Wissensexplosion: Chancen und
Risiken für die Gesundheitskompetenz
und die Bedeutung
für die Patientensicherheit
Ruth Hecker

Die Autorin

Dr. med. Ruth Hecker

Von 2016 bis 2019 war Ruth Hecker die stellvertretende Vorsitzende im Aktionsbündnis Patientensicherheit, seit 2019 ist sie Vorsitzende. Sie ist Fachärztin für Anästhesiologie und Chief Patient Safety Officer, Universitätsmedizin Essen, nachdem sie langjährige Leiterin des Bereichs Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement der Universitätsklinik Essen war. Ihre Themenschwerpunkte sind die politische Arbeit, die Umsetzung des Globalen Aktionsplans für Patientensicherheit der WHO, „Deutschland erkennt Sepsis“, „Patienten für Patientensicherheit“, Qualitätsmanagement und klinisches Risikomanagement.

In einer Ära, die von digitaler Transformation und Künstlicher Intelligenz (KI) geprägt ist, hat das Gesundheitswesen eine bemerkenswerte Wissensexplosion erlebt. Diese Entwicklung verspricht eine Revolution in der Art und Weise, wie Patientinnen und Patienten ihre Gesundheits- und Krankheitskompetenz verbessern können und wie sie selbst mit dem Wissen Einfluss auf die medizinischen Entscheidungen nehmen können. Die große Chance besteht in mehr verfügbarem und schneller zugänglichem Wissen, allzeit bereitstehenden Informationen in allen Sprachen und auf allen Detailebenen und einer Vielzahl möglicher digitaler Anwendungen, die allen Menschen offen zur Verfügung stehen.

Doch mit diesen Chancen gehen auch Risiken einher. Patientinnen und Patienten benötigen einen hohen Grad an Digital Health Literacy, um verschiedene Quellen einschätzen zu können, Richtiges von Falschem zu unterscheiden, sowie Kraft, Zeit, Ressourcen und Zugang zu entsprechender Technik, um sich selbst in den Prozess rund um die Sicherheit ihrer Behandlungen einzubringen. Gerade Falschinformationen oder Fehlverständnisse bergen ein großes Risiko, ansonsten erfolgreiche Behandlungen zu gefährden.

In diesem Kapitel sollen die Chancen und Risiken des rasant wachsenden Wissens im Gesundheitswesen in Bezug auf die Patientensicherheit beleuchtet werden. Können Patientinnen und Patienten damit umgehen, schadet oder nützt dieses Wissen mehr? Welche Potenziale der Wissensexplosion können genutzt werden, um vermeidbare Schäden langfristig zu reduzieren und die Patientensicherheit zu erhöhen?

Einleitung

„If it is not safe it isn’t care!“ (Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO 2023 in Montreux)

Jedes Jahr wird darüber berichtet, dass Deutschland stolz darauf ist, die Zahl der Verkehrstoten seit den frühen 1970er-Jahren von 20.000 auf knapp 3.000 gesenkt zu haben (Impey 2024). Auch auf Ebene der EU-Kommission wird das Ziel verfolgt, bis zum Jahr 2050 so nah wie möglich an null Verkehrstote zu kommen (Ausschuss für Verkehr und Tourismus 2021). Es wird aktiv versucht, jeden vermeidbaren Verkehrstoten zu verhindern. Demgegenüber belegen Zahlen aus den vergangenen Jahren, dass in deutschen Krankenhäusern etwa 20.000 Patientinnen und Patienten jährlich vermeidbare Todesfälle erleiden, die durch die Anwendung vorhandener Methoden zur Steigerung der Patientensicherheit verhindert werden könnten (Schrappe 2018).
Es geht hier um vergleichbare Methoden zu denen, die etabliert wurden, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen: Einerseits gab es viele politische Mikrointerventionen, zum Beispiel Tempolimits, Promillegrenzen, Helmtrage- und Gurtanlegepflicht, und andererseits hat die innovative Autoindustrie viel zur Verbesserung der Verkehrssicherheit beigetragen und vielfältige Assistenzsysteme entwickelt. Alles zusammen führt zu einem großen Makroeffekt. Von daher stellt sich die Frage: Wo bleibt die Null-Zielsetzung und proaktive Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland?

