Nutzeneffekte von E-Health
im Spiegel der Forschung
Julian Frings, Thomas Müller, Pirkka Padmanabhan,
Laura Richter und Tobias Silberzahn

Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur die virtuelle und digitale Gesundheitsversorgung beschleunigt, sondern zugleich auch Fragen zu Nutzen und Wirksamkeit digitaler Gesundheitsanwendungen in den Fokus gerückt. Die wissenschaftliche Evidenz, also der Nachweis über Wirksamkeit, potenzielle Nebenwirkungen und Nutzen von E-Health-Interventionen, spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulierung, Vergütung, Verschreibung und Verwendung digitaler Anwendungen.


Wie hat sich die Erforschung des Nutzens von E-Health-Interventionen entwickelt? Wie vernetzt ist die Forschungslandschaft, auf welche Anwendungen und Therapiegebiete konzentrieren sich die Studien zurzeit und welche Nutzeneffekte weisen sie nach? Aufschluss gibt die nachfolgende Analyse wissenschaftlicher Publikationen zur Evidenz digitaler Gesundheitsanwendungen im Zeitverlauf und speziell für das Jahr 2021. Ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern (Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien) ordnet ein, wo die deutsche E-Health-Forschung derzeit international steht.

Methodologie

Zunächst haben wir untersucht, wie sich die wissenschaftliche Forschung zum Thema E-Health über das vergangene Jahrzehnt hinweg entwickelt hat – sowohl was die Anzahl an Publikationen im Ländervergleich betrifft als auch die Breite und Tiefe der E-Health-Forschung und deren Vernetzung. Als Grundlage dient die medizinische Fachdatenbank PubMed, die eine strukturierte und jährlich replizierbare Analyse ermöglicht. Die Recherche erfolgt über MeSH-Schlagworte (MeSH: Medical Subject Headings) der National Library of Medicine, mit denen die bei PubMed gelisteten Studien indiziert werden1.

1 Für die Analyse der E-Health-Forschungslandschaft wurden Studien herangezogen, die eines der folgenden MeSH-Schlagworte enthalten: „ehealth“, „e-health“, „digital health“, „information science“, „digital technology“. Als Filter dienten die Begriffe „clinical trial“ oder „randomized controlled trial“. Für die Analyse der Therapie- und Anwendungsgebiete wurden die E-Health-Schlagworte „telemedicine“, „mobile applications“ oder „eHealth“ mit indikationsbezogenen wie „diabetes mellitus“, „cardiovascular disease“, „asthma“, „COPD“, „depression“ oder „rehabilitation“ kombiniert. Um die Publikationen den jeweiligen Ländern zuzuordnen, wurde der Filter „affiliation“ genutzt (Zugehörigkeit: Land der publizierenden Autor:innen oder Institutionen). Die Recherche wurde vom 27. Juni bis 8. Juli 2022 durchgeführt.

Die Analyse der E-Health-Forschungslandschaft deckt den Zeitraum von 2012 bis 2022 ab und fokussiert sich auf Autor:innen mit sechs oder mehr Publikationen in diesem Bereich. Explizit betrachtet wurde das Netzwerk der Meinungsführer:innen (Key Opinion Leaders) und deren wissenschaftlicher Status anhand der Anzahl ihrer Publikationen und Mitautorenschaften:

  • Autorennetzwerk. Zeigt die Verflechtung der gesamten E-Health-Forschung zur Identifizierung spezifischer Themeninhalte und geografischer Cluster.
  • Autorenstatus. Zeigt die Häufigkeit, mit der Autor:innen von anderen genannt werden, sowie die Stärke ihrer kollaborativen Beziehungen. Je häufiger die Nennungen, desto höher der Status. Die Intensität der Zusammenarbeit misst sich an der Rate der Mitautorenschaften (Co-Authorship Rate).

