ePA, E-Rezept & Co. –
Perspektive zum Ausbau der
TI-Anwendungen in Deutschland
Philipp Deutschen, Annika Götz, Joanna Graichen,
Matthias Redlich und Katharina Sickmüller

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland schreitet voran. Vor allem die Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie haben die Entwicklung beschleunigt: Da Patient:innen seither zunehmend digitale Angebote nachfragen und nutzen, haben Gesetzgeber, Kostenträger und Leistungserbringer erste Grundlagen für digitale Gesundheitslösungen geschaffen. Die elektronische Patientenakte (ePA) soll hierbei – neben weiteren Anwendungen wie E-Rezept oder elektronischer Medikationsplan – das Fundament bilden für die künftige digitale Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Doch wie stabil ist dieses Fundament und wo gibt es Ausbaubedarf? Wie steht es um die aktuelle Nutzung und den Nutzen der Anwendungen? An welchen Vorbildern können sich die Akteure orientieren und was sind die Erfolgsfaktoren, die den wichtigsten digitalen Gesundheitslösungen in Deutschland zum Durchbruch verhelfen können? Erste Antworten darauf liefert der nachfolgende Überblick mit aktuellen Daten und Fakten rund um das Thema ePA, E-Rezept & Co.

Grundlage geschaffen: Telematikinfrastruktur als Türöffner zur vernetzten Gesundheitsversorgung

Die Telematikinfrastruktur (TI) bildet die technische Grundlage für die digitale Vernetzung aller Akteure im Gesundheitswesen. Sie soll das Zusammenwirken von Patient:innen, Arztpraxen, Krankenhäusern, Apotheken und Krankenkassen vereinfachen und verbessern. Gleichzeitig sollen die digitalen Anwendungen der TI die medizinische Versorgung in Deutschland so vernetzen, dass Erkrankte durch um-fassende, gut zugängliche Informationen besser unterstützt und behandelt werden können. Aufgabe der TI ist es, dafür eine sichere Infrastruktur bereitzustellen und einen schnellen Informationsaustausch zu ermöglichen.

Die gematik1 trägt die Gesamtverantwortung für die TI. Sie definiert verbindliche Standards und stellt deren flächendeckende Umsetzung und Einhaltung sicher. Mit dem Aufbau der TI hat die gematik zugleich eine Plattform für die wichtigsten digitalen Gesundheitsanwendungen und Kommunikationsdienste geschaffen. Einige davon (etwa das E-Rezept) werden von der gematik zentral entwickelt und bereitgestellt. Andere Anwendungen, darunter auch die ePA, werden von den gesetzlichen Krankenkassen (GKVen) nach gematik-Vorgaben dezentral entwickelt und betrieben.

Aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen ist der Zugang zur TI beschränkt. Nutzungsberechtigt sind ausschließlich registrierte Personen und Institutionen mit einer entsprechenden Smartcard, z.B. einem elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) oder Praxisausweis. Darüber hinaus sind technische Voraussetzungen zu erfüllen: Medizinisches Personal etwa benötigt zum Einlesen des eHBA ein E-Health-Kartenterminal, das über einen Konnektor an die TI angebunden ist. Versicherte wiederum erhalten Zugang zu Anwendungen wie der ePA über ihre elektronische Gesundheitskarte bzw. über eine Authentifizierung (z.B. per Video-Ident-Verfahren) durch die GKVen.

Die gematik arbeitet jedoch kontinuierlich an der Weiterentwicklung der Infrastruktur. Für 2025 ist mit TI 2.0 bereits die nächste Generation geplant. Dann soll z.B. ein elektronisches Identitätsverfahren (eID) die Konnektoren als Hardware für den TI-Zugriff ersetzen, bei dem die Nutzenden über einen von der gematik zugelassenen Identitätsprovider auf die TI-Anwendungen zugreifen können. Darüber hinaus beinhalten die Pläne zur TI 2.0 interoperable Schnittstellen und Standards, die eine internationale Anschlussfähigkeit sicherstellen und die Nutzung der Daten zu Forschungszwecken ermöglichen sollen. Auch sollen Dienste von Drittanbietern integriert werden können – die TI 2.0 würde damit die Grundlage für ein digitales Gesundheitsökosystem bilden.

1 Die Gesellschafter der gematik sind das Bundesministerium für Gesundheit, die Bundesärztekammer, die Bundeszahnärztekammer, der Deutsche Apothekerverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen, der Verband der Privaten Krankenversicherung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung.

Autoren McKinsey & Company

Philipp Deutschen

Annika Götz

Joanna Graichen

Dr. Matthias Redlich

Katharina Sickmüller

Aktuelle Funktionen und Ausbaupfade der TI-Anwendungen

Seit Januar 2021 bieten alle GKVen ihren Versicherten eine ePA an. Weitere TI-Anwendungen befinden sich in fortgeschrittenen Entwicklungs- oder Teststadien. Das E-Rezept beispielsweise ist derzeit in der Pilotphase und soll bis zum Frühjahr 2023 schrittweise bundesweit eingeführt werden. Anwendungen wie der TI-Messenger zur sicheren, unmittelbaren Kommunikation zwischen Akteuren im Gesundheitswesen sind 2022 gestartet und sollen ihren vollen Funktionsumfang in den kommenden Jahren erreichen. Weitere Anwendungen, z.B. der elektronische Medikations-plan oder die Patientenkurzakte, sind für 2023 geplant. Im gleichen Jahr wollen auch die privaten Krankenversicherungen ihren Mitgliedern die ePA anbieten – und das E-Rezept dort direkt integrieren.

ePA

Die ePA bildet das Herzstück der TI (s. Abb. 1). In der digitalen, patientengeführten Akte lassen sich medizinische Dokumente zentral und einrichtungsübergreifend speichern. Die Versicherten besitzen dabei die Datenhoheit über ihre ePA, können Befunde, Therapiemaßnahmen oder Behandlungsberichte hochladen und Leistungserbringern Zugriffsberechtigungen erteilen. Seit Januar 2021 steht die ePA allen gesetzlich Versicherten zur Verfügung – zunächst als App und mittlerweile auch für stationäre Endgeräte. Bislang ist die Nutzung für die Versicherten freiwillig (Opt-in). Seit Juli 2021 sind allerdings Arztpraxen verpflichtet, ihre Patient:innen auf Anfrage bei der Befüllung und Pflege der ePA zu unterstützen; seit 2022 gilt dies auch für Krankenhäuser.