Der Globale Aktionsplan für Patientensicherheit 2021–2030 der WHO hat sich genau diese zum Ziel gesetzt. Er trägt den Titel: „Auf dem Weg zur Beseitigung vermeidbarer Schäden in der Gesundheitsversorgung“. Seine Aufgabe ist es

„auf der Grundlage von Wissenschaft, Patientenerfahrungen, Systemgestaltung und Partnerschaften Konzepte, Strategien und Aktionen voranzutreiben, um alle Quellen vermeidbarer Risiken und Schäden für Patientinnen und Patienten und Beschäftigte im Gesundheitswesen zu beseitigen“ (Bundesministerium für Gesundheit 2021).

Patientenschäden verursachen neben Schmerz und persönlichem Leid auch hohe finanzielle Kosten. Insgesamt deuten die verfügbaren Berechnungen darauf hin, dass 13% der gesamten Gesundheitsausgaben in den Industrienationen eine direkte Folge von unerwünschten Ereignissen sind (OECD 2020).

Patientensicherheit erfordert Systeme, Maßnahmen und Praktiken im Gesundheitswesen, die darauf abzielen, der Sicherheit von Patientinnen und Patienten Priorität einzuräumen, damit sie im Gesundheitswesen, das ihnen helfen soll, nicht zusätzlich zu Schaden kommen.

Bei der Behandlung von 20 Millionen Krankenhauspatientinnen und -patienten im Jahr sind mehr als die Hälfte bzw. bis zu drei Viertel der dort auftretenden unerwünschten Ereignisse vermeidbar – also 500.000 bis 1,5 Millionen Vorkommnisse (Schrappe 2018). Diese alarmierende Zahl unterstreicht die Dringlichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, um nicht nur die Qualität der Versorgung zu messen und zu verbessern, sondern insbesondere auch die Sicherheit der Versorgung deutlich in den Vordergrund zu stellen. Dafür ist es wichtig, das Thema der Patientensicherheit auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung mitzudenken und eben auch Patientinnen und Patienten damit vertraut zu machen.

Wir müssen darüber reden, ehrlich sein, Transparenz fordern und die Patientinnen und Patienten darin stärken, was sie selbst zu ihrer Sicherheit und zur Stärkung ihrer Rechte beitragen können. Irren ist menschlich, doch die evaluierten Maßnahmen für Patientensicherheit nicht umzusetzen, ist gegenüber den Patientinnen und Patienten fahrlässig. Die Wissensexplosion kann dabei klar eine gute Helferin für mehr Patientensicherheit darstellen.

Die Maßnahmen für Patientensicherheit nicht umzusetzen, ist gegenüber den Patientinnen und Patienten fahrlässig und respektlos

Chancen der Wissensexplosion im Gesundheitswesen

Die Wissensexplosion im Gesundheitswesen bringt zahlreiche Vorteile mit sich.

Online-Ressourcen vereinfachen den Zugriff und befähigen Patientinnen und Patienten: Durch die Digitalisierung und den Einsatz von KI werden medizinische Informationen und Ressourcen für Patientinnen und Patienten leichter zugänglich. Patientinnen und Patienten können jetzt auf eine Fülle von Online-Ressourcen zugreifen, um sich über ihre Gesundheitszustände, Behandlungsoptionen und Präventionsmaßnahmen zu informieren. Dies ermöglicht eine aktive Beteiligung von Patientinnen und Patienten an ihrer eigenen Gesundheitsversorgung und stärkt ihre Autonomie.

Frühere Intervention durch eigenständige Recherche: Schon bei ersten Symptomen kann eine Suchmaschine befragt werden, um Erkrankungen ohne weitere ärztliche Intervention mit Hausmitteln oder einer medikamentösen Beratung aus der Apotheke zu behandeln oder um früh Anzeichen einer ernsten Erkrankung festzustellen und ärztlich abklären zu lassen. Darüber hinaus bieten digitale Gesundheitsplattformen und mobile Gesundheits-Apps personalisierte Gesundheitsinformationen und unterstützen Patientinnen und Patienten bei der Kontrolle und Pflege ihres physischen Zustands.

Effizientere Gesundheitsversorgung durch KI: KI-basierte Diagnosesysteme können dabei helfen, Krankheiten frühzeitig zu diagnostizieren und individuelle Behandlungspläne zu erstellen, was die Effizienz und Wirksamkeit der Gesundheitsversorgung verbessert. Wissen ist dadurch schneller verfügbar und kann in „Peer Groups“ schneller verbreitet werden.

