Primärversorgung. Damit reiht sich Deutschland international im Mittelfeld ein. In denselben acht Minuten generiert der menschliche Körper eine immense Menge medizinischer Daten: seien es Vitalparameter (z.B. Herzfrequenz, Atemfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur), elektrophysiologische (EKG, EEG) oder laborchemische Parameter.
All diese Daten können nur punktuell während eines Arztkontaktes erhoben werden – die kontinuierliche Erfassung von Vitalparametern wird für die medizinische Entscheidungsfindung und Therapiekontrolle meist weniger genutzt. Die Erfassung und Nutzbarmachung medizinischer Daten ist der Kern vieler Anwendungen unter dem Oberbegriff Telemonitoring oder Patientenfernüberwachung. Telemonitoring kann ein wesentlicher Baustein für eine effiziente und sektorenübergreifende Versorgung sein und hat bei breiter Nutzung das Potenzial, die digitale Transformation des Gesundheitswesens zu unterstützen.
Im Folgenden betrachten wir zunächst, welcher Nutzen von Telemonitoring für Patientenpopulationen und das Gesundheitssystem zu erwarten ist und wie die Erweiterung der verfügbaren Datenmenge zu besserer Versorgung führen kann. Nach einem Überblick über typische Anwendungsfelder und eingesetzte Produkte gehen wir auf die Rahmenbedingungen von Telemonitoring in Deutschland ein und beleuchten im Anschluss die Rolle im internationalen Vergleich. Ein Ausblick auf die wichtigsten technischen und regulatorischen Trends rundet das diesjährige Fokusthema ab.
in der deutschen Gesundheitsversorgung
Franz-Xaver Neubert und Marie Rastetter
Relevanz von Telemonitoring im deutschen Gesundheitssystem
Um die Bedeutung und den Nutzen von Telemonitoring für Anwendergruppen und das Gesundheitssystem zu ermessen, gilt es zunächst, seinen Unterschied gegenüber der klassischen Vor-Ort-Behandlung zu definieren: Telemonitoring ermöglicht die Kontrolle und Auswertung von Gesundheitsdaten aus der Ferne durch vernetzte Geräte. Dadurch erweitert sich der Beobachtungs- und Therapieraum – Arzt-Patienten-Kontakte und ärztliche Entscheidungen können effizienter und effektiver werden.
Therapeutischer Nutzen
Patientinnen und Patienten stehen in der heutigen Gesundheitslandschaft einem komplexen System gegenüber, das von ihnen oft die eigenständige Koordinierung von Behandlungen und aktive Arztkommunikation verlangt. So werden akute Symptome oft am besten erfasst, wenn Arztbesuch und Symptomauftreten zusammenfallen. Die Behandlung chronischer Erkrankungen mit ihren regelmäßigen Kontrollen wiederum ist für die Betroffenen meist mit zusätzlichem Zeitaufwand verbunden. Was noch schwerer wiegt: Bei ernsten Erkrankungen wie Niereninsuffizienz oder Herzrhythmusstörungen wird das Krankheitsbild häufig erst in einem relativ späten Stadium (z.B. durch Folgeerkrankungen wie Schlaganfall) erkannt, da limitierte Datenausschnitte in der Vorbehandlung eine spezifische Diagnose verzögern können und den Therapiebeginn verzögern können. Telemonitoring kann dabei helfen, Symptomentwicklungen kontinuierlich aufzuzeichnen und (fach )ärztliche Kompetenz rechtzeitig heranzuziehen.
Telemonitoring-Anwendungen können somit die Früherkennung schwer zu erfassender Symptome unterstützen. Sie erlauben einerseits die laufende Betrachtung von Vitalparametern, sodass Ärztinnen und Ärzte eine breitere Datenbasis erhalten und schnellere Diagnosen stellen können. Andererseits müssen Erkrankte für eine Testung nicht jedes Mal persönlich in die Praxis kommen. Der Bequemlichkeits- wie auch der Zeitersparnisfaktor einer Fernüberwachung kann gerade in ländlichen Gebieten mit geringer (Fach )Arztdichte ein positiver Faktor sein – insbesondere für chronisch Kranke: Die Diagnoserate einer Herzinsuffizienz ist auf dem Land um 40% geringer als in städtischen Gebieten. Durch Telemonitoring-Anwendungen könnten solche Diskrepanzen in der Versorgungsstruktur leichter ausgeglichen werden.
Fallbeispiel: Diagnose und Therapie von Vorhofflimmern
Wie sich Telemonitoring auf individuelle Patientenpfade auswirken kann, zeigt das fiktive Beispiel eines männlichen Patienten mit bisher nicht diagnostiziertem paroxysmalen (vorübergehend auftretendem) Vorhofflimmern, kurz VHF (s. Abb. 1).
Der Patient bemerkt anfangs ein Herzstolpern, das ihn vielleicht zunächst nicht unmittelbar in die Arztpraxis führt, da die Störung nur unregelmäßig auftritt. Seine anderen Symptome Kurzatmigkeit und Müdigkeit hingegen können auch für Ärzte relativ unspezifisch sein und eventuell nicht direkt einem bestimmten Krankheitsbild zugeordnet werden. Weitere Arztbesuche könnten folgen, um andere Ursachen wie z.B. Lungen- oder Gefäßerkrankungen auszuschließen. All dies kann die Zeit bis zur korrekten Diagnosestellung verlängern – das Risiko von Komplikationen (z.B. Schlaganfall) kann sich erhöhen.
Nach längerem Leidensweg und mehreren Arztbesuchen kann schließlich ein Langzeit-EKG die Ursache der Beschwerden aufdecken: In den 24-stündigen Aufzeichnungen findet die Ärztin mehrere Episoden mit auffälligen Flimmerwellen und einer absoluten Arrhythmie – Zeichen eines paroxysmalen VHF. Nach dieser Diagnose könnte der Patient ein gerinnungshemmendes Medikament erhalten, dessen Einnahme ihm wegen potenzieller Nebenwirkungen Sorgen bereiten könnte. Erschwernisse für den Patienten könnten auch wiederholte Arztbesuche sein, die zur Überprüfung der Therapieeffekte nötig werden.
Nachdem eventuell mehrere Versuche scheitern, das VHF medikamentös unter Kontrolle zu bekommen, könnte die Implantation eines Herzschrittmachers nötig sein, was eventuell eine regelmäßige Präsenz des Patienten in einer Klinik erfordern könnte. Der Zeitaufwand dafür könnte für Patienten in einer ländlichen Gegend groß sein – vor allem, wenn Patienten nur eingeschränkt mobil sind.
Der Einsatz von Telemonitoring brächte in diesem Fall mehrere Vorteile: So könnte der Patient beispielsweise EKG-Daten und kardiovaskuläre Risikofaktoren zuhause selbst erheben, was eine frühzeitige Risikoerkennung und fachärztliche Konsultation auf gesicherter Datenbasis ermöglichen könnte. Auf diese Weise kann im Falle einer akuten Arrhythmie schnell reagiert und der Patient umgehend in ein Krankenhaus eingewiesen werden. Auch kann der Zugang zu den gesammelten Daten dem klinischen Fachpersonal helfen, unnötige Wiederholungsuntersuchungen zu vermeiden. Nicht zuletzt könnten automatisierte Auswertungen des Herzschrittmachers zu einer kontinuierlichen Überwachung des Gesundheitszustands beitragen, was wiederum für den Patienten weniger Klinikaufenthalte nötig machen würde.