Derzeit befindet sich die ePA in der Ausbaustufe 2.0 mit differenzierterem Berechtigungskonzept, jedoch sind die Nutzungsmöglichkeiten noch immer überwiegend auf die Dokumentenablage und -verwaltung begrenzt. Versicherte können zentrale Dokumente wie Notfalldatensatz, Impfpass, Mutterpass, Kinderuntersuchungsheft oder Zahnbonusheft digital abspeichern und für jedes Dokument spezifische Berechtigungen erteilen. Zudem werden weitere Leistungserbringer an die TI angebunden und erhalten so Zugriff auf die ePA, darunter das stationäre Pflegepersonal, Hebammen und Physiotherapeut:innen.

Mit der nächsten Ausbaustufe ab 2023 erweitert sich das Nutzungsspektrum. Die ePA 2.5 soll dann die Übermittlung und Ablage weiterer medizinischer Dokumente ermöglichen. Dazu gehören die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), das E-Rezept oder Laborbefunde. Zudem sollen sich Daten aus digitalen Gesundheits-anwendungen (DiGA) integrieren lassen. Als zusätzliche Nutzergruppe werden Forschungseinrichtungen angebunden, um ePA-Daten pseudonymisiert für wissenschaftliche Zwecke nutzbar zu machen.

Abb. 1 Nutzung der ePA durch zentrale Akteure auf Basis der Telematikinfrastruktur.
Quelle: McKinsey

In der ePA können Versicherte alle medizinischen Informationen digital speichern – und behalten dabei die Datenhoheit

Nutzung der ePA durch zentrale Akteure auf Basis der Telematikinfrastruktur
Nutzung der ePA durch zentrale Akteure auf Basis der Telematikinfrastruktur

1 Praxisverwaltungssystem/­Krankenhausverwaltungssystem

E-Rezept

Das E-Rezept ist der zweite wichtige Schlüssel zur digitalen Gesundheitsversorgung. Als sogenannte Enabler-Technologie unterstützt es alle Beteiligten und Prozesse im Gesundheitsökosystem und ermöglicht medienbruchfreie digitale Patientenreisen.

Mit dem E-Rezept werden Verordnungen vom behandelnden Arzt digital über die TI übermittelt. Damit verknüpft sind zahlreiche weitere Services, z.B. der elektronische Transfer einfacher Folgerezepte ohne erneuten Arztbesuch oder die Bestellung eines Medikaments von zuhause aus. Die Nutzung erfolgt über die E-Rezept-App der gematik. Wer die App nicht nutzt, erhält alternativ auf Wunsch einen sogenannten Token-Ausdruck, eine Art Barcode, der aus einem Zugangscode und Meta-Informationen wie der Rezept-ID besteht. Ärzt:innen unterschreiben das E-Rezept am Computer digital mit ihrem eHBA. Die Daten werden in der TI gespeichert und von den Apotheken dort wieder abgerufen, wenn das Rezept eingelöst wird.

Bei jährlich rund 760,5 Millionen GKV-Rezepten (in 2020 laut Wissenschaftlichem Institut der AOK), die in Deutschland ausgestellt werden, bildet das E-Rezept einen der TI-Anwendungsfälle mit dem höchsten Transaktionsvolumen2. Da sich die bundesweite Einführung allerdings verschoben hat, wurden laut gematik bis 30. Juni nur rund 44.000 E-Rezepte eingelöst. Derzeit befindet sich das E-Rezept noch in der Testphase, der flächendeckende Rollout ist für das Frühjahr 2023 vorgesehen. Im gleichen Jahr ist auch die Integration mit der ePA geplant.

2 Die Gesellschafter der gematik sind das Bundesministerium für Gesundheit, die Bundesärztekammer, die Bundeszahnärztekammer, der Deutsche Apothekerverband, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen, der Verband der Privaten Krankenversicherung, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung.

Kommunikationstools

Zwei TI-basierte Tools sorgen derzeit für sichere Kommunikation zwischen den Akteuren im Gesundheitswesen: KIM (Kommunikation im Medizinwesen) und der TI-Messenger TIM.

KIM ermöglicht den verschlüsselten E-Mail-Austausch von medizinischen Informationen (z.B. Befunden, AU) zwischen Leistungserbringern, Apotheken und Krankenkassen. Die Nutzung erfolgt über das Praxis- bzw. Krankenhausverwaltungssytem oder ein entsprechend konfiguriertes E-Mail-Programm; zusätzlich erforderlich sind ein eHBA und ein E-Health-Konnektor. Seit November 2021 wurden rund 13,7 Millionen Nachrichten über KIM versendet. Für die elektronische AU ist die Nutzung von KIM seit Januar 2022 obligatorisch.