Bei der Analyse der Nutzeneffekte von E-Health-Interventionen standen wie schon in den vergangenen Jahren fünf besonders verbreitete Therapiegebiete im Fokus: Atemwegserkrankungen, Depression, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rehabilitation. Um Doppelzählungen zu vermeiden, wurden indikationsübergreifende Untersuchungen derjenigen Krankheitskategorie zugeordnet, die thematisch die größte Schnittmenge mit der Studie hat. Die recherchierten Publikationen (betrachtet wurde das Erscheinungsjahr 2021) verteilen sich auf insgesamt acht E-Health-Anwendungskategorien – sechs mit direktem Patientenkontakt und zwei aus dem Bereich digitale Services ohne direkten Patientenkontakt.

Anwendungen mit direktem Patientenkontakt:

  • Prävention. Virtuelle Trainer, Fitnesstracker und Apps, die einen gesunden Lebensstil fördern und chronischen Erkrankungen vorbeugen (z.B. Bewegungsanreize, Diät, Rauchentwöhnung)
  • Digitale Diagnose. Anwendungen, die eine Ferndiagnose ermöglichen oder Daten für eine Diagnose zusammenführen
  • E-Triage. Anwendungen zur Vorabklärung, ob ein Besuch der Notaufnahme oder eine Beratung zur Primärversorgung, Selbstversorgung oder Nachsorge erforderlich sind
  • Telekonsultation. Anwendungen zur webbasierten Fernberatung und -behandlung von Patient:innen (z.B. Videosprechstunden)
  • Fernüberwachung. Anwendungen zur digitalen Fernüberwachung klinischer Para-meter, meist für chronisch kranke (Hochrisiko-)Patient:innen
  • Management von (chronischen) Erkrankungen. Anwendungen zur unterstützenden Behandlung (chronischer) Erkrankungen (z.B. digitale Therapien, Stimmungstagebuch, Erinnerung an Therapietreue, Patientenaufklärung, Online-Programm zur Lungenrehabilitation, Einbindung persönlicher Betreuungskräfte bei psychischen Krankheiten).

Digitale Services ohne direkten Patientenkontakt:

  • Arbeitsablauf-Automatisierung. Anwendungen, die klinische Arbeitsabläufe automatisieren (z.B. mobile Vernetzung des Pflegepersonals, barcodebasierte Verabreichung von Medikamenten, Roboter für die Krankenhauslogistik)
  • Entscheidungsunterstützung und Ergebnistransparenz. Anwendungen zur Beschleunigung der Entscheidungsfindung und Verbesserung der Behandlungsqualität (z.B. regel- oder AI-basierte Behandlungsempfehlungen, Software zur optimalen Patientenführung durch (Diagnose-)Stationen, interne Dashboards zur Leistungsanalyse und -verbesserung von medizinischen Teams).

Autoren McKinsey & Company

Julian Frings

Thomas Müller

Thomas Müller

Pirkka Padmanabhan

Pirkka Padmanabhan

Laura Richter

Laura Richter

Tobias Silberzahn

Dr. med. Tobias Silberzahn

Deutsche E-Health-Forschung im europäischen Vergleich

Betrachtet man die Publikationsentwicklung im Bereich E-Health über die vergangenen Jahre hinweg, so zeigt sich länderübergreifend seit etwa 2011 ein markanter Anstieg (s. Abb. 1). Allein in Deutschland hat sich die Zahl der jährlichen Publikationen in diesem Zeitraum fast verfünffacht. Italien, Spanien und Frankreich kommen auf ähnliche Steigerungsraten (wenngleich auf niedrigerem Niveau), Großbritannien sogar noch auf deutlich höhere. 2021 allerdings ging das E-Health-Publikationsvolumen in allen untersuchten Ländern zurück; Deutschland kam in diesem Jahr auf knapp 100 Veröffentlichungen.

