Teilhabe am medizinischen Fortschritt
durch Datenspende und
Datennutzung – eine Abwägung
Eckhard Nagel, Alisa Bader und
Georg Ludwig Lindinger

Die Autor:innen

Prof. Dr. Dr. med. habil. Dr. phil. Dr. theol. h.c. Eckhard Nagel

Eckhard Nagel ist seit 2001 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Universität Bayreuth. Daneben war er bis 2010 Leiter des Transplantations- und Chirurgischen Zentrums des Klinikums Augsburg sowie bis 2015 Ärztlicher Direktor und Vorsitzender des Universitätsklinikums Essen. Er trägt die gesamtärztliche Leitung (Primarius) der Sonderkrankenanstalt „Ederhof“ Lienz, Tirol. Eckhard Nagel war Gründungsmitglied des Nationalen Ethikrats und des Deutschen Ethikrats und ist Mitglied sowie Vorstand des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Schwerpunkte seiner Tätigkeiten sind: Durchführung und Begleitung komplexer Forschungsinitiativen in den Bereichen Public Health, Digital Health, Prävention und Gesundheitsförderung sowie die Untersuchung komplexer ethischer Fragestellungen.

Alisa Bader, M.Sc.

Alisa Bader studierte Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth und ist seit 2021 am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin tätig. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Anwendung von E-Health-Technologien zur Steigerung der Effizienz, Verbesserung der Diagnosegenauigkeit und Erweiterung des Zugangs zur medizinischen Versorgung. Ihr Fokus liegt dabei insbesondere auf ländlichen und abgelegenen Gebieten, mit dem Ziel integrative und patientenzentrierte Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.

Georg Ludwig Lindinger, M.A.

Georg L. Lindinger studierte Religionswissenschaft und -soziologie, Kulturwissenschaft und Ethnologie in Bayreuth. Er spezialisierte sich auf qualitative sozialwissenschaftliche Methoden und die interdisziplinäre Verknüpfung empirischer Forschung mit ethischen Fragestellungen. Hierbei liegt der inhaltliche Forschungsschwerpunkt auf ethischen Fragestellungen zu Digitalisierung im Gesundheitswesen, zum Einsatz Künstlicher Intelligenz sowie den Veränderungen des Menschenbildes in einer digitalisierten Welt. Georg L. Lindinger arbeitet seit 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth.

Digitalisierung und gezielte (sekundäre) Datennutzung erlauben durch Personalisierung und effektive Translationale Medizin ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Gesundheitswesen, welches im Idealfall Gesundheit ganzheitlich betrachtet und das Wohl des Patienten bzw. der Patientin ins Zentrum stellt. Um die medizinische Versorgung kontinuierlich zu verbessern, sind Erkenntnisse aus der vielfältigen medizinischen Forschung von zentraler Bedeutung. Ein viel diskutierter Ansatz zur Nutzung dieser Erkenntnisse ist die Verwendung ‚gespendeter‘ Daten, sowohl in der gesundheitsbezogenen und medizinischen Forschung als auch in Versorgung und Politik (vgl. Bundesgesundheitsministerium 2024). Die sinnvolle Zusammenführung und Analyse von Gesundheitsdaten ebnet den Weg zu einem digitalen Gesundheitswesen der Zukunft. Dies ist nur durch ihre vielfältige Verfügbarkeit und durch eine stringente Kontrolle möglich. Der vorliegende Beitrag setzt sich zum Ziel, knapp in die Diskussion um Datenspende und sekundäre Datennutzung einzuführen und wesentliche damit verbundene ethische Fragestellungen zu adressieren. Fokus soll hierbei sein, dafür zu argumentieren, ethische Reflexion auch im Sinne einer Ermöglichung und Verbesserung zu betrachten, und die dafür notwendigen Maßnahmen einzufordern.

Die Datenspende in der Medizin: Bedeutung und Status quo

Die Bundesregierung hat eine Vielzahl von Strategien und Gesetzen verabschiedet, um den digitalen Wandel im Gesundheitswesen zu gestalten und zu regulieren, wie z.B. das Gesundheitsdatennutzungsgesetz oder die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Letztere regelt generell die Verarbeitung von personenbezogenen Daten, also Daten, die sich auf identifizierte oder identifizierbare natürliche Personen beziehen.