Bei TIM handelt es sich um einen Chatdienst zum Austausch von Echtzeitinformationen zwischen Leistungserbringern, Apotheken, Krankenkassen und Versicherten. Die Funktionen umfassen neben bilateralen Chats auch Gruppenchats und Video-konferenzen. Erste TIM-Dienste sind seit Sommer 2022 verfügbar, ab 2023 werden auch die Versicherten über ihre ePA-App an den Chatdienst angeschlossen.

Elektronischer Medikationsplan (eMP) und Organspenderegister

Der eMP enthält strukturierte Angaben zur Gesamtmedikation von Versicherten sowie medikationsrelevante Daten, um Wechsel- und Nebenwirkungen zu vermeiden. Mit Einwilligung der Patient:innen kann der eMP auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden. Auch das Einsehen, Aktualisieren oder Löschen von Daten durch Arztpraxen oder Apotheken bedarf der vorherigen Patientenzustimmung. In einer weiteren Ausbaustufe soll der eMP unabhängig von der elektronischen Gesundheitskarte als eigenständige Online-Anwendung innerhalb der TI genutzt werden können.

Das Organspenderegister, 2021 gesetzlich beschlossen und vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aufgebaut, bündelt zentral alle Daten zu Art und Anzahl der Organspendeerklärungen. Seit Sommer 2022 ist das Register zudem mit der ePA verknüpft, sodass die
Erklärung auch digital abgerufen und übermittelt werden kann.

Trotz der verstärkten Integrationsbemühungen laufen zahlreiche TI-Anwendungen derzeit noch immer unabhängig voneinander als separate digitale Lösungen. Zentrale Aufgabe für die nächsten Ausbaustufen wird daher deren nahtlose Verknüpfung entlang von Patientenreisen sein, wobei die ePA als Kernstück der TI den Dreh- und Angelpunkt der Vernetzung bilden soll.

Noch ausbaufähig: Zusammenspiel von Nutzenden, Nutzung und Nutzen

Erfolgreiche digitale Gesundheitslösungen teilen einige grundlegende Eigenschaften: Sie verfügen über eine breite Anwenderbasis und erweitern diese kontinuierlich über relevante Inhalte und hohe Nutzerfreundlichkeit. Anreize zur aktiven und regelmäßigen Nutzung sorgen dafür, dass der Gebrauch zur Gewohnheit wird, und unterstützen so die Skalierung. Das wiederum wirkt sich auf den Gesamtnutzen der digitalen Lösungen aus: Je höher die Zahl der aktiv am System Beteiligten ist, desto größer wird der Mehrwert für die Einzelnen – was die Nutzerzahlen schließlich weiter erhöht. Gefragt ist also ein sich selbst verstärkendes Zusammenspiel von Nutzenden, Nutzung und Nutzen, um den digitalen Gesundheitslösungen zum Durchbruch zu verhelfen (s. Abb. 2).

Bezogen auf die ePA bedeutet das: Je mehr Versicherte über sie verfügen, desto höher ist der Anreiz für Leistungserbringer, ebenfalls aktiv mit der ePA zu arbeiten und so wiederum weitere Versicherte zur Nutzung anzuregen. Derzeit steht der Durchbruch bei den Nutzerzahlen allerdings noch aus. Seit dem Start im Januar 2021 haben laut TI-Dashboard rund 500.000 Personen eine ePA angelegt – das entspricht gerade einmal 0,7% aller gesetzlich Versicherten in Deutschland. Und selbst wenn die Akte bereits aktiviert ist, hält sich deren Nutzung noch in engen Grenzen: Im September 2021 waren bundesweit 135.000 Dokumente mit einem Gesamtvolumen von 160 GB hochgeladen. Das entspricht im Schnitt nicht mehr als einem Dokument in jeder dritten ePA.

Abb. 2 Zusammenspiel und Verstärkungseffekte von Nutzenden, Nutzung und Nutzen.
Quelle: McKinsey & Company

Um echten Nutzen für das Gesundheitssystem zu stiften, brauchen digitale Lösungen eine breite Basis aktiver Anwender:innen

Zusammenspiel und Verstärkungseffekte von Nutzenden, Nutzung und Nutzen
Zusammenspiel und Verstärkungseffekte von Nutzenden, Nutzung und Nutzen

Seitens der Leistungserbringer jedenfalls sind die technischen Voraussetzungen zur Nutzung der ePA größtenteils gegeben: Bereits im Herbst 2021 waren laut aktuellem PraxisBarometer Digitalisierung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) rund 90% der Arztpraxen an die TI angeschlossen – auch infolge drohender Honorarkürzung bei Nichtanbindung. Allerdings mangelt es zumindest in Krankenhäusern noch vielfach an der erforderlichen Zusatzausstattung, wie das Ärzteblatt berichtet: Nur rund jede dritte Klinik (36%) besitzt bereits den eHBA, der zur Nutzung der ePA notwendig ist; in den ambulanten Arztpraxen sind es immerhin schon fast drei Viertel (73%).
Eine weitere Skalierung der ePA aber ist dringend geboten. Denn mit wachsenden Nutzer- und Nutzungszahlen steigt zugleich der Mehrwert solcher TI-Anwendungen. Und es warten gewaltige Nutzenpotenziale darauf, gehoben zu werden: Eine neue Studie von McKinsey (vgl. S. 125) beziffert den Gesamtnutzen der digitalen Gesundheitstechnologien, der sich vor allem aus Einsparungen durch Produktivitätssteigerungen ergibt, mit aktuell 42 Mrd. EUR pro Jahr – eine Steigerung um fast ein Viertel gegenüber 2018. Ein Großteil dieses Potenzials (8 Mrd. EUR) entfällt dabei auf die ePA und das E-Rezept, wobei die ePA mit geschätzten 7 Mrd. EUR den mit Abstand größten potenziellen Nutzen aufweist.