Neues Wissen gerät schneller in Umlauf: In Foren und anderen Social-Media-Plattformen wird den Patientinnen und Patienten ein aktiver Austausch mit Mitbetroffenen ermöglicht, was nicht nur weitere Behandlungsoptionen aufweisen, sondern auch das Gefühl von Einsamkeit in der Erkrankung reduzieren kann. Wissen kann auch in diesen digitalen Peergroups wesentlich schneller verbreitet werden als in einer prä-digitalen Behandlungssituation. Das zeichnet sich ebenso in der Forschung ab. Beispielsweise kann durch das Veröffentlichen von digitalen Papers und Studienergebnissen global ohne viel Mehraufwand oder Zeitverzögerung die Wissensexplosion aktiv mit weiterem Material befeuert werden.

Risiken der Wissensexplosion im Gesundheitswesen

Die Flut von Informationen kann zu Verwirrung und Fehlinformationen führen.

Trotz der vielen Vorteile bringt die Wissensexplosion im Gesundheitswesen auch Risiken mit sich, insbesondere im Hinblick auf die Health Literacy der Patientinnen und Patienten.

Fehlinformationen führen zu Fehleinschätzungen: Die Flut von Informationen, die oft unzureichend überprüft oder sogar irreführend sein können, kann zu Verwirrung und Fehlinformationen führen. Patientinnen und Patienten könnten Schwierigkeiten haben, zwischen vertrauenswürdigen und unzuverlässigen Quellen zu unterscheiden, was ihre Fähigkeit beeinträchtigen kann, fundierte Entscheidungen über ihre Verfassung zu treffen. Daher sind vertrauenswürdige und unabhängige Quellen, die gut erkennbar und neutral sind, wichtig für eine Orientierung und das Einholen sicherer Informationen.

Mehr eigenständiges Wissen als professionelle Behandlung: Ferner kann die Abhängigkeit von digitalen Gesundheitsplattformen und KI-basierten Diagnosesystemen zu einer Entfremdung von traditionellen ärztlichen Konsultationen führen. Wenn Patientinnen und Patienten blind auf Technologie vertrauen, könnten wichtige Aspekte der persönlichen Betreuung und des menschlichen Urteils vernachlässigt werden, es kann zu Konflikten und Missverständnissen kommen, was insgesamt die Qualität der Gesundheitsversorgung beeinträchtigen könnte.

Umgang mit den Chancen und Risiken der Wissensexplosion

Die Wissensexplosion im Gesundheitswesen hat direkte Auswirkungen auf und bietet gleichzeitig Potenziale für die Patientensicherheit.

Entwicklungen der Wissensexplosion durch Digital Health Literacy nutzen lernen: Einerseits können digitale Tools und KI dazu beitragen, Fehler in der Diagnose und Behandlung zu reduzieren, indem sie präzisere und schnellere Entscheidungen ermöglichen. Andererseits besteht jedoch das Risiko, dass fehlerhafte oder unzureichende Informationen zu falschen Schlussfolgerungen und Behandlungen führen. Es ist daher entscheidend, dass Patientinnen und Patienten über ausreichende Digital Health Literacy verfügen, um die Informationen, die sie erhalten, kritisch zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu treffen. Auch auf diesem Feld gibt es einen Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz, im Rahmen dessen Health Literacy Surveys erhoben und Handlungsempfehlungen erstellt werden.

Durch Aufklärung und Kennzeichnungen Gesundheitsinformationen richtig einschätzen lernen: Gesundheitsdienstleister müssen sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten angemessen über die Verwendung von digitalen Gesundheitsplattformen und KI informiert werden und dass sie weiterhin eine persönliche Betreuung und Beratung erhalten, um die Sicherheit und Wirksamkeit ihrer Behandlungen zu gewährleisten. Gütesiegel wie der Health On The Net (Hon) Code, der leider 2022 eingestellt wurde, oder das Afgis Siegel sowie andere validierte Instrumente, die Kriterien für die Bewertung der Gesundheitsinformationen beinhalten, können hier eine große Hilfe sein und müssen für eine sichere Behandlung konstant in Hinblick auf digitale Trends weiterentwickelt werden. Eine einheitliche und klar erkennbare Kennzeichnung von validierten Gesundheitsinformationen wird aktuell noch nicht vorgeschrieben oder umgesetzt. Generell bietet gesund.bund.de, das Portal des Bundesministeriums für Gesundheit, verlässliche Gesundheitsinformationen zu Krankheiten, Vorbeugung, Pflege und Gesundheit in digitaler Form.