Ein Großteil der täglich generierten Daten bleibt bisher ungenutzt.

Trotz der gesetzgeberischen Bemühungen bleibt dennoch ein bedeutender Teil der täglich generierten Daten, auch aufgrund fehlender Patienteneinwilligungen, ungenutzt. Sie entstehen in mannigfaltigen Kontexten im Gesundheitswesen wie bspw. in Krankenhäusern, in Arztpraxen, bei Psychologinnen und Psychologen, in Apotheken, bei (Kranken )Versicherungen oder werden durch die Patientinnen und Patienten bspw. durch Wearables selbst erfasst. Die Daten werden dabei zwar oft gesammelt und digital gespeichert, sind für Forschungszwecke jedoch meist gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zugänglich.

Eine sogenannte Spende von Patientendaten für die Forschung würde die Datenverfügbarkeit für Forschende und damit auch die Qualität der Forschung maßgeblich verbessern (Strech et al. 2020, S. 9ff.). Durch die zunehmende Digitalisierung sind die Datenerzeuger im Gesundheitswesen meist bereits heute technisch in der Lage, ihre elektronischen Behandlungsinformationen der Forschung zu überlassen. Zudem streben moderne Informationsinfrastrukturen danach, Forschungsergebnisse effizient in die klinische Praxis zu integrieren. Der große Vorteil dieser Daten liegt neben ihrer Masse insbesondere in ihrer Aggregier- und Zusammenführbarkeit und den damit verbundenen neuen und verbesserten Einsichten und Erkenntnissen. Jedoch stehen der Durchsetzung in Deutschland dabei erhebliche Hindernisse im Weg.

Die Potenziale der Datenspende für Forschung und Medizin sind enorm. Die Einbindung der Möglichkeit von Spenden oder gar verpflichtender Maßnahmen wie beispielsweise „Opt-out“-Lösungen erfordert eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über den Umgang mit zukünftiger datenbasierter Medizin, die über neue Einwilligungsmodelle und Partizipationsformate hinausgeht.

Datennutzung als Treiber des Fortschritts: Verantwortung für das Gemeinwohl

Die erheblichen Möglichkeiten der Nutzung digitaler Daten im Gesundheitswesen basieren auf der enormen Masse verfügbarer Daten, die kontinuierlich zunimmt, sowie auf fortschrittlichen Technologien zur Strukturierung und Standardisierung ebendieser. Datennutzung, insbesondere durch Anwendungen im Bereich von Big Data und Künstlicher Intelligenz (KI), ermöglicht neue Diagnose- und Therapieansätze. Dadurch transformiert sich das aktuell auf kurative Behandlungen ausgerichtete Gesundheitswesen zunehmend zu einer Präzisionsmedizin, die auf intelligente Prävention von Erkrankungen und frühzeitige Intervention abzielt und zudem individuell angepasst werden kann (Dössel u. Lenarz 2023, S. 13).

Die Erwartungshaltung der Gesellschaft an den fortwährenden medizinischen Fortschritt und eine verbesserte Gesundheitsversorgung ist hoch. Die Teilhabe daran durch Datenspende und sekundäre Nutzung bietet zahlreiche Vorteile. Individuell ermöglicht sie personalisierte Behandlungsansätze und verbesserte Diagnosen. Auf systemischer Ebene eröffnet sie die Möglichkeit zur Entwicklung neuer Strategien im Gesundheitswesen, die auf umfassenden Datensätzen basieren.