Was genau macht diese TI-Anwendungen so wertvoll? Als Grundlagentechnologien (sogenannte Enabler-Technologien) haben ePA und E-Rezept einen Ausstrahlungseffekt auf andere digitale Lösungen – der indirekte Nutzen daraus wird auf bis zu 23 Mrd. EUR pro Jahr beziffert (s. Abb. 3). Grund hierfür ist, dass zahlreiche Gesundheitslösungen eine ePA oder ein E-Rezept benötigen, um ihr volles Nutzenpotenzial zu entfalten. Bei der Telekonsultation beispielsweise ermöglicht die ePA eine effektivere Betreuung, da die Ärztin die bisherige Krankheitshistorie und aktuelle Medikation eines Patienten einsehen kann, auch wenn sie ihn vorher noch nicht behandelt hat.

Noch allerdings steht die Realisierung des Nutzenpotenzials ganz am Anfang, da die neuen Technologien erst in geringem Umfang genutzt werden: Schätzungsweise weniger als 300 Mio. EUR konnten bislang durch die ePA gehoben werden, hauptsächlich durch ihren Einsatz im stationären Bereich. Abhilfe kann hier nur konsequente Skalierung schaffen. Erst wenn TI-Anwendungen faktischer Standard in jeder Arzt-Patienten-Interaktion sind, wird der Nutzen für alle sichtbar und immer mehr Menschen lassen sich von den neuen Technologien überzeugen.

Bis zum endgültigen Durchbruch aber stehen noch einige Aufgaben an. Zunächst geht es darum, alle Beteiligten in das digitale Ökosystem einzubinden und so die Basis für einen Anstieg der Anwenderzahlen zu legen. Gleichzeitig müssen Funktionalitäten und weitere digitale Dienste bereitgestellt werden, die echten Mehrwert schaffen. Kurz: Es gibt viel zu tun, doch am Ende werden sich die Anstrengungen auszahlen. Denn erst der Dreiklang aus Nutzenden, Nutzung und Nutzen bringt den Erfolg: Nur mit einer kritischen Masse an Nutzenden und aktiver Nutzung können die TI-Anwendungen ihren substanziellen Nutzen für das Gesundheitssystem entfalten – und so wesentlich dazu beitragen, das „quadruple aim“ zu erreichen: höhere Versorgungsqualität, größere Kosteneffizienz, ein verbessertes Patientenerlebnis und nicht zuletzt optimierte Arbeitsbedingungen für das Personal.

Abb. 3 Direktes und indirektes Nutzenpotenzial der ePA und des E-Rezepts.
Quelle: McKinsey

Durch die ePA und das E-Rezept entfalten zahlreiche digitale Anwendungen erst ihr volles Nutzenpotenzial

Direktes und indirektes Nutzenpotenzial der ePA und des E-Rezepts.
Direktes und indirektes Nutzenpotenzial der ePA und des E-Rezepts.

Die Wegbereiter: Aufgeschlossene Nutzergruppen und erste Erfolge am Markt

Aktuelle Umfragen zeigen, dass die potenziellen Anwendergruppen grundsätzlich offen für digitale Gesundheitslösungen sind. Erfolgsbeispiele aus der Praxis zeigen zudem, dass bei spürbarem Mehrwert auch real hohe Nutzer- und Nutzungsraten zu erzielen sind. Dies gilt sowohl für die Versicherten als auch für Leistungserbringer:

  • Versicherte. Nach dem aktuellen Self Tracking Report, einer Umfrage von EPatient Analytics unter 5.000 Versicherten aus dem Frühjahr 2022, steht die Mehrheit der ePA offen gegenüber. Zudem glauben 82%, dass die ePA Nutzen stiften wird. Fast zwei Drittel der Befragten stellen diesen sogar über etwaige Daten-schutzbedenken, da eine effiziente medizinische Versorgung für sie an erster Stelle steht. 83% würden ihre Gesundheitsdaten Ärzt:innen anvertrauen, vier von fünf Befragten sprechen sich zudem für eine nationale Forschungsdatenbank aus. Nur eine Minderheit (35%) ist gegen die Zusammenführung von Gesundheitsdaten in einer ePA.
  • Leistungserbringer. Laut einer Umfrage der KBV unter ihren Mitgliedern zeigt sich fast jede zweite Arztpraxis offen für digitale Innovationen, für drei von vier Praxen gilt dies zumindest teilweise. Auch sieht ein Teil schon jetzt einen hohen bis sehr hohen Nutzen in digitalen Gesundheitslösungen, insbesondere in Online-Fallbesprechungen (40%), gefolgt von elektronischen Pässen (z.B. Impfausweis) digitalen Verordnungen, Überweisungen und Bescheinigungen (je rund 35%). Knapp zwei Drittel der Praxen beklagen allerdings den Umstellungsaufwand, die fehlende Kosten-Nutzen-Abwägung von Digitalisierung und die Fehleranfälligkeit von IT-Systemen. Diese Faktoren zählen aus ärztlicher Sicht zu den stärksten Hemmnissen auf dem Weg in die digitale Versorgung.

Dass aber digitale Gesundheitslösungen mit klarem Mehrwert durchaus Erfolgsgeschichten schreiben können, belegen schon heute einige Marktbeispiele. Vor allem zwei Anwendungen hat die Corona-Pandemie zu einem Boom verholfen: der Tele-konsultation und der Online-Terminbuchung.