Mehr Sicherheit für Behandelnde und Behandelte
Wie das Beispiel illustriert, könnte Telemonitoring bereits heute einige Problempunkte sowohl arzt- als auch patientenseitig adressieren: So können Telemonitoring-Anwendungen über verschiedene Indikationen hinweg helfen, Symptome zu erfassen, was bei Patienten ein Gefühl der Sicherheit erzeugen kann. Die verbesserte Datenlage (etwa durch Langzeit-EKG) wiederum erlaubt eine frühere Diagnosestellung und in der Folge eventuell einen früheren Therapiebeginn. Andere Anwendungen könnten eine systematische Überwachung der Einnahme von Medikamenten ermöglichen, z.B. bei der Behandlung von Diabetes
(s. Abb. 2).
Nutzen für das Gesundheitssystem
Neben seinem therapeutischen Nutzen kann Telemonitoring zur Bewältigung einiger Herausforderungen beitragen, denen Gesundheitssysteme gegenüberstehen: Demografischer Wandel führt zu einer alternden Bevölkerung bei gleichzeitig zunehmendem medizinischen Fachkräftemangel, vor allem in ländlichen Gebieten. 2035 könnten in Deutschland rund 11.000 Hausarztstellen unbesetzt und fast 40% der Landkreise unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein. Dies geht aus einer Studie der Robert Bosch Stiftung aus dem Jahr 2021 hervor. Auch die Entwicklung in der stationären Versorgung ist besorgniserregend: 2022 hatten laut Deutschem Krankenhausinstitut 72% der Krankenhäuser Stellenbesetzungsprobleme im ärztlichen Dienst; im Pflegedienst waren es 89%. Bei der Fachärzteschaft sind laut Ärztestatistik 2022 der Bundesärztekammer 28% der Praktizierenden 60 Jahre und älter und stehen somit kurz vor dem Ruhestand.
Zusätzlich erschwert wird die Situation durch chronische Krankheiten, die eine wachsende Belastung für das Gesundheitssystem darstellen: Das Weltwirtschaftsforum erwartet, dass die Behandlungskosten in diesem Bereich weltweit bis 2030 im Vergleich zu 2010 um zwei Drittel ansteigen werden. Der Grund: Chronisch Kranke benötigen – bei gleichzeitig komplexer werdenden Therapieregimes – Erfolgskontrollen und eventuell Anpassungen der Therapie, was wiederum mehr Arztkonsultationen nötig machen würde.
Telemonitoring kann bei der Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen. Es kann dabei helfen, die richtige medizinische Versorgung zum richtigen Zeitpunkt einzuleiten – auch über Distanzen hinweg. Durch kontinuierliche digitale Überwachung können Behandelnde den Gesundheitszustand aus der Ferne verfolgen und bei Bedarf schnell eingreifen, was sowohl für die Patientensicherheit als auch für die Qualität der Versorgung ein positiver Faktor ist.
Jährliches Wertpotenzial von mehr als 4 Mrd. EUR für das deutsche Gesundheitssystem
Neben dem Beitrag zur verbesserten Patientenversorgung kann Telemonitoring auch ökonomischen Nutzen für das Gesundheitssystem stiften. Eine Studie von McKinsey und dem Bundesverband Managed Care (BMC) beziffert das jährliche Wertpotenzial von Digital Health für das deutsche Gesundheitswesen auf 42 Mrd. EUR. Das Nutzenpotenzial von Telemonitoring-Technologien wird dabei auf 4,3 Mrd. EUR taxiert. 67% dieses Potenzials entfallen auf die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten, 26% auf kürzere Liegezeiten und die Verschiebung der Behandlung in ambulante Versorgungsformen. Weiteres Potenzial ergibt sich aus der Vermeidung von Anschlussheilbehandlungen und Notfalltransporten chronisch Erkrankter (s. Abb. 3).
Mitverantwortlich für das zunehmende Wertpotenzial von Telemonitoring ist nicht zuletzt die fortlaufende technologische Weiterentwicklung – insbesondere in den Bereichen Vernetzung und Telekommunikation, was z.B. die Integration von Überwachungsgeräten und Videokonferenzplattformen ermöglicht. Die Zunahme von Sensor- und Speicherkapazitäten liefert weitere technologische Anreize. Die zentrale, datenschutzkonforme Speicherung und Auswertung (Cloud-Computing) ist in einigen Bereichen noch immer eine Herausforderung, setzt sich aber zunehmend durch und ermöglicht immer komplexere Telemonitoring-Lösungen und die Verarbeitung größerer Datenmengen.
Der Fortschritt der Fernüberwachungstechniken kann allen am Gesundheitssystem Beteiligten zugute kommen: Patienten- und Ärzteschaft können von einer integrierten Versorgung und umfassenderen Behandlungsmöglichkeiten profitieren, während die Leistungsfähigkeit des Systems insgesamt gesteigert werden kann – z.B. durch sektorenübergreifende Verzahnung, die Vermeidung von stationären Aufenthalten und effizientes Entlassmanagement. Durch digital unterstützte Disease-Management-Programme für chronisch Kranke lassen sich zudem die begrenzten Ressourcen des Gesundheitssektors effektiv zur Patientenversorgung einsetzen. Darüber hinaus kann Telemonitoring wertvolle Erkenntnisse für die medizinische Forschung liefern, zum einen über die breitere Verfügbarkeit von Daten (Versorgungsforschung bzw. Real-World Evidence) und zum anderen über dezentrale klinische Studien.
Anwendungsfelder, Produkte und Dateninfrastruktur
Die Integration von Telemonitoring in die Gesundheitsversorgung ist unterschiedlich weit fortgeschritten, abhängig von der jeweiligen Indikation und der angestrebten Therapie. Während es in einigen Bereichen bereits etablierte Anwendungen gibt, befinden sich andere noch im Entwicklungsstadium. Im Folgenden beschreiben wir die telemetrische Anwendungslandschaft entlang typischer Behandlungspfade und ausgewählter Indikationen. Danach betrachten wir die eingesetzten Geräte, Produkte und Technologien und gehen abschließend kurz auf die Dateninfrastruktur mit ihren verschiedenen Formen der Überwachung ein.
Die Anwendungslandschaft
Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Telemonitoring: erstens die Überwachung von überwiegend chronisch Kranken in der eigenen häuslichen Umgebung und zweitens das Monitoring durch medizinisches Fachpersonal an anderen Behandlungsorten, etwa in der Notfallversorgung. Beim Monitoring in der häuslichen Umgebung steht die Arzt-Patienten-Kommunikation im Vordergrund. Hierbei werden Patientendaten erhoben, an das medizinische Fachpersonal (etwa in einer Arztpraxis) übertragen und ausgewertet. Die Daten dienen dann typischerweise als Grundlage für Therapieentscheidungen. Beim zweiten Archetyp steht die Vernetzung der Gesundheitsfachkräfte im Vordergrund. Hier werden die Patientendaten beispielsweise von Sanitätskräften in einem Rettungswagen an Fachärztinnen und -ärzte in einem klinischen Zentrum übertragen. Die oft in Echtzeit übermittelten Daten ermöglichen kurzfristige Therapieentscheidungen, die dann vom Personal vor Ort umgesetzt werden (s. Abb. 4).