Abb. 1 Entwicklung der E-Health-Publikationen nach Ländern seit 2000. Quelle: PubMed; McKinsey

Die Anzahl der deutschen E-Health-Studien hat sich seit 2011 verfünffacht – ging allerdings 2021 leicht zurück

Entwicklung der E-Health-Publikationen nach Ländern seit 2000

Doch auch unabhängig vom jüngsten Rückgang zeigt der europäische Ländervergleich, dass die E-Health-Forschung in Deutschland – insbesondere gemessen an Großbritannien – noch ausbaufähig ist. Nachfolgend nehmen wir daher zunächst die internationale Vernetzung der Forschungslandschaft in den Blick, um anschließend zu klären, welche Anwendungs- und Therapiegebiete in den einzelnen Ländern derzeit erforscht werden.


Die Analyse der E-Health-Forschungslandschaft in Europa zeigt, dass deutsche und britische Wissenschaftler:innen mit ihren Netzwerken am aktivsten sind (s. Abb. 2).

Abb. 2 Publikationsintensität, Status und Vernetzung von E-Health-Forscher:innen in Europa.
Quelle: PubMed; Visone; McKinsey

Deutsche und britische Netzwerke prägen die E-Health-Forschungslandschaft in Europa

Publikationsintensität, Status und Vernetzung von E-Health Forscher:innen in Europa

Autor:innen mit 6+ Publikationen (n = 791)

Einen ausgeprägten Cluster bildet z.B. die Erforschung von E-Health-Interventionen im Bereich mentaler Gesundheit mit Fokus auf Depression. Starke Vernetzung und eine hohe Anzahl von Publikationen weist hier insbesondere der Kreis um Prof. Dr. David Ebert (TU München) auf: Zum engeren Forschungszirkel zählen die Professor:innen Heleen Riper (Universität Amsterdam), Matthias Berking (Universität Erlangen) und Dirk Lehr (Leuphana Universität Lüneburg). Den zweitgrößten Cluster bilden Lucy Yardley und Paul Little aus Großbritannien mit dem Forschungsschwerpunkt Hypertonie und Gewichtsmanagement. Ihr Netzwerk ist jedoch mit der deutschen E-Health-Forschung bislang kaum verknüpft. Darüber hinaus lassen sich in Europa keine größeren Cluster ausmachen.


Die übrigen Therapiegebiete weisen deutlich weniger starke Vernetzung auf und verteilen sich auf mehr Autor:innen. Ein Grund hierfür ist, dass E-Health ein sehr breites Forschungsgebiet ist, das unterschiedlichste Anwendungs- und Therapiegebiete abdeckt, wie der folgende Abschnitt zeigt.

Publikationsverteilung auf Anwendungs- und Therapiegebiete

Anders als im letztjährigen E-Health Monitor beschränkt sich die Analyse der Publikationsverteilung auf die Anwendungs- und Therapiegebiete diesmal nicht mehr nur auf Deutschland, sondern erstreckt sich auch auf Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien. Für das Jahr 2021 wurden so 273 wissenschaftliche Veröffentlichungen identifiziert, die das Thema E-Health behandeln (s. Abb. 3).

E-Health-Anwendungsgebiete

Unter den Anwendungsgebieten ist das Management von (chronischen) Erkrankungen über alle Therapiegebiete hinweg das mit Abstand am besten erforschte mit insgesamt 119 Publikationen (44%). Insbesondere Italien trägt viele Studien in diesem Bereich bei (32). Ein Grund für die starke Forschungstätigkeit ist die hohe Eignung digitaler Lösungen gerade für dieses Anwendungsgebiet, in dem es primär um die Organisation und Einhaltung von Therapien, Programmen und Medikationen geht.

Telekonsultation ist der Forschungsbereich mit dem zweithöchsten Publikationsvolumen nach Anwendungsgebiet (54). Der Auftrieb, den Corona der Telemedizin verschafft hat, ist hier bereits abgebildet. So erwähnt fast jede zweite Studie (25) „COVID-19“ bereits im Titel. Angesichts der zunehmenden Etablierung von Videosprech-stunden im Behandlungsalltag ist zu erwarten, dass die Telekonsultation in den kommenden Jahren weiter im Fokus der Forschung bleiben wird.