  • Telekonsultation. Als 2018 die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots den Weg für die Videosprechstunde freimachte, waren die Nutzungszahlen noch sehr überschaubar: Im Jahr 2019 wurden gerade einmal 2.841 Videosprechstunden abgerechnet. Im ersten Corona-Jahr 2020 schnellte die Zahl laut Zi-Trendreport dann auf rund 2,7 Millionen und 2021 auf knapp 3,5 Millionen. Nach einer Um-frage des Branchenverbands Bitkom fordern inzwischen acht von zehn Nutzer:innen, das Angebot an Telekonsultationen noch weiter auszubauen. Der Nutzen der Anwendung besteht dabei nicht allein in ihrer Bequemlichkeit, sondern auch in einer verbesserten Versorgungsqualität. Denn gerade in ländlichen Regionen können telemedizinische Angebote wie die Videosprechstunde helfen, Versorgungslücken zu schließen.
  • Online-Terminbuchung. Einen ähnlichen Boom wie die Telekonsultation konnte auch die Online-Terminbuchung verzeichnen, wie sich am Beispiel des Softwareanbieters Doctolib ablesen lässt: Von insgesamt 20.000 Arztpraxen in Deutschland, die Doctolib inzwischen für ihre Terminbuchungen einsetzen, sind allein 11.000 seit Dezember 2020 neu hinzugekommen. Und nutzten im Februar 2021 noch 4 Millionen Menschen Doctolib, sind es mittlerweile über 9 Millionen – übrigens nicht nur Jüngere: 30% der Nutzer:innen sind über 55 Jahre alt.

Telekonsultation und Online-Terminbuchung sind erst der Anfang. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere Lösungen – insbesondere ePA und E-Rezept – am Markt durchsetzen werden und mit breiter Nutzerakzeptanz den Weg zur digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland ebnen.

Internationale Vorbilder: Dänemark, Schweden, Israel

Neben Deutschland treiben zahlreiche weitere Länder den Ausbau von E-Health-Infrastrukturen und die Implementierung zentraler digitaler Gesundheitslösungen voran. Einige von ihnen tun sich in ihrer Umsetzungsgeschwindigkeit besonders hervor – vor allem Dänemark, Schweden und Israel beeindrucken mit hohen Nutzer- und Nutzungsraten. Was machen diese Länder besser? Ein Blick auf ihre Erfolgsrezepte gibt Aufschluss.

Dänemark: Klare Nutzerrichtlinien und attraktive Angebote

Dass aber digitale Gesundheitslösungen mit klarem Mehrwert durchaus Erfolgsgeschichten schreiben können, belegen schon heute einige Marktbeispiele. Vor allem zwei Anwendungen hat die Corona-Pandemie zu einem Boom verholfen: der Tele-konsultation und der Online-Terminbuchung.

  • Telekonsultation. Als 2018 die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots den Weg für die Videosprechstunde freimachte, waren die Nutzungszahlen noch sehr überschaubar: Im Jahr 2019 wurden gerade einmal 2.841 Videosprechstunden abgerechnet. Im ersten Corona-Jahr 2020 schnellte die Zahl laut Zi-Trendreport dann auf rund 2,7 Millionen und 2021 auf knapp 3,5 Millionen. Nach einer Um-frage des Branchenverbands Bitkom fordern inzwischen acht von zehn Nutzer:innen, das Angebot an Telekonsultationen noch weiter auszubauen. Der Nutzen der Anwendung besteht dabei nicht allein in ihrer Bequemlichkeit, sondern auch in einer verbesserten Versorgungsqualität. Denn gerade in ländlichen Regionen können telemedizinische Angebote wie die Videosprechstunde helfen, Versorgungslücken zu schließen.
  • Online-Terminbuchung. Einen ähnlichen Boom wie die Telekonsultation konnte auch die Online-Terminbuchung verzeichnen, wie sich am Beispiel des Softwareanbieters Doctolib ablesen lässt: Von insgesamt 20.000 Arztpraxen in Deutschland, die Doctolib inzwischen für ihre Terminbuchungen einsetzen, sind allein 11.000 seit Dezember 2020 neu hinzugekommen. Und nutzten im Februar 2021 noch 4 Millionen Menschen Doctolib, sind es mittlerweile über 9 Millionen – übrigens nicht nur Jüngere: 30% der Nutzer:innen sind über 55 Jahre alt.

Telekonsultation und Online-Terminbuchung sind erst der Anfang. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich weitere Lösungen – insbesondere ePA und E-Rezept – am Markt durchsetzen werden und mit breiter Nutzerakzeptanz den Weg zur digitalen Gesundheitsversorgung in Deutschland ebnen.

Schweden: Nutzerfreundlichkeit und Vernetzung

Auch Schweden ist weit fortgeschritten in der Implementierung von digitalen Gesundheitslösungen. Zum E-Rezept wurden bereits in den 1980er Jahren erste Pilotprojekte gestartet. Seit 2000 gehört dessen Nutzung zur normalen Praxis in Schweden. Heute werden 99% aller Verordnungen elektronisch ausgestellt – ein Zehntel davon wird im Online-Versandhandel eingelöst. Zum E-Rezept-Vorbild wird Schweden durch diese Maßnahmen:

  • Nutzergenerierte Entwicklung. Lokale Pilotprojekte ermöglichten eine schrittweise Einführung und iterative Weiterentwicklung der digitalen Lösungen. Im Zentrum stand die Mitnahme aller Akteure über das gemeinsame Zielbild einer endnutzerorientierten Umsetzung – angefangen bei den Apotheken über die Arztpraxen bis hin zu den Patient:innen.
  • Einfache Handhabung. Vor allem patientenseitig ist das papierlose Rezept höchst nutzerfreundlich und bequem aufgebaut: Sobald Arzt oder Ärztin ein E-Rezept ausstellen, wird es auf einem staatlichen Server zentral gespeichert. Einlösbar ist es dann in jeder Apotheke gegen Vorlage eines Personalausweises – nicht einmal eine App ist vonnöten. Bei der Ausgabe können Apotheker:innen zu-gleich auch bisherige Rezepte einsehen und auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Medikamenten aufmerksam machen.
  • ePA-Verknüpfung. Ähnlich wie in Dänemark ist das E-Rezept in Schweden mit der nationalen ePA verknüpft, in der auch der Medikationsplan hinterlegt ist – ein weiterer Erfolgsfaktor für die nahezu vollständige Marktdurchdringung der elektronischen Verordnung.