Telemonitoring in der häuslichen Umgebung
Die meisten Anwendungsfälle für Telemonitoring finden sich in der Überwachung von Kranken in ihrer häuslichen Umgebung. Auf diese Weise lassen sich kontinuierlich Daten erfassen, Therapien optimieren und Akutereignisse vermeiden oder früh erkennen. Die Verbreitung der Anwendungen variiert nach Indikation und Anwendungsmodell. Während z.B. kardiologisches Telemonitoring bereits vielerorts in der Regelversorgung etabliert ist, stecken andere Therapiegebiete wie die Psychiatrie telemetrisch noch eher am Anfang. Auch der Interventionsgrad der Anwendungen spielt eine Rolle: Solche, die auf sporadischer Datenerfassung und retrospektiver Analyse beruhen, sind leichter zu entwickeln und niederschwelliger zugänglich als z.B. invasive Technologien.
Der Stellenwert von Telemonitoring in der Patientenversorgung lässt sich entlang verschiedener Anwendungsmodelle in unterschiedlichen Krankheitsgebieten illustrieren. Aktuell wird Telemonitoring überwiegend zur Therapieunterstützung und -kontrolle eingesetzt, in einigen Fällen auch in der Diagnostik. Die Anwendungen bei der Therapieunterstützung lassen sich je nach erhobener Datenmenge und Grad der therapeutischen Unterstützung in drei Kategorien einteilen:
- In der ersten werden meist punktuell Daten erfasst und erst nach einem Erfassungszeitraum zur Auswertung an das medizinische Fachpersonal weitergegeben (z.B. klassisches Holter-EKG mit Aufzeichnung von 72 Stunden EKG-Daten und Auswertung durch Kardiologen im Nachgang).
- Die zweite Kategorie erfasst Daten und leitet diese kontinuierlich an das medizinische Fachpersonal weiter. Allerdings obliegt die Auswertung und Interpretation dieser Daten der menschlichen Expertise – eine algorithmische Unterstützung erfolgt nicht (z.B. tägliche Weiterleitung von Vitalparametern und Antworten auf einen COPD-Assessment-Test an den Hausarzt bei COPD-Erkrankten zur frühen Feststellung einer Exazerbation).
- Die dritte Gruppe beinhaltet neben kontinuierlicher Datenerfassung und -weiterleitung auch eine (z.B. algorithmische oder regelwerksbasierte) Analysefunktion mit Warnhinweisen für den Arzt bei Auffälligkeiten (s. Abb. 5).
Abb. 5 Entwicklung von Telemonitoring-Anwendungen nach Indikationsgebiet und Anwendungsmodell. Quelle: McKinsey
Herz-Monitoring vorn: Fernüberwachungsmodelle sind je nach Krankheitsgebiet unterschiedlich stark etabliert
1 Schätzung anhand der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen pro Indikation in der medizinischen Fachdatenbank PubMed
2 Die Beschreibungen „Keine/kaum Anwendung“ bis „Weltweit erste Anwendung verfügbar“ beziehen sich auf international nachgewiesene bzw.verfügbare Anwendungen; die Beschreibung „In deutscher Versorgung etabliert“ bezieht sich auf verfügbare Anwendungen in der deutschen Regelversorgung
Je nach Indikation sind unterschiedliche Anwendungen möglich – einige typische werden nachfolgend anhand ausgewählter Krankheitsgebiete beschrieben.
Herzinsuffizienz
Telemonitoring von Herzinsuffizienz – 2022 in die deutsche Regelversorgung aufgenommen – ermöglicht die Erfassung der Vitalparameter mittels implantierter und nichtinvasiver Geräte. Dazu gehören beispielsweise Waagen und Blutdruckmessgeräte, aber auch Herzschrittmachersteuerungen (ICDs). Die Datenübertragung mit Warnhinweisen zu Akutereignissen hat sich als effektiv erwiesen: Studien zufolge ist die Fernbetreuung von Herzinsuffizienzkranken mit einem geringeren Risiko für kardiovaskulär bedingte Hospitalität und Sterblichkeit verbunden. Der engmaschige Datentransfer ermöglicht es Behandelnden, schnell auf Veränderungen im Krankheitsbild zu reagieren und Medikationen anzupassen. Verschlechterungen des Zustands können somit früher erkannt und effektiv behandelt werden; in der Folge kommt es zu weniger Krankenhausaufenthalten.
Herzrhythmusstörungen
Störungen des Herzrhythmus und VHF können oft lange unentdeckt bleiben und zu Schlaganfällen oder plötzlichem Herztod führen. Telemonitoring kann helfen, dies zu verhindern, beispielsweise durch die automatische Auswertung von Pulsdaten oder durch das Auslesen von EKG- und ICD-Systemen. Dabei können diagnostische Daten direkt an Behandelnde gesendet werden und eine kontinuierliche Überwachung des Herzrhythmus ermöglichen.
Hypertonie, Diabetes mellitus, COPD und Asthma
Für vier der verbreitetsten chronischen Erkrankungen gibt es Anwendungen zur Überwachung von Akutereignissen, wobei Hypertonie und Diabetes auch Medikationsanpassungen aus der Ferne erlauben. So bestehen in Deutschland z.B. einige Selektivverträge zur Vergütung der Diabetes-Behandlung mit ESYSTA. Die Anwendung erfasst die Anzahl injizierter Insulindosen und Blutzuckerwerte über smarte Geräte, die in eine App auf dem Smartphone übertragen werden. In Österreich bereits etabliert ist die Fernüberwachung von Hypertonie: Patienten können ihre Werte vom Blutdruckmessgerät via Bluetooth in die GesundLeben-App laden und direkt an ihre Ärzte übermitteln.
Für COPD-Erkrankte läuft in Deutschland das staatliche Förderprojekt TELEMENTOR COPD zur Notfallprävention (Exazerbation). Dabei werden automatisch relevante Vitalparameter erfasst und COPD-Assessment-Tests abgefragt. Ein Ampelschema zeigt das Exazerbationsrisiko anhand erhöhter Atemfrequenz an und eine App stellt präventive Inhalte für Körper- und Lungentrainings bereit.
Erste Studien gibt es auch zu Telemonitoring-Anwendungen für Asthma: Hier können Betroffene von zuhause aus mithilfe eines Bluetooth-Spirometers ihre Lungenfunktion und Symptome überwachen; smarte Inhalatoren zählen die abgegebenen Medikamentendosen; Wearables prognostizieren und verhindern Asthmaanfälle, während ein Pulsoximeter die Schwere eines akuten Asthmaanfalls bewertet.
Schlafapnoe
Telemonitoring für Schlafapnoe kann dazu beitragen, die Behandlung zu individualisieren, um eine bessere Kontrolle der Symptome zu erreichen. „Silent Night Therapy“ beispielsweise ist eine Plattform zur Überwachung von Schlafdaten und Beatmungsgeräten (CPAP). Die Plattform warnt bei Abweichungen von individuellen Therapiezielen und ermöglicht eine schnelle Anpassung. ResMed bietet eine laufende Therapiebegleitung aus der Ferne auch für Schlafapnoe Patienten in Deutschland an, die durch eine tägliche Analyse der Therapiedaten zugeschnittene Interventionen bei fortbestehenden Auffälligkeiten ermöglicht. Wissenschaftliche Studien belegen den Nutzen von Telemonitoring bei Schlafapnoe: So wies eine Untersuchung eine Steigerung der CPAP-Adhärenzrate um 20% nach; eine andere verbesserte Schlafqualität und reduzierte Tagesmüdigkeit. In einer dritten Studie führte das Telemonitoring zu weniger Krankenhausaufenthalten und gesteigerter Lebensqualität. Zudem wies die Studie Einsparungen bei den Gesundheitsausgaben nach.