Durch die Sekundärdatennutzung könnte in der klinischen Forschung die Durchführbarkeit von Studien besser eingeschätzt werden, indem beurteilt wird, ob ausreichend viele Studienteilnehmende für bestimmte Krankheitsbilder zur Verfügung stehen. Für die epidemiologische Forschung ermöglicht die Auswertung von Versorgungsdaten im Rahmen von Big Data die Identifizierung von Entwicklungsparametern sowie Risiken, die als Grundlage für eine thesengeleitete Evaluation dienen. Auch die Versorgungsforschung würde von der Sekundärdatennutzung profitieren, indem reale Daten aus der medizinischen Versorgung zur Bewertung von Prozessen, Dienstleistungen und Richtlinien herangezogen werden (Lesch et al. 2022, S. 211f.).

Beispiele für eine Sekundärnutzung von Patientendaten für wissenschaftliche Zwecke sind:

  • Klinische Forschung: Bewertung der Machbarkeit gezielter prospektiver oder retrospektiver Studien. Auswahl geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten und direkter Kontakt mit möglichen Studienteilnehmenden.
  • Epidemiologische Forschung: Neben Patientendaten aus der klinischen Ver- sorgung sind auch außerhalb dieses Kontexts erhobene Gesundheits- und Lifestyle-Daten von Bedeutung. Diese können gezielt für die Hypothesen- generierung verwendet werden.
  • Versorgungsforschung: Einbindung realer Daten aus der medizinischen Ver- sorgung zur Bewertung von Prozessen, Dienstleistungen und Richtlinien.
  • Zugriff auf weitere Erkenntnisse durch intensive Big-Data-Nutzung (bspw. Verhaltensforschung, Alltagsbeobachtungsstudien etc.).

Insgesamt betrachtet ermöglicht es die elaborierte Datenwissenschaft im Gesundheitswesen, nahezu alle relevanten Bereiche der Forschung und Versorgung zu verbessern und zu unterstützen – bspw. Diagnostik, klinische Entscheidungsfindung, personalisierte Medizin, klinische Forschung, Arzneimittelentwicklung, Verwaltungsprozesse und gesundheitliche Ungleichheiten (McLennan 2022, S. 58). Einer der hierfür wesentlichen Aspekte ist die zunehmende Nutzung der großen Menge routinemäßig erhobener digitaler Gesundheitsdaten und deren Aggregation und Verarbeitung in „lernender“ Weise durch neue Hochtechnologie, insbesondere Operationen unter Hinzunahme Künstlicher Intelligenz. Diese ermöglichen hoch skalierte und in mehrdimensionaler Weise verarbeitete Analysen heterogener Datenquellen (McLennan 2022, S. 57f.; Deutscher Ethikrat 2023).

Dennoch sind, obwohl eine Vielzahl von Datenquellen im Gesundheitswesen existiert, die Daten häufig wenig strukturiert, kaum standardisiert und in verschiedenen Systemen und Organisationen fragmentiert (Lesch et al. 2022, S. 212). Zudem haben Gesundheitsorganisationen in Deutschland oft nicht die nötige digitale Infrastruktur, um die benötigten Daten ausreichend zu erfassen und weiterzuverarbeiten. Die Daten sind meist in isolierten Systemen innerhalb der Organisationen gespeichert, was jeglichen Austausch erheblich erschwert. Zudem können unterschiedliche Datenschutzbestimmungen und Einwilligungsanforderungen diesen Prozess behindern.

Es muss rechtlich und ethisch vertretbar geregelt sein, wer die Entscheidungsbefugnis über Daten hat.

Um die Nutzungsmöglichkeiten der Daten für die Gesundheitsforschung voll auszuschöpfen, sind umfangreiche Investitionen in deren Verfügbarkeit, Vernetzung und Nutzbarkeit erforderlich. Zudem muss ein rechtlicher und ethisch vertretbarer Rahmen geschaffen werden, der regelt, wer Zugang zu den Daten hat, wie sie verwendet werden dürfen und wer die Entscheidungsbefugnis darüber besitzt. Dabei stehen Datenschutz und Datensicherheit an oberster Stelle. Ein Ansatz, welcher gegenwärtig (2018–2026) versucht, Routinedaten der klinischen Versorgung für die medizinische Forschung in Deutschland verfügbar zu machen, ist die Medizininformatik-Initiative (MII), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Medizininformatik-Initiative 2020). Hierzu wird an über 30 Standorten der Hochschulmedizin zusammen mit beteiligten Unternehmen, Krankenversicherungen und Patientenvertretern daran gearbeitet, die notwendigen Bedingungen für den Datenaustausch zu realisieren.