Auffällig ist die relativ geringe Zahl an Publikationen zu E-Health-Lösungen auf dem Gebiet Entscheidungsunterstützung und Ergebnistransparenz für ärztliches und Gesundheits-personal (8). In Deutschland allerdings könnte die weitere Digitalisierung des Gesundheitswesens im Zuge des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) die Forschungstätigkeit in diesem Anwendungsgebiet stimulieren.

Abb. 3 Anzahl der E-Health-Publikationen nach Therapie- und Anwendungsgebieten im europäischen Vergleich,2021.
Quelle: PubMed

Herz-Kreislauf-Erkrankungen und das Management chronischer Krankheiten stehen im Fokus der europäischen E-Health-Forschung

Anzahl der E-Health-Publikationen nach Therapie- und Anwendungsgebieten
Anzahl der E-Health-Publikationen nach Therapie- und Anwendungsgebieten

E-Health-Therapiegebiete

Innerhalb der Therapiegebiete kommen Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf das höchste Publikationsvolumen (92). Sie machen rund ein Drittel (34%) aller E-Health-Studien aus – was wenig überrascht angesichts der Vielzahl von Krankheitsbildern (z.B. Herz-insuffizienz, ischämische Herzkrankheit, Vorhofflimmern) und der Tatsache, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen weiterhin die häufigste Todesursache in Europa sind2.
Das Publikationsvolumen der Länder zeigt in dieser Kategorie keine markanten Unter-schiede. Auffallend aber ist, dass im Bereich der Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich mehr E-Health-Anwendungsgebiete erforscht werden als bei anderen Therapie-gebieten. Das Spektrum reicht hier von der Fernüberwachung von Patient:innen mit Vorhofflimmern über mobile Apps zur Selbstüberwachung bei Hypertonie sowie Smartwatch-Diagnosen von Herzrhythmusstörungen bis hin zu telemedizinischen Netzwerken für Schlaganfallbetroffene in ländlichen Regionen.

2 Townsend N, Kazakiewicz D, Wright L F et al. (2022) Epidemiology of cardiovascular disease in Europe. Nat Rev Cardiol 19, 133-143. URL: https://doi.org/10.1038/s41569-021-00607-3

Rehabilitation ist das Therapiegebiet mit dem zweithöchsten Publikationsvolumen in Europa. Mit 68 Studien deckt es ein Viertel aller E-Health-Veröffentlichungen ab; die meisten sind entstanden in Spanien, Italien und Großbritannien. Allein 21 Rehabilitations-Studien stehen in Verbindung mit COVID-19 (z.B. „Physio anywhere: digitally-enhanced outpatient care as a legacy of coronavirus“, „Feasibility, safety and effectiveness of remote pulmonary rehabilitation during COVID-19 pandemic“, oder „Feasibility of tele-rehabilitation in survivors of COVID-19 pneumonia“). Darüber hinaus beschäftigen sich die meisten Studien mit dem Management von (chronischen) Erkrankungen und der Telekonsultation. Gerade Letztere war während der Lockdown-Phasen in der Corona-Pandemie ein wichtiges Instrument zur Aufrechterhaltung der Rehabilitationsversorgung.


Die digitale Anwendungsforschung im Therapiebereich Depression fällt international relativ schmal aus. Die Zahl der Publikationen beläuft sich auf gerade einmal 20 und ist relativ gleichmäßig über die Länder verteilt. Auch Deutschland trug 2021 nur vier Studien in dieser Kategorie bei. Dennoch zählt die unterstützende Behandlung psy-chisch-mentaler Erkrankungen weiterhin zu den stärksten E-Health-Anwendungsgebieten in Deutschland: Allein 14 der mittlerweile 33 zertifizierten DiGA hierzulande sind der mentalen Gesundheit zuzuordnen, 3 davon der Depression.


Die Kategorie Sonstige Therapiegebiete deckt mit 25 Publikationen zahlreiche Krankheitsbilder ab – von Arthritis, Demenz, Mukoviszidose und Krebs über Schlafstörungen und Adipositas bis hin zu Multipler Sklerose. Die Vielfalt der Einsatzgebiete illustriert das breite Nutzungspotenzial digitaler Gesundheitsanwendungen – und weckt Hoffnung auf weitere wissenschaftliche Nutzennachweise von E-Health-Lösungen in verschiedenen Therapiegebieten.