Telemonitoring durch medizinisches Fachpersonal an anderen Behandlungsorten
Technologien zur ortsunabhängigen Überwachung Schwerstkranker werden immer häufiger auch in der Krankenhaus- und Notfallversorgung eingesetzt. Durch quasi-simultane Übertragung der Gesundheitsdaten an einen zentralen Behandlungsort kann fachärztliche Expertise bei Bedarf dort hinzugezogen werden, wo sie akut benötigt wird. Dadurch lässt sich ein besserer Abdeckungsgrad in der Patientenversorgung erzielen, ohne an jedem Behandlungsort Fachleute vorhalten zu müssen.
- Beispiel Krankenhaus: Auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie stiegen die Patientenzahlen so stark, dass Grund- und Regelversorger in bisher unbekanntem Maß für die Intensivversorgung erforderlich wurden. Telemonitoring schaffte in einigen Fällen Abhilfe: In den ersten Vorstufen des virtuellen Krankenhauses in Nordrhein-Westfalen etwa konnten die Intensivbetten mit der Behandlungsexpertise eines Maximalversorgers ausgestattet werden. Auch in Großbritannien wurden Krankenhäuser durch sogenannte „Virtual Wards“ entlastet, die Erkrankte aus der Ferne medizinisch betreuten. Eine Studie der Charité konnte darüber hinaus nachweisen, dass telemedizinisch begleitete Visiten geeignet sind, die Versorgung auf Intensivstationen in sieben von acht untersuchten Qualitätsindikatoren zu verbessern.
- Beispiel Notfallversorgung: Hier werden speziell ausgerüstete Rettungsfahrzeuge mit Sensortechnologie, Bild- und Tontechnik ausgestattet, sodass geschultes Sanitätspersonal unter notärztlicher Fernanleitung agieren kann. Auf diese Weise lassen sich mehrere Standorte gleichzeitig notfallmedizinisch betreuen, Ressourcen besser verteilen und Reaktionszeiten in Akutfällen verkürzen.
- Beispiel Pflegeeinrichtung: In einem vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geförderten Innovationsprojekt werden in 24 Aachener Pflegeeinrichtungen Telemonitoring-Technologien getestet, um vermeidbare Krankenhauseinweisungen zu reduzieren. Dazu wurden alle beteiligten Standorte mit Visitenwagen ausgestattet, die über zwei Bildschirme, Raumkamera, Mikrofon, Vitaldatenmonitor und verschiedene Messgeräte verfügen. Außerdem wurde ein Frühwarnsystem eingerichtet, das Gesundheitsverschlechterungen bei den Pflegebedürftigen automatisiert erkennt und rund um die Uhr Notfallverbindungen zur ärztlichen Zentrale an der RWTH Aachen herstellen kann.
Ähnliche Fernüberwachungsmodelle wären auch in sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen denkbar. Neben dem ressourceneffizienten Einsatz von medizinischem Personal könnte so auch die Attraktivität pflegerischer Berufe gesteigert werden.
Eingesetzte Produkte und Geräte
Das Spektrum der vorhandenen Telemonitoring-Lösungen ist breit gefächert – Hardware, Software, Apps und teilweise medizinische Dienstleistungen werden kombiniert und für verschiedene Indikationen angeboten. Diese Vielfalt liegt unter anderem in den unterschiedlichen Geschäftsmodellen der Anbieter begründet (s. Abb. 6).
Software/App only. Insbesondere Start-ups und Technologieunternehmen entwickeln Software oder App-only-Angebote, die auf die Hardware anderer Hersteller zurückgreifen. Viele dieser Angebote können auf mobilen Endgeräten wie Smartphones oder Tablets betrieben werden und erlauben so den Nutzenden, ihre Gesundheitsdaten selbstständig zu erfassen und zu übermitteln. Viele bieten darüber hinaus diverse Zusatzfunktionen bis hin zur Dateninterpretation an.
Integrierte Lösung. Etablierte Medizingerätehersteller entwickeln oft zu ihrer vorhandenen Hardware eine kompatible Software, die in Kombination mit dem Gerät Telemonitoring ermöglicht. Solche integrierten Lösungen umfassen (Mess) Geräte, Sensoren und Implantate, die direkt am Körper oder in der Umgebung angebracht werden können, um kontinuierlich Daten zu erfassen. Das Gerätespektrum reicht von Blutdruckmessern und Pulsoximetern über EKG-Geräte und kardiale Aggregate bis zu Apnoe-Monitoren. Bei diesem Geschäftsmodell sind Software und Hardware nicht immer mit den Produkten anderer Hersteller kompatibel.
Integrierte Lösung plus Dienstleistung. Vor allem in Großbritannien, Skandinavien und den USA bieten Telemonitoring-Anbieter zusätzlich zur Geräte- und Softwareinfrastruktur medizinische Dienstleistungen etwa zum Patientenmanagement an. Dies ist auf die Abrechnungsstruktur dieser Gesundheitsmärkte zurückzuführen, die es Leistungserbringern ermöglicht, Telemonitoring-Lösungen in Kombination mit Services anzubieten (s. Abschnitt „Telemonitoring im internationalen Vergleich“).
Wearables mit Potenzial für Telemonitoring
Neben spezialisierten Geräten können auch einige frei verkäufliche Wearables Telemonitoring-Services übernehmen (s. Tab. 1). Dabei handelt es sich z.B. um Wearables oder Smart Watches, die für den Massenmarkt konzipiert sind und der Erfassung persönlicher Gesundheits- und Aktivitätsdaten dienen. Durch ihre Popularität, relativ niedrige Anschaffungskosten und kontinuierliche Messwerte haben Wearables insbesondere Potenzial für das Selbstmonitoring.
Um ein Wearable für medizinisches Telemonitoring nutzen zu können, muss eine Zulassung als Medizinprodukt vorliegen, die ausreichende diagnostische Qualität sicherstellt. Neben Gesundheitsfachkräften verwenden auch einige Studien kommerzielle Wearables zur Datenerfassung. Allerdings weisen die Daten oft nicht die Genauigkeit auf, die für eine medizinische Diagnose erforderlich ist. Eine sorgfältige Auswahl der verwendeten Geräte ist daher angezeigt.
Dateninfrastruktur
Die Möglichkeiten der telemetrischen Datenüberwachung erstrecken sich über zahlreiche Gesundheitsdimensionen – von der Lungenfunktionsprüfung über die Mobilitätskontrolle bis zum Schmerzmanagement (s. Abb. 7). Erhebung und Weiterleitung der Gesundheitsdaten können punktuell oder kontinuierlich erfolgen, synchron oder zeitversetzt – je nach technischer Ausstattung und medizinischer Indikation.
Die punktuelle Datenüberwachung nimmt Messungen von Vitalparametern wie z.B. Blutdruck zu bestimmten Zeitpunkten vor – entweder durch die Nutzenden selbst oder medizinisches Fachpersonal. Die Messungen erfolgen über Sensoren, Geräte oder Apps und dienen der Beobachtung und Dokumentation von Gesundheitsparametern.