Angesichts der mannigfaltigen Vorteile und der erwartbaren positiven Auswirkungen auf die Gesundheit und die allgemeine Versorgung muss die ethische Dimension einer Nutzung, aber auch der Nicht-Nutzung der Technologien und Daten sorgfältig betrachtet und abgewogen werden.

Ist es ethisch vertretbar, auf die Nutzung von Daten zu verzichten, wenn erwartet werden kann, dass daraus ein wesentlicher gesellschaftlicher oder individueller Nutzen erwächst?

Hierbei sei an dieser Stelle an die Überschneidung einzelner Aspekte mit der Debatte über die komplexe ethische Fragestellung der Organspende verwiesen. Um eine positive Veränderung des Dokumentationsproblems zu erreichen, wurde und wird mit unterschiedlichen Ansätzen – erweiterte Zustimmungslösung, Entscheidungspflichtlösung, Widerspruchslösung – und mit mannigfaltigen Argumenten breit diskutiert und gerungen. Die Ähnlichkeit entsteht vor allem hinsichtlich der immer offensichtlicher werdenden Vorteile der extensiven Datenaggregation, -analyse und -verwendung im Gesundheitswesen, deren (Sekundär )Nutzung potenziell Leben retten und das Wohlergehen vieler Individuen verbessern kann.

Es ist zu prüfen, ob eine ethische Verantwortung besteht, die Nutzung von persönlichen Gesundheitsdaten zu ermöglichen.

Daher erscheint es notwendig, die Diskussion zu führen, ob und in welcher Weise eine ethisch begründete Verantwortung und gegebenenfalls Verpflichtung zur Ermöglichung der Nutzung von persönlichen (Gesundheits )Daten, besteht. Dies ist bereits ein wesentlicher Schritt hin zu einer Verbesserung des Status quo. Die Datenspende ist dabei Teil des Spannungsfelds zwischen individuellen (Schutz )Interessen und dem durch die verbesserte Gesundheitsversorgung erhöhten Gemeinwohl. Dies impliziert nicht nur die Frage, wie die Freigabe persönlicher Daten für Forschungs- und Versorgungszwecke gestaltet werden kann, sondern auch in welchem Bewusstsein wir die Bedeutung von Daten für das Gesundheitswesen und die Gesellschaft allgemein betrachten und bewerten möchten.

Datenschutz im digitalen Zeitalter: Fortschritt und ethische Verantwortung in Einklang bringen

Nicht zuletzt durch die Stellungnahme „Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung“ des Deutschen Ethikrats wurde der Begriff „Datenspende“ in Deutschland extensiv thematisiert (Deutscher Ethikrat 2017). Laut dem Deutschen Ethikrat bedeutet eine Datenspende, dass man nach gründlicher Aufklärung zu einem bestimmten Zeitpunkt der Verwendung persönlicher Daten für medizinische oder medizinbezogene Forschungszwecke zustimmt. Im Gegensatz zur herkömmlichen Einwilligung zeichnet sich die Datenspende durch eine flexiblere Zweckbindung aus. Der Deutsche Ethikrat legt jedoch in seinen Ausführungen keine konkreten Anforderungen fest, was die zeitliche Dauer oder den Umfang und die Art der gespendeten Daten betrifft.

Ethik bedeutet nicht nur Schutz vor negativen Auswirkungen, sondern auch Ermöglichung und Zugänglich-Machen von bestehenden Erkenntnissen. Dies beinhaltet eine vielschichtige Verantwortung. Ein Vorenthalten von neuem Wissen und die Verhinderung (technischer) Verbesserungen haben ebenso (ethische) Konsequenzen wie ein unzureichender Schutz.