~30 %

der E-Health-Studien 2021 standen im Zusammenhang mit COVID-19.

Über alle Anwendungs- und Therapiegebiete hinweg auffällig ist die Vielzahl der E-Health-Studien, die 2021 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie standen: Rund 30% von ihnen (75 von 273) erwähnen COVID-19 im Titel oder im Abstract. Am häufigsten beschäftigen sich italienische (29) und britische (25) Studien mit dem Thema. Die COVID-bezogenen Publikationen erstrecken sich dabei über alle Anwendungsgebiete, sind aber besonders stark im Bereich Tele-konsultation vertreten, die während der Pandemie eine Schlüsselrolle gespielt hat. Zu den behandelten Themen zählen z.B. das Telemanagement von post-akuten COVID-19-, DiabetesTyp-2- oder Mukoviszidose-Patient:innen sowie Tele-Rehabilitationsmaßnahmen bei Demenzkranken. Damit hat die Pandemie einmal mehr die breiten Anwendungsmöglichkeiten von E-Health-Lösungen in der Gesundheitsversorgung unterstrichen.

Nachweisbarer Nutzen von E-Health-Lösungen

Um den Nutzen von E-Health-Lösungen zu ergründen, wurden 204 Studien aus dem Jahr 2021 identifiziert, die den Nutzeneffekt von E-Health quantifiziert haben3. Bei der Mehrzahl (62%) handelt es sich um randomisierte, kontrollierte Studien, gefolgt von nicht randomisierten (15%) und Real-World-Evidence-Analysen (13%).

Das Ergebnis: 80% der Studien, insgesamt 163, weisen einen positiven Nutzeneffekt von E-Health-Anwendungen nach. 12 konnten keinen Nutzen belegen und 29 keinen eindeutigen. Der nachgewiesene Nutzen lässt sich dabei in drei Kategorien unter-teilen: verbesserter Gesundheitsstatus für Patient:innen, höhere Kosteneffizienz für das Gesundheitssystem und Zeitersparnis für das ärztliche Fachpersonal und/oder Pflegekräfte (s. Abb. 4).

3 75% aller hier betrachteten Veröffentlichungen (204 von 273) sind quantitative Studien, 15% (40) qualitative. Bei den Übrigen handelt es sich um Studienprotokolle und andere Publikationen wie wissenschaftliche Repliken.

Verbesserung des Gesundheitsstatus. Mehr als drei Viertel (77%) der Studien mit nachgewiesenem Nutzeneffekt stellen gesundheitliche Verbesserungen durch die E-Health-Anwendungen fest – davon 80% im Bereich der körperlichen Gesundheit. Dazu zählen z.B. die Verlängerung der Zeit bis zur ersten Krankenhauseinweisung von Herz-Kreislauf-Patient:innen durch Fernüberwachung oder die Reduktion von Hypertonie-Inzidenzen während einer Kataraktoperation durch den Einsatz App-basierter Musik. Eine 2022 erschienene deutsche Studie von Adeline Lim et al. fand zudem heraus, dass durch digitales Remote Monitoring von COVID-19-Patient:innen die Sterblichkeitsrate um das Drei- bis Vierfache niedriger lag als in der Kontrollgruppe und die Dauer des Krankenhausaufenthalts erheblich reduziert werden konnte. Komplikationen wurden schneller identifiziert, sodass eine Gegensteuerung direkt möglich war.

Abb. 4 Verteilung europäischer E-Health-Studien mit positivem Nutzeneffekt nach Art des Nutzens, 2021.
Quelle: PubMed; McKinsey

163

positive Studien

Drei Viertel aller Studien weisen E-Health-Anwendungen positive Effekte auf die Gesundheit nach

Anzahl europäischer1 E-Health-Publikationen mit positivem Nutzeneffekt, 2021

Anzahl europäischer1 E-Health-Publikationen mit positivem Nutzeneffekt, 2021

1 Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien

Im Bereich der psychischen Gesundheit lagen nur 13 quantitative Untersuchungen vor; der nachgewiesene Nutzeneffekt lag hier bei 70% (9 Studien). Dazu zählt unter anderem eine signifikante Verbesserung im Depressionsmodul des Gesundheitsfragebogens für Patient:innen (PHQ-9) nach Nutzung einer mobilen App.