Die kontinuierliche Datenüberwachung erfasst und überträgt Gesundheitsdaten fortlaufend über einen bestimmten Zeitraum, bei chronisch Kranken teilweise rund um die Uhr. Genutzt werden Wearables, Sensoren oder implantierte Geräte. Ein Beispiel sind Continuous-Glucose-Monitor (CGM)-Geräte zur Messung von Blutzuckerwerten. Die Datenverfügbarkeit erlaubt eine Echtzeitüberwachung von Gesundheitszuständen und damit die frühzeitige Identifikation von Veränderungen und schnelles Eingreifen im Notfall. Die Übertragung der Daten erfolgt in diesem Fall also synchron.
Im Gegensatz dazu werden bei der zeitversetzten Übertragung die Daten zu einem späteren Zeitpunkt gesendet, beispielsweise in festgelegten Intervallen oder zu bestimmten Tageszeiten. Dieses Verfahren kommt oft bei der häuslichen Selbstüberwachung zum Einsatz. Es erlaubt eine gewisse Flexibilität und ermöglicht es den Nutzenden, ihre Daten gebündelt zu übermitteln.
Gesetzliche und regulatorische Rahmenbedingungen
Telemonitoring-Technologien können die Grundlage für wichtige medizinische Entscheidungen sein und erheben zugleich sensible Patientendaten. Es ist essenziell, dass diese Technologien sicher und verlässlich sind. Anbieter haben folglich eine Reihe regulatorischer Anforderungen zu erfüllen.
Zulassungsverfahren nach Risikoklassen
Telemonitoring-Anwendungen sind typischerweise als Medizinprodukte zugelassen. Hierzu gehören z.B. Herzschrittmacher mit Überwachungsfunktion oder Software zum Auslesen von Blutzuckerwerten. Die europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) wurde entwickelt, um die Sicherheit, Qualität und Leistung der Produkte sicherzustellen und einheitliche Standards zu gewährleisten. Die MDR teilt Medizinprodukte in verschiedene Risikoklassen ein. Diese richten sich einerseits nach der Bedeutung der erhobenen Daten für die Therapie, andererseits nach der Gesundheitsverfassung der Behandelten: Je wichtiger die Information und je kritischer die Patientensituation, desto höher ist die Risikoklasse (s. Abb. 8).
Da Telemonitoring-Lösungen in unterschiedlichsten Anwendungsfällen zum Einsatz kommen, können sie sämtliche bestehenden Risikoklassen abdecken:
- Zur Risikoklasse I zählen z.B. Apps zur Auslesung von CGM-Systemen. Die Hersteller müssen eine Konformitätserklärung abgeben, in der sie bestätigen, dass ihr Produkt den grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen entspricht. Eine Zertifizierung durch eine staatlich autorisierte („benannte“) Prüfstelle ist in der Regel nicht erforderlich – der Hersteller kann nach Artikel 52 MDR eine Selbstzertifizierung durchführen.
- Unter die Risikoklassen IIa und IIb fällt z.B. Closed-Loop-Software für eine Insulinpumpe. Hier müssen Hersteller zusätzlich zur Konformitätserklärung eine klinische Bewertung durchführen, um die Sicherheit und Leistung ihres Produkts nachzuweisen. Klasse IIb erfordert zudem eine Zertifizierung durch eine benannte Stelle.
- Für Medizinprodukte der Risikoklasse III, etwa Herzschrittmacher mit Steuersoftware, gelten die strengsten Anforderungen. Die Hersteller müssen eine umfangreiche klinische Prüfung durchführen, um die Sicherheit und Wirksamkeit ihres Produkts zu belegen. Eine Zertifizierung durch eine benannte Stelle ist in diesem Fall immer erforderlich: Sie führt eine umfassende Bewertung durch, um sicherzustellen, dass das Produkt den hohen Standards der MDR entspricht.
Die Risikoklasse einer Telemonitoring-Lösung kann sich durch die Weiterentwicklung der Lösung mit der Zeit verändern. So lässt sich aktuell beobachten, dass Hersteller die Funktionalitäten ihrer anfänglich Klasse-I-zugelassenen Lösungen erweitern, um ein breiteres Anwendungsspektrum (Indikationen, medizinische Verwendung, Risikopatienten) zu bedienen.
Unabhängig von der Risikoklasse müssen Medizingeräte mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden, bevor sie in der EU auf den Markt gebracht werden dürfen. Hierdurch erklärt ein Hersteller, dass sein Produkt den gemeinsamen Vorschriften und Qualitätsstandards der EU-Staaten genügt. Auch einzelne Telemonitoring-Komponenten, die nicht als Medizinprodukt zugelassen werden müssen (z.B. Wearables), haben die Mindestanforderung einer CE-Kennzeichnung zu erfüllen.
Nach dem Markteintritt müssen alle Telemonitoring-Anbieter unabhängig von der Risikoklasse fortlaufend die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen im Rahmen der sogenannten Post-Marketing Surveillance (PMS) überwachen. Hierbei sind Risiken, Nebenwirkungen oder Mängel des Telemonitoring-Systems im Nutzungsverlauf zu ermitteln und zu beseitigen. Die Überwachung wird vom Anbieter im Rahmen eines PMS-Berichts dokumentiert. Je nach Risikoklasse unterscheiden sich die Häufigkeit und der Detailgrad der Berichte und mit welchen Instanzen sie zu teilen sind.
Anforderungen an die Datensicherheit
Unternehmen, die in der EU personenbezogene Daten verarbeiten, müssen die Grundvoraussetzungen der europäischen Datenschutz-Grundverordnung GDPR erfüllen. Diese regelt unter anderem die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung sowie ihre Zweckbindung, Transparenz und Vertraulichkeit. Telemetrische Datenverarbeitung erfordert einen konkreten Grund und für jede Form von Zweitverwertung (z.B. Trainingsdaten für Algorithmen) eine klar definierte Zweckbindung. Zudem braucht es die Einwilligung von Patientinnen und Patienten in einem Consent-Verfahren. Ärzteschaft und Hersteller tragen gemeinsam Verantwortung für die Gewährleistung dieser Maßnahmen.
Die GDPR sieht außerdem vor, dass EU-Mitgliedstaaten die Handhabung von Gesundheitsdaten zusätzlich selbst regulieren können (in Deutschland DSGVO). In Deutschland regeln gleich mehrere Gesetze die Anwendung von Telemonitoring: Seit Dezember 2021 schreibt etwa das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz vor, dass nicht personenbezogene Daten ebenso zu schützen sind wie personenbezogene. Das Digitale-Versorgung-Gesetz und das Gesundheitsdatenschutzgesetz zielen darauf ab, Forschenden Zugang zu Gesundheitsdaten unter Einhaltung des Datenschutzes zu gewähren. Und das Bundesdatenschutzgesetz regelt die anonymisierte Verarbeitung personenbezogener Daten zu Forschungszwecken auch ohne Patienteneinwilligung.
Vergütung von Telemonitoring
Anbieter haben grundsätzlich drei Optionen zur Vergütung ihrer Produkte: erstens ein Selbstzahlermodell, bei dem die Leistungsempfänger die Kosten der Technologie tragen; zweitens ein Leistungserbringermodell, bei dem Praxen, Krankenhäuser oder Pflegeheime die Kosten übernehmen; und drittens ein Kostenträgermodell, bei dem Telemonitoring über die Krankenkasse abgerechnet wird. Jede Vergütungsform hat eigene Implikationen:
Im Selbstzahlermodell werden typischerweise Anwendungen abgerechnet, die nicht im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sind, aber von Patienten gewünscht werden und in Deutschland zugelassen sind. Hierzu zählen beispielsweise Insulinpens mit vollautomatisierter Datenübertragung, die noch nicht von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden.