Israel: Effektive Datenverwertung und Innovation

Israel überzeugt insbesondere durch sein hohes Innovationstempo. Seit über zwei Jahrzenten treiben die großen örtlichen Krankenkassen die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Als sogenannte Gesundheitspflegeorganisationen (Health Maintenance Organisations – HMOs) nehmen sie im Vergleich zu Deutschland eine noch breitere Rolle in der Gesundheitsversorgung ein, indem sie z.B. eigene Zentren unterhalten. Die HMOs treiben weitgehend eigenständig die E-Health-Innovationen voran – starker Wettbewerb unter den vier größten Kassen sorgt dabei für eine hohe Umsetzungsgeschwindigkeit. Alle Versicherten in Israel verfügen inzwischen über eine ePA.

Der Freiraum in der Entwicklung und die Wettbewerbssituation hatten indessen auch Nebenwirkungen: Es mangelte an Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, über lange Zeit gab es keine Interoperabilitätsstandards. Das israelische Bundesministerium übernahm daher 2018 die Zuständigkeit für den Datenaustausch. Es entwickelte das EITAN-System und schaffte so einen einrichtungsübergreifenden Zugriff auf die elektronischen Patientendaten. Insgesamt erweisen sich seither drei Merkmale als maßgeblicher Vorteil des israelischen E-Health-Systems:

  • Effektive Datennutzung. Das Beispiel Israel zeigt, dass eine effektive Datennutzung der ePA echten Mehrwert für die Versorgung in der Breite generieren kann. So werden alle Daten wissenschaftlichen Instituten und medizinischen Einrichtungen für die Versorgungsforschung anonymisiert bereitgestellt. KI-Systeme suchen dabei gezielt nach Möglichkeiten zur Krankheitsfrüherkennung. Erfolgreich eingesetzt werden solche Algorithmen bereits bei der Darmkrebsvor-sorge: Sobald das System einen Hochrisikofall identifiziert, erhalten Ärzt:innen einen Hinweis in der ePA, damit sie eine frühzeitige Prävention einleiten können.
  • Offene Schnittstellen. Israels ePA-System setzt zusätzlich auf offene Schnittstellen, um die Integration von Versorgungs-Apps zu ermöglichen. Dabei wird die ePA quasi als Sprungbrett genutzt, um den Mehrwert von Anwendungsfällen für die Versicherten weiter zu erhöhen.
  • Starkes Innovationsumfeld. Schließlich setzt Israel einen geeigneten regulatorischen Rahmen zur Förderung eines starken Innovationsumfelds: Mehr als 500 E-Health-Start-ups im Land helfen, Innovationen entlang von Patientenreisen zu entwickeln, und ergänzen so die zentralen Angebote der vier führenden HMOs.
    Die drei Länderbeispiele machen deutlich: Selbst die Vorreiter brauchten eine gewisse Zeit, um die ePA und andere digitale Gesundheitslösungen wirklich zu skalieren. Sie zeigen aber auch, dass eine breitflächige Nutzung möglich ist, es klare Erfolgs-faktoren gibt und intelligente digitale Lösungen die nationale Gesundheitsversorgung insgesamt entscheidend verbessern können.

Die drei Länderbeispiele machen deutlich: Selbst die Vorreiter brauchten eine gewisse Zeit, um die ePA und andere digitale Gesundheitslösungen wirklich zu skalieren. Sie zeigen aber auch, dass eine breitflächige Nutzung möglich ist, es klare Erfolgs-faktoren gibt und intelligente digitale Lösungen die nationale Gesundheitsversorgung insgesamt entscheidend verbessern können.

Ausblick: Die Erfolgsfaktoren für ePA & Co. in Deutschland

Aus den internationalen Vergleichsstudien lassen sich auch für Deutschland wichtige Erkenntnisse ableiten. Denn trotz unterschiedlicher Beschaffenheit und Größenordnung der Gesundheitssysteme verfügen die internationalen Vorreiter über Erfahrungswerte, von denen auch unser System profitieren kann. So gilt auch für die hiesige ePA und die übrigen TI-Anwendungen, dass eine strikte Nutzerzentrierung entscheidend ist für den zukünftigen Erfolg. Eine einfache Handhabung muss sicher-gestellt sein, die Nutzungserlebnisse aller Beteiligten – von den Patient:innen über die Ärzteschaft bis hin zu den Apotheken – müssen in den Vordergrund gestellt, Bedürfnisse im Detail hinterfragt und verstanden sowie sämtliche Akteure möglichst früh vom Mehrwert überzeugt werden. Aus diesen Ansprüchen leiten sich die nachfolgenden Erfolgsfaktoren für ePA, E-Rezept & Co. in Deutschland ab.

Patient:innen aktivieren und überzeugen

Der oben beschriebene Dreiklang aus Nutzenden, Nutzung und Nutzen bringt zugleich die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Patientengruppen auf den Punkt. Alle drei Komponenten müssen nachhaltig gestärkt werden, damit digitale Gesundheits-lösungen von möglichst vielen Menschen genutzt werden, regelmäßig zur Anwendung kommen und so einen Gesamtnutzen für das Gesundheitssystem stiften.