Balance zwischen eigenständiger und interpersoneller Behandlung finden: In einer Zeit, in der die Wissensexplosion im Gesundheitswesen unaufhaltsam voranschreitet, ist eine ausgewogene Integration von Technologie und menschlicher Fürsorge entscheidend, um die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten zu stärken und Patientensicherheit zu gewährleisten. Ein wichtiger zentraler Faktor zur Erhöhung von Patientensicherheit ist die aktive Einbindung von Patientinnen und Patienten in die Gesundheitsversorgung. Deshalb sind das Wissen und die für die Patientinnen und Patienten aufbereiteten Informationen essenziell. Patientinnen und Patienten sollen ermutigt werden, sich aktiv an ihrer Behandlung zu beteiligen und jederzeit Fragen zu stellen. Eine offene und transparente Kommunikation zwischen Patientinnen und Patienten und dem Gesundheitspersonal trägt dazu bei, behandlungsbedingte Schäden zu vermeiden und eine sichere medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Patientinnen und Patienten stärken, um Patientensicherheit zu erhöhen: Um Patientinnen und Patienten zu motivieren, sich überhaupt mit Patientensicherheit auseinanderzusetzen, längst bevor Probleme in der Gesundheitsversorgung auftauchen, können Projekte wie Stimmen für Patientensicherheit (Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. 2024) eine wichtige Rolle einnehmen. Stimmen für Patientensicherheit macht niedrigschwellig auf das Thema Patientensicherheit aufmerksam und zeigt auf, dass es schnell passieren kann, dass Dinge in der Gesundheitsversorgung nicht so laufen wie gedacht und dass es sich lohnt, sich selbst in den Versorgungsprozess einzubringen, dranzubleiben und seine Interessen zu vertreten. Die Erfahrungsberichte von Stimmen für Patientensicherheit verdeutlichen, dass nicht nur jede Ebene des Gesundheitswesens – vom lokalen Team bis zum Ministerium – dazu beitragen kann, eine aufrichtige Sicherheitskultur zu gestalten. Die Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen können und sollen darüber hinaus auch selbst eine wichtige Position dabei einnehmen, auch durch eigene Recherchen von Behandlungsoptionen und proaktive Vorschläge.

Es lohnt sich, sich selbst in den Versorgungsprozess einzubringen.

Internationale Vorbilder nutzen, um Digital Health Literacy in Deutschland zu verbessern: Es gibt außerdem konkrete Programme, die darauf abzielen, Patientinnen und Patienten dabei zu helfen, medizinische Studien zu lesen und zu verstehen, um aktiv in den Prozess der Gesundheitsversorgung eingebunden zu werden und damit die Patientensicherheit zu verbessern. Zu nennen wären:

  • Understanding Medical Research, ein Online-Kurs, der von der University of Oxford angeboten wird und sich an Patientinnen und Patienten und Laien richtet und eine Einführung in die Grundlagen der medizinischen Forschung und das Lesen wissenschaftlicher Studien bietet.
  • Das Patient-Centered Outcomes Research Institute (Pcori) fördert die Patientenbeteiligung an der Forschung und bietet Ressourcen und Schulungen für Patientinnen und Patienten an, um sie dabei zu unterstützen, Studienergebnisse zu verstehen, und um sie in die Entscheidungsfindung in Bezug auf ihre Gesundheitsversorgung einzubeziehen.
  • Understanding Health Research ist ein Online-Tool der University of Minnesota, das Patientinnen und Patienten dabei hilft, medizinische Studien zu verstehen.