Beim Leistungserbringermodell verfolgen die kostentragenden Einrichtungen das Ziel, mithilfe von Telemonitoring interne Arbeitsabläufe zu verbessern, Patientenversorgung zu verbessern oder Behandlungen zu ergänzen. Ein Beispiel ist der Einsatz von Telemonitoring beim Management von Entlassungen aus dem Krankenhaus, etwa bei chronischen Erkrankungen oder nach Operationen.
Über das Kostenträgermodell, also die Vergütung durch Krankenkassen, könnten Telemonitoring-Anwendungen in Deutschland die meisten Patientinnen und Patienten erreichen. Dieser Weg setzt allerdings die Aufnahme der Anwendung in den Leistungskatalog voraus (oder individuelle selektivvertragliche Lösungen). Dabei sind die Zugangshürden unterschiedlich hoch: Während PKVen als privatwirtschaftliche Unternehmen grundsätzlich mehr Freiheit haben, neue Versorgungsformen in ihren Leistungskatalog aufzunehmen oder Verträge mit kommerziellen Anbietern zu schließen, sind GKVen als Körperschaften des öffentlichen Rechts an gesetzliche Vorgaben gebunden. Telemonitoring-Leistungen können hier bislang unter definierten Bedingungen (z.B. über Selektivverträge nach § 140a SGB V) vergütet werden. So erstattet die AOK Nordost für die Indikation Diabetes das Telemonitoring-System ESYSTA des Herstellers Emperra über einen Selektivvertrag. Dieser gilt allerdings für die teilnehmenden Krankenkassen und Leistungserbringer.
Eine Regelvergütung von Telemonitoring-Leistungen gibt es bislang für die Indikation Herzinsuffizienz. Seit dem 1. Januar 2022 sind sie Teil des GKV-Leistungskatalogs. Zusätzlich haben sie Aufnahme in den Katalog des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) gefunden, in dem alle kassenärztlich abrechnungsfähigen Leistungen aufgelistet sind. Vergütet werden können ärztliche Indikationsstellungen und Patientenaufklärung, Anleitungen durch das telemedizinische Zentrum (TMZ), Fernüberwachungen über externe Messgeräte sowie Gerätepauschalen (s. Tab. 2). Alle Leistungen werden extrabudgetär und zu festen Preisen entsprechend dem jeweiligen jährlichen Orientierungswert erstattet. 2023 lag dieser bei knapp 11,50 Cent pro EBM-Punkt.
In Deutschland stellen die begrenzten Vergütungsoptionen in der Regelversorgung vor allem für kleinere Telemonitoring-Anbieter eine Herausforderung dar. So hat eine Studie von McKinsey 2022 aufgezeigt, dass gerade auf diesem Gebiet Start-ups unterrepräsentiert sind: Obwohl 10% des gesamten Wertpotenzials im E-Health-Sektor auf den Bereich Fernüberwachung entfällt, sind gerade einmal 5% aller Startups in diesem Geschäftsfeld aktiv.
Um neue Versorgungsformen zu etablieren, fördert der G-BA auch eine Reihe von Telemonitoring-Projekten im Rahmen des Innovationsfonds. Finanziell unterstützt werden hier neben der oben erwähnten Fernüberwachung von COPD-Erkrankten (TELEMENTOR COPD) auch das Telemonitoring von Menschen mit zystischer Fibrose (conneCT CF) sowie individuelles Training, Telemonitoring und Selfmanagement bei Herzinsuffizienz (HITS).
Abb. 9 Verbreitung und Vergütung von Telemonitoring-Anwendungen im Ländervergleich. Quellen: Spethman, Köhler (2022); Finnish Cardiac Society; Oulu University Hospital; Französischer Senat; NHS; Insider Intelligence
Telemonitoring wird international unterschiedlich vergütet und angewendet – die meisten Nutzenden gibt es in den USA
1 Die Einführung des PECAN-Programms wird voraussichtlich zur Vergütung weiterer Indikationen führen
2 Herzschrittmacher, Überwachungsequipment und Telemonitoring-Betreuung für Tachyarrhythmie sowie Herzinsuffizienz werden vollständig vergütet. Für die Implantierung wird eine kleine Gebühr erhoben
3 Current Procedural Terminology
So verzeichnen die USA den mit Abstand höchsten Anteil an Telemonitoring-Nutzenden – weit vor Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich. Beschleunigt durch die COVID-19-Pandemie werden inzwischen rund 12% der US-amerikanischen Bevölkerung über Telemonitoring-Anwendungen versorgt. Damit hat sich ihre Zahl zwischen 2017 und 2023 von 3 auf 20 Millionen mehr als versechsfacht. In den europäischen Ländern liegt die Abdeckungsquote deutlich niedriger: Im Vereinigten Königreich nutzt aktuell etwa 1% der Bevölkerung Fernüberwachungstechnologien, umgerechnet etwa eine halbe Million Menschen. Finnland erreicht (bei geringerer Bevölkerung) eine ähnlich hohe Adoptionsrate. In Deutschland hingegen wird die Zahl derer, die mit dem Krankheitsbild Herzinsuffizienz zu Telemonitoring berechtigt sind, auf bis zu 200.000 geschätzt. Diese Unterschiede lassen sich zum großen Teil auf die jeweiligen Vergütungssysteme und Versorgungsstrukturen in den Ländern zurückführen.
Heterogene Vergütungssysteme
Telemonitoring hat als vergleichsweise neue Technologie zu unterschiedlichen Zeitpunkten Eingang in die Vergütungssysteme der Länder gefunden. Bisher hat sich kein einheitlicher Standard durchgesetzt: So macht z.B. Italien bei der Vergütung keinen Unterschied zwischen der Erhebung von Patientendaten durch einen Behandelnden vor Ort und einer telemetrisch durchgeführten Datenerhebung; der Behandelnde kann die Erhebung verfahrensunabhängig abrechnen. Andere Gesundheitssysteme haben sich für eine indikationsspezifische oder technologiebasierte Regelung zur Vergütung von Telemonitoring-Leistungen entschieden.
Bei einer indikationsspezifischen Vergütung, wie sie in Deutschland, Finnland und Frankreich etabliert ist, wird Telemonitoring nur für bestimmte Erkrankungen erstattet. In Finnland können Telemonitoring-Leistungen für Herzinsuffizienz sowie Herzrhythmusstörungen abgerechnet werden, in Deutschland bislang für Herzinsuffizienz. Anders als hierzulande müssen Finnen eine geringe Gebühr entrichten, wenn eine Implementierung der Geräte notwendig ist; die Kosten für die Fernüberwachung selbst werden voll übernommen. In Frankreich wurden im Rahmen des ETAPES1-Programms die Kosten für insgesamt fünf Indikationen übernommen (chronische Atem, Herz- und Niereninsuffizienz, Diabetes und Herzrhythmusstörungen). Die Einführung des Programms „Prise en charge anticipée numérique“ (PECAN) dürfte diese indikationsspezifische Vergütung noch erweitern. Das PECAN-Programm, das zumindest teilweise dem in Deutschland etablierten DiGA-Programm nachempfunden ist, inkludiert neben digitalen Therapieangeboten explizit die vorübergehende Vergütung von Telemonitoring-Lösungen, die außerhalb der fünf Indikationsgebiete des ETAPES-Programm liegen.