1. Nutzerzahlen systematisch steigern

Wie die historische Entwicklung in den anderen Ländern zeigt, nehmen die Nutzer-zahlen mit wachsender Bekanntheit der Anwendungen kontinuierlich zu, und der Ausbau von Funktionalitäten tut sein Übriges, um den Trend fortzusetzen. Allerdings lässt sich der Prozess durch drei Maßnahmen spürbar beschleunigen. Die erste und zugleich wirksamste Maßnahme wäre ein regulatorischer Wechsel vom bisherigen Opt-in- zum Opt-out-Verfahren. GKVen würden dann ihren Versicherten standardmäßig eine ePA einrichten, wenn diese nicht aktiv widersprechen. Dabei wird es erfolgsentscheidend sein, das Opt-out-Verfahren für alle möglichst transparent und verständlich zu gestalten. Aktuelle Pläne der Bundesregierung sehen einen solchen Wechsel bereits vor. Zeitpunkt und Umfang der Zustimmungs- und Widerspruchsbestimmungen sind noch nicht im Detail festgelegt, doch das Verfahren würde den flächendeckenden Einführungsprozess der ePA nicht nur für Patient:innen vereinfachen, sondern vor allem deutlich beschleunigen und rasch die notwendigen Nutzerzahlen auf Patientenseite generieren.

Der zweite Schritt zu einer breiteren Nutzerbasis wäre die Einrichtung eines zentralen Zugangs zu allen TI-Anwendungen. Versicherte bräuchten dann nur noch eine einheitliche digitale Identität, um auf die unterschiedlichen Gesundheitslösungen zuzugreifen. Die zentrale Verwaltung der Einwilligungen zur Datennutzung wäre ein weiterer Baustein, um Einstiegsbarrieren zu reduzieren und das Nutzererlebnis zu verbessern.

Nicht zuletzt sollte das medizinische Personal dafür gewonnen werden, den Versicherten digitale Anwendungen systematisch nahezubringen. Gerade Ärztinnen und Ärzte nehmen als direkte Mittler zwischen Patient:in und Gesundheitssystem eine herausragende Rolle bei dessen Digitalisierung ein. Durch ihren täglichen Patienten-kontakt sind sie am effektivsten in der Lage, zentrale Aufklärungsarbeit zu leisten, Informationen zum individuellen Mehrwert zu liefern und so neue Nutzergruppen für TI-Anwendungen zu generieren.

2. In Patientenreisen denken

Die Höhe der Nutzerzahlen ist indessen nur die halbe Miete. Darüber hinaus spielt die Nutzungsrate eine zentrale Rolle für den Erfolg einer Anwendung. Hier haben Patient:innen – als überwiegend erfahrene App-User im Alltag – klare Erwartungen: Sie suchen auch im Gesundheitssystem zunehmend nach integrierten Lösungen, die ihnen die Nutzung der Angebote so bequem wie möglich machen.

Daher lohnt es sich, bereits bei der Gestaltung der Anwendungsarchitektur in Patientenreisen zu denken und bestehende wie neue Angebote sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Konkret: TI-Anwendungen wie der elektronische Medikationsplan oder das E-Rezept müssen mit der ePA verknüpft sein. Gleiches gilt für weitere Anwendungen und Funktionalitäten, die im Zuge der geplanten Ausbaustufen auf den Markt kommen. Denn erst die vollständige Verknüpfung aller Datensätze und Lösungen ermöglicht nahtlose Patientenreisen, gute Nutzungserlebnisse und eine effizientere Versorgung. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Nutzerzahlen aus und erhöht die Chance, das Potenzial von TI-Anwendungen vollständig zu realisieren.

3. Echten Nutzen stiften

TI-Anwendungen müssen mehr bieten als die einfache Digitalisierung von bestehenden analogen Prozessen. Um eine kritische Masse von Anwendern zu gewinnen und diese auch noch zu regelmäßiger Nutzung anzuregen, braucht es sichtbaren Mehr-wert, der alle Akteure überzeugt. Auch bei Anwendungen, deren flächendeckende Einführung noch bevorsteht, muss sichergestellt werden, dass sowohl Leistungserbringer als auch Patient:innen von Beginn an einen erkennbaren Nutzen wahrnehmen.

So muss das E-Rezept beispielsweise mehr sein als das bloße elektronische Abbild des Papierrezepts. Echter Mehrwert entsteht hier, wenn auch hinterlegte Daten nutzbar gemacht werden, indem das E-Rezept mit der ePA verknüpft wird. Sowohl einfache Funktionen wie die Erinnerung zur Medikamenteneinnahme und die Erkennung von Wechselwirkungen als auch komplexe wie die KI-Auswertung großer Datenmengen zur Wirksamkeit der verschriebenen Arzneimittel bringen spürbare Verbesserungen – für die Versorgungsqualität insgesamt ebenso wie für die einzelnen Versicherten.

Leistungserbringer zu Treibern der Entwicklung machen

Auch Ärzte und Apothekerinnen wollen von der ePA und weiteren TI-Anwendungen überzeugt sein. Damit dies gelingt, sollten sie eng in die Entwicklung und Einführung eingebunden werden. Zusätzlich geht es darum, die Nutzbarkeit im Alltag zu gewährleisten und mögliche Einstiegsbarrieren mit den richtigen Anreizen zu überwinden.

1. Medizinisches Fachpersonal einbinden

Die frühzeitige Einbindung von Ärzt:innen, Apotheker:innen und Pflegekräften in die Ausgestaltung der Anwendungen ist entscheidend, um mehrwertstiftende Funktionalitäten zu entwickeln, Nutzerfreundlichkeit sicherzustellen – und so eine höhere Akzeptanz zu erzielen. Denn nur, wenn die zentralen TI-Anwendungen im Arzt-Patienten-Kontakt routinemäßig zum Einsatz kommen, können sie ihren vollen Nutzen entfalten.