Die rechtlichen Vorgaben in Deutschland sind zersplittert, was häufig zu Unübersichtlichkeit führt und die praktische Umsetzung kompliziert macht. Dennoch gilt für alle Vorschriften, dass die Nutzung von Daten ohne Zustimmung der Betroffenen nur in Ausnahmefällen und nach sorgfältiger Abwägung der Interessen erlaubt ist (Strech et al. 2020, S. 45ff.). Laut Verfassungsrecht besteht in Deutschland zum einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (GG Art. 2 Abs. 1) und zum anderen auch die Wissenschaftsfreiheit (GG Art. 5 Abs. 3), welche beide Berücksichtigung finden müssen. Ergänzend dazu gibt es auf europäischer Ebene einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Verarbeitung personenbezogener medizinischer Daten. Laut Artikel 6 der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679), ist die Verarbeitung der Daten entweder nur mit Zustimmung des Betroffenen zulässig oder wenn die Forschung im öffentlichen Interesse liegt und die Bedingungen des EU- oder nationalen Rechts erfüllt sind (Lesch et al. 2022, S. 214).

Wesentlich für die Datenspende ist jedoch, dass die DSGVO eine Ausnahme für die Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Forschungszwecken erlaubt (Artikel 9(2)), und zwar auch ohne Einwilligung, sofern angemessene Schutzmaßnahmen wie die Pseudonymisierung getroffen werden. Trotz dieser Regelung sind Forschende und Forschungseinrichtungen zögerlich, diese Möglichkeit zu nutzen, nicht selten aus der Ansicht heraus, dass nationale Behörden ihnen Steine in den Weg legen könnten (McLennan 2022, S. 64).

Kleinteilige datenschutzrechtliche Hürden müssen überwunden werden, um die Verknüpfung vorhandener Datenbestände zu ermöglichen.

Die Nutzung und insbesondere die Verknüpfung vorhandener Datenbestände kann durch kleinteilige datenschutzrechtliche Hürden daher stark erschwert oder gar verhindert werden. Eine Zusammenführung der rechtlichen Bestimmungen und insbesondere eine damit abgestimmte Einwilligungsmöglichkeit für Bürgerinnen und Bürger und Patientinnen und Patienten im Rahmen einer Datenspende wäre ein wertvoller Beitrag zur Vereinfachung der Verfahren. So könnten mehrere Gesundheitsdatenbestände gleichzeitig für medizinische Forschungsprojekte freigegeben werden (Strech et al. 2020, S. 41).

Dem Gutachten von Strech et al. (2020) folgend sind drei Wege für eine Datenspende möglich:
Erstens darf jede befähigte Person selbstbestimmt nach vorheriger Aufklärung über Zwecke, Umfang und Art der Verwendung eine Verarbeitung medizinischer Daten gestatten.
Zweitens kann der Gesetzgeber auf Grundlage der oben erwähnten Ausnahme von Artikel 9 eine Datennutzung zur Forschung unabhängig vom Willen der Patientinnen und Patienten ermöglichen. Beispiele hierfür sind einzelne Landeskrankenhausgesetze und Registergesetze. Dies betrifft bspw. die Forschung mit den Sozialdaten der Krankenkassen nach SGB V.
Die dritte Möglichkeit ist eine Mischung aus den ersten beiden. Man greift auf die Gesetze zurück und fragt zudem die potenziellen Datenspenderinnen und Datenspender (Opt-in) oder ermöglicht zumindest einen Widerspruch (Opt-out) (Lesch et al. 2022, S. 222f.).

Bewertung anhand ethisch relevanter Prinzipien: Eine Abwägung

Um eine Einordnung vornehmen zu können, muss zunächst geklärt werden, welche Voraussetzungen für eine Spende, hier eine Datenspende, gelten. Wesentlich ist, dass die Spende keine direkte Gegenleistung im Sinne eines Eigennutzens erfordert, sondern zumeist als freiwilliger, altruistischer Akt verstanden wird. Allerdings muss ein expliziter Eigennutzen nicht vollkommen ausgeschlossen sein. Beim Spenden ist dem Gebenden konkret bewusst, wofür die Spende verwendet werden soll. Dementsprechend ist mit der Spende eine gewisse Erwartungshaltung verbunden, nach der diese auch vollständig und ausschließlich zu dem vorgesehenen Zweck benutzt werden soll.