Andere Gesundheitssysteme verzichten auf eine indikationsspezifische Vergütung. Stattdessen wird Telemonitoring als eigenständige Technologie honoriert. In den USA etwa gibt es krankheitsunabhängig sogenannte Current Procedural Terminology (CPT) Codes für die Abrechnung ambulanter und stationärer Telemonitoring-Leistungen mit staatlichen und privaten Krankenversicherungen. Über diese Codes werden Patientenaufklärung, Geräteeinrichtungen und die laufende monatliche Telemonitoring-Betreuung vergütet. Voraussetzung hierfür sind allgemeine Mindestanforderungen wie die Betreuungszeit oder die erfasste Anzahl an Datenpunkten. Auch integrierte Versorger wie Geisinger Health System und Kaiser Permanente erstatten Telemonitoring über CPT-Codes, wenn das Verfahren als medizinisch notwendig angesehen wird.
Im Vereinigten Königreich müssen die NHS-Trusts (regionale Versorgungseinrichtungen, die stationäre und ambulante Leistungen anbieten) die Kosten für Telemonitoring-Leistungen aus ihren Budgets selbst tragen. Demgegenüber können die übergeordneten Integrated Care Systems (ICS), die in England öffentlich finanzierte Gesundheitsdienstleistungen regeln, bis zu 200.000 GBP pro Behandlungspfad beim NHS England Adoption Fund beantragen. Ziel des Fonds ist es, die Einführung digitaler Lösungen in der häuslichen Pflege zu unterstützen. Der Fokus liegt dabei auf Gastroenterologie, Muskel-Skelett- und Atemwegserkrankungen.
Darüber hinaus existieren in Großbritannien verschiedene indikationsunabhängige Finanzierungstöpfe für digitale Gesundheitstechnologien: Für das MedTech-Finanzierungsmandat z.B. muss nachgewiesen werden, dass die Technologie erschwinglich ist und Einsparungen ermöglicht. Die Technology Enabled Care Services (TECS) finanzieren Telehealth , Telecare- und Telemedizindienste im ambulanten und stationären Bereich. Seit 2022/23 können außerdem insgesamt 200 Mio. GBP aus dem Service Development Fund genutzt werden, um virtuelle Krankenstationen aufzubauen. Weitere 250 Mio. GBP stehen für das Folgejahr zur Verfügung. Schließlich werden bis zu 6,3 Mio. GBP zur Unterstützung neuer Projekte bereitgestellt, die zum Ziel haben, Technologie für den Einsatz zuhause und aus der Ferne zu fördern.
Gerade in den USA und im Vereinigten Königreich konnte durch die indikationsunabhängige Vergütung und die bereitgestellten Budgets bereits eine signifikante Zahl an Menschen mit Telemonitoring behandelt werden.
1 Telemedicine Experimentation Program for the Improvement of Health Care Pathways. Das staatliche Programm startete 2014 mit dem Ziel, den Kosten- und Nutzeneffekt von Telemedizin-Lösungen für Behandelte und Versorgungseinrichtungen zu ermitteln. Hierzu wurden zunächst zeitlich beschränkte Erstattungen vereinbart; seit Juli 2023 werden die Kosten vollständig vom Staat übernommen.
Einflüsse auf die Verbreitung von Telemonitoring
Die in den jeweiligen Gesundheitssystemen angelegten Vergütungsmodelle haben einen großen Einfluss auf die Adoption von Telemonitoring. Neben direkten wirtschaftlichen Anreizen für die Leistungserbringer spielen aber auch operative Faktoren eine Rolle – etwa die Integration in die bestehende IT-Infrastruktur, mögliche Zeitersparnis und das Zusammenspiel von ambulanter und stationärer Versorgung.
In Italien beispielsweise ist die Anzahl regionaler Projekte zur Förderung von Telemonitoring zwischen 2018 und 2021 von 61 auf 135 gestiegen. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit diese Initiativen in Verbindung mit den Vergütungsanreizen zu einer spürbaren Steigerung der Anwendung von Telemonitoring-Technologien führen. In der Vergangenheit fiel der Erfolg vergleichbarer Maßnahmen regional unterschiedlich aus.
In Frankreich hat das ETAPES-Programm zwischen 2014 und 2020 rund 33.000 Menschen mit Telemonitoring-Lösungen unterstützt. Hier wird sich zeigen, ob die seit Juli 2023 geltende Kostenübernahme von Telemonitoring für die oben genannten fünf Indikationen sowie die ergänzende Erstattung von Telemonitoring-Leistungen durch das PECAN-Programm den Verbreitungsprozess dieser Technologien befördern wird. In beiden Ländern dürften jedoch weiterhin die örtlichen Gegebenheiten ausschlaggebend sein: So trägt die regional unterschiedliche Versorgungsstruktur in Italien dazu bei, dass sich neuere Technologien und somit auch Telemonitoring oft langsamer durchsetzen.
Andere Spezifika der jeweiligen nationalen Gesundheitsversorgung befördern die Einführung von Telemonitoring. Im Vereinigten Königreich und in den skandinavischen Ländern etwa müssen regionale Gesundheitseinheiten die ambulante und stationäre Versorgung in der Regel mit bevölkerungsbezogenen Budgets sicherstellen. Dadurch werden Telemonitoring-Lösungen, die Krankenhausaufenthalte zu vermeiden helfen, attraktiver. Dies hat diverse kommerzielle Partnerschaften zwischen Telemonitoring-Anbietern und den Versorgungseinrichtungen hervorgebracht, die explizit darauf abzielen, die Behandlungskosten in Summe zu reduzieren. Auch die Struktur des US-amerikanischen Gesundheitssystems (z.B. die vollintegrierten Systeme wie z.B. Geisinger Health System oder Kaiser Permanente) fördert die Nutzung von Telemonitoring-Modellen: In den vergangenen vier Jahren haben in den USA mehr als 50.000 Ärztinnen und Ärzte in 19.000 medizinischen Einrichtungen Telemonitoring genutzt.
Der internationale Vergleich zeigt: Neben einer etablierten Vergütung in der Regelversorgung können gezielte Innovationsprogramme wie TECS in Großbritannien oder ETAPES und PECAN in Frankreich die Einführung und Verbreitung von Telemonitoring bis zu einem gewissen Grad beschleunigen. Die Nutzungsintensität hängt dann letztlich von einzelnen Leistungserbringern ab – regionale oder kulturelle Unterschiede in der Technologieakzeptanz lassen sich nur in Teilen durch strukturelle Incentivierung ausgleichen.
1 Telemedicine Experimentation Program for the Improvement of Health Care Pathways. Das staatliche Programm startete 2014 mit dem Ziel, den Kosten- und Nutzeneffekt von Telemedizin-Lösungen für Behandelte und Versorgungseinrichtungen zu ermitteln. Hierzu wurden zunächst zeitlich beschränkte Erstattungen vereinbart; seit Juli 2023 werden die Kosten vollständig vom Staat übernommen.
Trends und Ausblick
Die letzten Jahre zeigen: Wie erfolgreich sich Telemonitoring mittelfristig im Versorgungsalltag etablieren wird, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Die Möglichkeiten zur Datenerfassung und Analytik tragen ebenso zur weiteren Entwicklung des Telemonitorings bei wie die zur Verfügung stehende Technik und nicht zuletzt die infrastrukturellen und regulatorischen Bedingungen in der jeweiligen Versorgungssituation.