Dies sind einige internationale Beispiele, die als Vorbilder für die Umsetzung von entsprechenden Tools in Deutschland dienen können. Solche Programme und Ressourcen wären wichtige Schritte, um die Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten zu verbessern und sie dabei zu unterstützen, fundierte Entscheidungen über ihre Gesundheitsversorgung zu treffen, was letztendlich die Patientensicherheit fördert.
1.5. Patientinnen und Patienten

Patientinnen und Patienten als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Gesundheitsversorgung

Patientinnen und Patienten durchlaufen im Rahmen ihrer Behandlung das komplexe Gesundheitssystem, sind Expertinnen und Experten ihrer eigenen Krankheitshistorie und in der Regel die einzigen konstanten Personen im Behandlungsprozess. Viele Patientinnen und Patienten zögern, Unklarheiten oder Bedenken während ihrer Behandlung anzusprechen, obwohl sie aufgrund ihres Vorwissens oft Fehler erkennen, bevor sie passieren. Sie vertrauen in der Regel den Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden und dem medizinischen Fachpersonal und möchten nicht konfrontativ erscheinen.

Patientinnen und Patienten sollten in ihrer Stimme und ihren Rechten gestärkt werden. Der Globale Aktionsplan Patientensicherheit 2021–2030 führt hierzu aus:

„Die Einbeziehung und Befähigung der Patientinnen und Patienten ist vielleicht das wirksamste Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit.“ (Bundesministerium für Gesundheit 2021)

Eine Wissensexplosion im Gesundheitswesen, die positiv im Sinne der Patientensicherheit wäre, sähe so aus (Hecker 2023):

Als Patientin oder Patient habe ich Zugang zu der Versorgung, die zu mir, meinen Lebensumständen und meiner Erkrankung passt. Ich erhalte qualifizierte, verständliche Gesundheitsinformationen, und über krankheitsbezogene digitale Anwendungen kann ich meine Krankheit besser verstehen. Bezüglich der Diagnostik und Therapie wird es mir ermöglicht, informierte Entscheidungen auf Augenhöhe mit den Ärztinnen und Ärzten zu treffen. Meine Termine beim Arzt oder der Ärztin vereinbare ich online. Herz- und Lungenleistung werden zuhause über telemedizinische Anwendungen gemessen und in Realzeit an das Gesundheitspersonal übermittelt. Und alle Daten der Entscheidung und der Behandlung liegen gesammelt an einem Ort und können von mir und dem Gesundheitspersonal jederzeit und überall eingesehen werden. Auch die Daten der unterschiedlichen Apps und Wearables, die ich nutze, fließen mit ein.

Ich werde zu jeder Zeit an jedem Ort durch Erinnerungsfunktionen an wichtige Dinge, zum Beispiel die Medikamenteneinnahme, das Messen von Vitalparametern oder auch an regelmäßiges Trinken und Essen, erinnert. Ich erhalte auf mich zugeschnittene Begleitinformationen, wie ich selbst die Krankheit beeinflussen und was ich zur Krankheitsbewältigung beitragen kann. Ich habe die Möglichkeit, mich online mit weiteren Betroffenen darüber auszutauschen. Wenn sich kurzfristig Fragen ergeben, können diese per Messengerdienst oder über eine digitale Plattform per Videokonferenz als medizinische Konsultation geklärt werden. Über die Informationen, die ich erhalte, bin ich aktiver Partner oder Partnerin an meinem Behandlungsprozess, meine Kompetenz steigt. Durch die telemedizinische Erfassung von Daten und die Videokonsultationen habe ich weniger Wegezeit, ich muss seltener eine Arztpraxis, ein Medizinisches Versorgungszentrum oder ein Krankenhaus aufsuchen. Aufgrund der Daten – aufbereitet durch Künstliche Intelligenz und die Errechnung meines individuellen Risikoscores für andere Erkrankungen – werde ich darauf hingewiesen, dass ich eine neue Untersuchung benötige, um möglichen neuen Krankheiten frühzeitig zu begegnen.

Eine Zukunftsplattform, die das Wissen für einzelne Patientinnen und Patienten validiert und strukturiert, hat die Bertelmann Stiftung auf dem Weg gebracht, das Trusted Health Ecosystem.

Die Wissensexplosion im Sinne der Patientensicherheit könnte mittels der Digitalisierung morgen Realität werden.

Patientensicherheit als eigenständiges Ziel und zentralen Wert im Gesundheitswesen verankern

Nach OECD-Studien gibt es bei 20 Millionen Krankenhauspatientinnen und -patienten im Jahr etwa 2 Millionen unerwünschte Ereignisse – schädliche Vorkommnisse, die eher auf der Behandlung beruhen als auf der Erkrankung. Davon lassen sich mehr als die Hälfte vermeiden (Schrappe 2018). Bei 718 Millionen ambulanten Behandlungen kommt es in jedem fünften Fall ebenfalls zu unerwünschten Ereignissen. Die Vermeidbarkeit beträgt hier über 80 Prozent (Härtel 2022).