Daher gilt es bereits in der Ideenfindung, die Innovationskraft der Leistungserbringer zu nutzen und regelmäßig Anregungen aus der medizinischen Praxis für neue Lösungen, Funktionalitäten oder Anwendungsfälle einzuholen. Beim Design der Angebote sollten dann mittels Co-Creation und Design-Workshops zusammen mit den Leistungserbringern tragfähige Lösungen und Funktionalitäten erarbeitet und aus-gestaltet werden.

2. Nutzbarkeit im Praxisalltag gewährleisten

Anwenderfreundlichkeit und einfache Bedienbarkeit sind die Grundvoraussetzung für positive Nutzererlebnisse. Leistungserbringer brauchen daher eine gute Einbettung der Anwendungen in die täglichen Abläufe und eine nahtlose Integration in bestehende IT-Systeme wie Praxis- oder Krankenhausverwaltungssysteme, um den Aufwand der digitalen Erfassung so gering wie möglich zu halten.

Für eine bessere Nutzbarkeit im späteren Praxisalltag können Pilotprojekte in ausgewählten Regionen und/oder Praxen sorgen. Dies ist zugleich ein effizienter Weg zu testen, ob die Lösungen in allen Anwendungsstufen in ihrer Bedienbarkeit überzeugen, in die Tagesroutinen integrierbar sind und letztlich den erhofften Mehrwert schaffen. Schnelle Iterationen mit regelmäßigen User-Tests bei der Entwicklung steigern schließlich auch die Erfolgschancen bei der Einführung und sorgen dafür, dass neue digitale Gesundheitslösungen auch medizinische Anwendergruppen schneller in der Breite überzeugen.

3. Anreize zur Nutzung schaffen

Gerade in der Übergangszeit, bevor TI-Anwendungen skaliert werden und ihr volles Nutzenpotenzial entfalten, sollten die finanziellen Anreize für Leistungserbringer gestärkt werden. Möglich wären z.B. Extravergütungen bei der Nutzung von TI-An-wendungen sowie Unterstützung bei den Anschaffungs- und Installationskosten. Doch andererseits sollte auch eine Honorarkürzung kein Tabu sein, um das Ziel flächendeckender Nutzung zu erreichen. Dieses Mittel wird aktuell bereits bei einer Nichtanbindung an die TI angewendet.

Angebot ausbauen und weitere Akteure anbinden

Ein weiterer entscheidender Faktor für die Realisierung des Nutzens von TI-Anwendungen ist die Sicherstellung der Interoperabilität von Systemen und Daten. Denn erst die Vernetzung bestehender und neuer digitaler Gesundheitslösungen über offene Schnittstellen und kommunizierende Systeme ermöglicht eine mehrwertorientierte Datennutzung.

Im Idealfall entsteht so ein „florierendes“ digitales Ökosystem: Die ePA beispielsweise könnte zu einer offenen digitalen Gesundheitsplattform ausgebaut werden und als zentrale Enabler-Technologie für andere digitale Gesundheitslösungen dienen. Die Integration weiterer Versorgungs-Apps in die ePA wiederum ließe sich für neue Anwendungsfälle nutzen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Balance aus Standardisierung und Flexibilität dabei gewahrt bleibt: Die Entwicklung der anknüpfenden digitalen Lösungen an die ePA darf nicht zu sehr eingeschränkt werden, denn allzu strenge Zulassungskriterien schrecken Innovationen ab und bremsen die Bildung eines digitalen Ökosystems aus.

Um einen langfristigen Nutzen für die deutsche Gesundheitsversorgung zu stiften, sollte nicht zuletzt die medizinische Forschung an zentrale TI-Anwendungen angebunden werden. Deutschland ist hier bereits auf dem Weg: Ab 2023 sollen Patient:innen ihre Daten aus der ePA für Forschungszwecke freigeben können. Erfolgskritisch ist dabei auf technischer Seite neben einer höheren Standardisierung auch die semantische Interoperabilität von Daten, um diese leichter für Forschungszwecke auswerten zu können, z.B. mittels Big Data oder künstlicher Intelligenz. Auf Patientenseite wiederum wird es vor allem darum gehen, die Bereitschaft zur Datenspende durch Aufklärung und Anreize zu fördern. Auch über Opt-out-Mechanismen kann und sollte an dieser Stelle nachgedacht werden, um wissenschaftlich verwertbare Datenmengen zu erzeugen. Denn die daraus gewonnenen Forschungserkenntnisse kommen letztlich allen Beteiligten zugute.

Fazit

Der aktuelle Status zentraler TI-Anwendungen wie der ePA zeigt, dass die Ausgangssituation für eine erfolgreiche Skalierung digitaler Gesundheitsangebote in Deutschland durchaus vielversprechend ist. Bereits mit dem Aufbau der TI und der Einführung erster zentraler Anwendungen wie der ePA wurden wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Digitalisierung des Gesundheitswesens gesetzt. Die hohe prinzipielle Nutzerbereitschaft hierzulande und die ersten Erfolgsgeschichten einzelner Lösungen – von der Telekonsultation über Online-Terminbuchungen bis zur Corona-Warn-App – zeigen zudem, dass der Durchbruch gelingen kann. Nun kommt es darauf an, die Nutzung der TI-Anwendungen nach dem Vorbild der internationalen Vorreiter in der Breite zu skalieren, spürbaren Mehrwert insbesondere für Patient:innen und Leistungserbringer zu erzeugen und so das volle digitale Potenzial des deutschen Gesundheitssystems zur Entfaltung zu bringen.

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