Datenerfassung und Analytik
Durch die Nutzung von Telemonitoring können neue, bis dahin nicht verfügbare Primärdaten entstehen. Eine strukturierte Auswertung dieser Datenmengen bietet Potenzial in den verschiedenen Stadien der Therapie- und Versorgungsforschung: von der Generierung erster Evidenz und der Pilotierung von Versorgungsansätzen über dezentrale klinische Studien bis hin zur Regelversorgung.
Telemonitoring kann zudem den Beobachtungsraum für Versorgungsforschung („Real-World Evidence“) erweitern und auch Daten von Bevölkerungsgruppen einschließen, die bei klinischen Studien häufig nicht die Einschlusskriterien erfüllen, z.B. Schwangere oder multi-morbide chronisch Kranke. So beobachtete eine Studie in Michigan mehr als 6.700 Nutzende der Apple Smartwatch über einen längeren Zeitraum und konnte relevante Unterschiede in der Varianz von Vitalwerten bei unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen aufzeigen.
Auch die Durchführung klinischer Studien selbst kann durch Telemonitoring ergänzt und verbessert werden. Teilweise oder vollständig virtuell durchgeführte dezentrale Studien verwenden Telemonitoring, um die Patientenrekrutierung zu erleichtern, die Koordination zu vereinfachen und die Teilnehmererfahrung zu verbessern. So wurden 2020 im Rahmen der Studie „Decentralized Trial in Atrial Fibrillation Patients“ (DeTAP) in den USA 100 Personen mit Vorhofflimmern über einen Zeitraum von sechs Monaten vollständig virtuell über eine mobile Anwendung sowie Fernsensoren für Blutdruck und EKG überwacht.
Die durch kontinuierliches Telemonitoring erzeugten Datenmengen erfordern entsprechende Analytik, um sie nutzbar zu machen. Bei der Überwachung von Krankheiten wie Vorhofflimmern oder Herzinsuffizienz z.B. kann eine algorithmische Vorauswertung dafür sorgen, dass identifizierte Auffälligkeiten ärztlich überprüft werden. Die Möglichkeiten, die digital-unterstütze Analytik und künstliche Intelligenz bieten, könnten es Behandelnden in Zukunft ermöglichen, tagesaktuelle und zugleich patientenzentrierte Therapieempfehlungen zu geben. Mehr noch: Über die Zeit wiederholt (longitudinal) erhobene Patientendaten können dabei helfen, Algorithmen zur Vorhersage von Krankheiten oder Komplikationen zu entwickeln – etwa des Risikos, in fünf Jahren an Diabetes zu erkranken oder einen Herzinfarkt zu erleiden. Dies würde Gesundheits-Coaching ermöglichen, um durch Verhaltensänderung der Patienten Krankheiten bzw. Komplikationen zu vermeiden.
Technik und Sensorik
Technische Entwicklungen können zusätzlich zur Skalierung von Telemonitoring-Anwendungen beitragen. Präzisere Sensorik, längere Batterielaufzeit und kleiner werdende Bauteile ermöglichen Geräte, die auch anspruchsvollere medizinische Tests in der eigenen häuslichen Umgebung erlauben. Schon heute erstellen Smart Watches mit einer von der US-Kontrollbehörde FDA freigegebenen Funktion ein EKG am Handgelenk und identifizieren Herzrhythmusstörungen in den aufgezeichneten Daten. Die Technologieentwicklung wird zu weiteren medizinischen Anwendungen auf frei verfügbaren Lifestyle-Wearables führen, die eine Skalierung von Telemonitoring begünstigen.
Die Fortschritte in der audiovisuellen Verarbeitung machen auch zunehmend sensorfreie Telemonitoring-Lösungen vorstellbar, die Vitalparameter aus Bild- und Tondaten (digitale Biomarker) ableiten. Insbesondere für die Früherkennung und Diagnostik von neurodegenerativen Erkrankungen zeichnet sich hier erste Evidenz ab: Eine Studie der Cardiff University konnten belegen, dass die Diagnose von Parkinson durch die Nutzung von Wearables ermöglicht wird, die Bewegungsdaten über Akzelerometer erfassen und die Erkrankung bereits Jahre vor der klinischen Diagnose identifizieren können. Dabei stellten sich die Daten als besserer Prädiktor heraus als die Kombination aus Genetik, Lebensstil und Laborwerten. Somit kann Telemonitoring bereits mit niederschwellig erhobenen Bewegungsdaten über eine Smart Watch helfen, Gesundheitsveränderungen zügig zu erkennen und frühzeitig zu therapieren.
Infrastruktur und regulatorische Rahmenbedingungen
Neben technologischen Verbesserungen nehmen infrastrukturelle und regulatorische Rahmenbedingungen Einfluss auf die Entwicklung und Nutzung von Telemonitoring- Anwendungen. In Deutschland versucht das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) über Digitalisierungsstrategie und Gesetzesvorhaben, E-Health-Anwendungen weiter zu etablieren. Die Digitalisierungsstrategie des BMG sieht unter anderem vor, Telemonitoring zum Bestandteil digitaler Disease-Management-Programme zu machen. International gibt es Bestrebungen, die Nomenklatur für Gesundheitsdaten zu vereinheitlichen und sie so über Plattformen und Länder hinweg vergleich- und nutzbar zu machen. Der europäische Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) soll dazu beitragen, indem einerseits die Daten für Forschung und Innovation genutzt und andererseits einheitliche Datenstandards geschaffen werden können.
Auf infrastruktureller Ebene helfen flächendeckendes Internet und eine gute Mobilfunkabdeckung, um Leistungserbringern und -empfängern Zugang zu Telemonitoring zu verschaffen. Unter diesen Voraussetzungen wären künftig auch neuartige integrierte Behandlungsmodelle denkbar, die ein multidimensionales Monitoring in der Diagnostik und Therapie ermöglichen. Telemonitoring könnte zudem eine Rolle in der Prävention spielen, indem es z.B. Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen erfasst (z.B. Aktivitätsprofile, Körpergewicht, Schlaf, Vitalparameter) und entsprechende Trainings- oder Ernährungspläne erstellt.
Noch weiter würden Lösungen gehen, die neben der Krankheitsvorhersage (Disease Prediction) auch frühzeitige Behandlungsmaßnahmen unterstützen (Disease Interception), beispielsweise Gesundheits-Coaching oder frühe medikamentöse Interventionen. So könnte beim Monitoring chronischer Erkrankungen nach Diagnose und Ersteinstellung ein Therapiekorridor festgelegt werden, innerhalb dessen eine integrierte „Monitoring und Therapie“-Lösung die Medikation jeweils tagesaktuell je nach Symptomschwere dosiert.
Auch Funktionalitäten für die Vermeidung von Exazerbationen und medizinischen Notfällen sind perspektivisch denkbar. Dadurch würde eine proaktive und personalisierte Patientenbetreuung möglich – und damit zugleich eine Verschiebung von der reinen Behandlung hin zur Prävention und Früherkennung von Krankheiten. Dies hat potenziell positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der Nutzenden und könnte Kostenersparnisse für das Gesundheitssystem mit sich bringen, das aktuell einer starken Belastung ausgesetzt ist. Eine frühere Diagnosestellung durch Telemonitoring könnte auch dazu beitragen, Patienten Leid zu ersparen und frühere Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen.
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