Die Hauptfehlerursachen – fehlende Kommunikation und fehlende Information – können durch die Digitalisierung und die Wissensexplosion beseitigt werden.

Daten sind in der Wissensexplosion essenziell, durch sie kann konstant weiteres Wissen generiert werden. Ebenso essenziell ist es im Rahmen der Patientensicherheit, Daten, die helfen können, die richtige Behandlung zu finden, öffentlich zugänglich zu machen. Auch alle Patientendaten müssen an einem Ort gespeichert und sowohl zeit- als auch ortsunabhängig zugänglich sein – selbstverständlich nicht für alle. Der Schutz der Daten vor unbefugtem Zugriff ist ebenso wichtig. Durch eine Anonymisierung können aber auch diese Daten für die Patientensicherheit langfristig genutzt werden, um Missstände aufzudecken und Häufungen von patientensicherheitsrelevanten Ereignissen zu erkennen und frühzeitig zu verhindern.

Datenschutz ist gesetzlich verankert. Patientensicherheit ist es nicht. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit setzt sich dafür ein, dass sich dies ändert. Es sollte im Interesse aller sein, nicht zuzulassen, dass Datenschutz Patientensicherheit verhindert. Daher werden wir als Aktionsbündnis Patientensicherheit nicht aufhören, Patientensicherheitsverantwortliche in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens zu fordern.

Jede vermiedene Patientenschädigung entlastet Betroffene, Behandelnde und die gesamte Gesellschaft.

Hinweis: Eine Checkliste für die Nutzung von Gesundheits-Apps kann helfen, Orientierung zu geben bei digitalen Anwendungen in der Gesundheitsversorgung. Eine solche Checkliste stellt das Aktionsbündnis Patientensicherheit unter folgender Adresse zur Verfügung: www.aps-ev.de/app-checkliste/

Literatur

Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (2024) Stimmen für Patientensicherheit. URL: https://stimmen-fuer-patientensicherheit.de/ (abgerufen am 12.04.2024)

Ausschuss für Verkehr und Tourismus (2021) Bericht über den EU-Politikrahmen für die Straßenverkehrssicherheit im Zeitraum 2021 bis 2030 – Empfehlungen für die nächsten Schritte auf dem Weg zur „Vision Null Straßenverkehrstote“. URL: www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0211_DE.html (abgerufen am 09.04.2024)

Bundesministerium für Gesundheit (2021) Globaler Aktionsplan für Patientensicherheit 2021–2030. Auf dem Weg zur Beseitigung vermeidbarer Schäden in der Gesundheitsversorgung. URL: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/P/Patientensicherheit/WHO_Global_Patient_Safety_Action_Plan_2021-2030_DE.pdf (abgerufen am 09.04.2024)

Härtel I (2022) Ökonomie und Sicherheit – warum Patientensicherheit ökonomisch sinnvoll ist. In: Hecker R, Aktionsbündnis Patientensicherheit (Hrsg.) Risiko- und Sicherheitskultur im Gesundheitswesen. 21–29. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin.

Hecker R (2023) Einfach mal machen. URL: https://www.faz.net/asv/digitalisierung-und-ki-in-der-medizin/einfach-mal-machen-19251000.html (abgerufen am 17.06.2024)
Impey B (2024) Anzahl der Getöteten bei Straßenverkehrsunfällen in Deutschland von 1950 bis 2023. URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/185/umfrage/todesfaelle-im-strassenverkehr/ (abgerufen am 09.04.2024)

OECD (2020) The Economics of Patient Safety. From Analysis to Action. URL: https://www.oecd.org/health/health-systems/Economics-of-Patient-Safety-October-2020.pdf (abgerufen am 09.04.2024)

Schrappe M (2018) APS-Weißbuch Patientensicherheit. Sicherheit in der Gesundheitsversorgung: neu denken, gezielt verbessern. Hrsg. vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin. URL: https://www.aps-ev.de/wp-content/uploads/2018/08/APS-Weissbuch_2018.pdf (abgerufen am 09.04.2024)