Zeitersparnis. Bei einem Fünftel der Publikationen bestand der positive Nutzen von E-Health-Lösungen in der Zeitersparnis für das behandelnde ärztliche oder Pflegepersonal, sei es durch die Wahl der Telekonsultation anstelle der Visite am Krankenbett oder durch die Verringerung bzw. Beschleunigung administrativer Aufgaben. 19 der 33 Publikationen, die einen positiven Nutzen durch Zeitersparnis nachweisen konnten, stehen im Zusammenhang mit COVID-19 – ein Hinweis darauf, dass die Pandemie die Einführung zeitsparender Maßnahmen beschleunigt hat. So konnte eine Studie zeigen, dass die Besuchszeit bei telemedizinischen Konsultationen im Durchschnitt um 20% kürzer ausfiel als bei persönlichen Sprechstunden.

Höhere Kosteneffizienz. Fünf Publikationen (3%) weisen eine höhere wirtschaftliche Effizienz der E-Behandlung nach: zwei im Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Myokardinfarkt und ischämische Herzerkrankungen) und drei im Bereich Rehabilitation (Osteoarthritis, chronische Rückenschmerzen, pulmonale Rehabilitation). Unter anderem konnte eine Studie belegen, dass eine Smartphone-App zur Prävention gegen Myokardinfarkt das Infarktrisiko so stark reduzierte, dass nach 24 Monaten die Ersparnis durch die geringere Anzahl an Infarktereignissen höher war als die Kosten des digitalen Präventionsprogramms. Eine weitere Studie konnte zwar keine Reduzierung der Gesamtkosten für das Gesundheitssystem feststellen, dafür aber eine höhere inkrementelle Kosteneffizienz: 79 Personen hatten an einem sechsmonatigen Telemonitoring-Programm zur Cardiac Rehabilitation (CR) teilgenommen. Die hohe Adhärenz der Patient:innen bei der Nutzung des mobilen Programms spielte eine entscheidende Rolle dabei, dass die Intervention besonders kosteneffizient war.

Zwischen den untersuchten Ländern bestehen hinsichtlich der Art des Nutzeneffekts keine signifikanten Unterschiede. Differenzierungen ergeben sich jedoch bei der Betrachtung nach Anwendungs- und Therapiegebiet: So zeigt sich, dass in den Bereichen Depression und COPD sämtliche Publikationen einen verbesserten Gesundheits-status belegen können. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Rehabilitation weisen rund 80% der Studien positive Gesundheitseffekte nach und jeweils rund 15% eine Zeitersparnis für Ärzt:innen und Pflegekräfte. Der digitalen Fernüberwachung chronisch Kranker attestieren 5% der Studien eine höhere Kosteneffizienz und 10% Zeitersparniseffekte. Publikationen im Zusammenhang mit COVID-19 – größtenteils Studien zur Telekonsultation – zeigen zu zwei Dritteln positive gesundheitliche Effekte und zu einem Drittel Zeitersparnis und Ablaufverbesserungen.

Es bleibt weiterhin spannend, die wissenschaftlichen Trends bei der Erforschung des Nutzeneffekts von E-Health-Lösungen in Deutschland und im europäischen Vergleich zu verfolgen. Absehbar ist schon jetzt: Die Forschung wird sich weiter intensivieren – und das ist zu begrüßen. Denn insbesondere durch die zunehmende Verbreitung digitaler Gesundheitsanwendungen im Zuge der COVID-19-Pandemie ist die wissenschaftliche Evidenz über den Nutzen und die Wirksamkeit von E-Health-Interventionen wichtiger denn je.