Eine ethische Einordnung der Datenspende ist unabdingbar auch mit der ethischen Bewertung von deren Zielen – konkret also der Sekundärnutzung der Daten für weitere Zwecke in der gesundheitsbezogenen und medizinischen Forschung – verknüpft.

Freiwilligkeit gilt als notwendige Bedingung. Dennoch sind mit einer Spende nicht selten moralische Pflichten, zum Teil explizit geäußert oder auch implizit erwartet, verbunden. Dies hängt stark von der jeweiligen kontextspezifischen Einschätzung der Beteiligung ab. Die verschiedenen Formen, eine Datenspende möglich zu machen, haben ihre eigenen Schwierigkeiten in der Umsetzung und dabei zum Teil auch andere Voraussetzungen für ihre jeweilige ethische Einordnung (Strech et al. 2020, S. 49ff.).

Die Praxis der Einholung von Einwilligungen im Rahmen einer medizinischen Behandlung im Krankenhaus birgt ethische Herausforderungen.

Hierzu ein Beispiel: Oft ist ein zentrales Problem bei der Einholung von Einwilligungen, dass diese im Kontext einer medizinischen Behandlung im Krankenhaus erfolgen. Dies ist ethisch bedenklich, da die Aufnahmefähigkeit der Patientinnen und Patienten in solchen Situationen eingeschränkt ist. Darüber hinaus steht das medizinische Personal unter erheblichem Zeitdruck. Hier könnte ein Ansatz sein, die Entscheidung über die Datenspende von der Situation im Krankenhaus oder des Erkrankt-Seins zu trennen und in einen weniger abhängigen Zeitpunkt im Alltagsleben zu transferieren.

Um richtungsspezifische Einschätzungen abzugeben, eine ethische Einordnung vorzunehmen sowie dies mit den bisher bekannten Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger zusammen zu denken, sollen hier – Kalkman et al. (2019) folgend – fünf zentrale Rahmenbedingungen im Lichte ethischer Prinzipen (Beauchamp u. Childress 2013) betrachtet werden.

Kalkman et al. (2019) unterscheiden zwischen:

  1. Value: Die Werte der spendenden Partei und die Werte des öffentlichen Interesses sollten in der Forschung auf Basis gespendeter Daten inhärent sein.
  2. Privacy, risks, and data security: Wie bereits mehrfach angeführt und vielfach diskutiert, bilden Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung, Privatheit sowie das Vermeiden von Risiken beim ‚Data sharing‘ zentrale Prinzipien.
  3. Transparency and control: Nach Kalkman et al. (2019) sind folgende Informationen ausreichend:
    • Art der Forschung
    • Wer führt die Forschung tatsächlich durch (Verantwortung und Aktion)?
    • Wie und mit wem werden Daten getauscht und zusammengeführt?
    • Governance der datenverwaltenden Stelle(n)
    • Zugangsbedingungen zu den (Forschungs )Daten
    • Offenlegung von Partnerschaften mit der Industrie und Kapitalisierungsvorgängen
    • Datennutzung (ggfs. auch weitere Verwendung nach der Sekundärnutzung) und die Studienergebnisse
    • Kontroll- und Widerspruchsoptionen seitens der Datenspenderinnen und Datenspender
  4. Information and trust: Notwendigkeit der Bildung der Patientinnen und Patienten (unter Berücksichtigung digitaler Gesundheitskompetenzniveaus), öffentliche Kampagnen, klare Erläuterung, um ein definitives Verständnis der Spenderinnen und Spender zu gewährleisten. Dies inkludiert eine Offenlegung, was mit ihren Daten geschieht und wofür sie verwendet werden. Vertrauen bildet die Grundlage jeglicher Datenspendemöglichkeit im engeren Sinn (sowie jeder medizinischen Forschung am und mit dem Menschen).
  5. Responsibility and accountability: Unabhängige Komitees, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern aller Stakeholdergruppen, entscheiden über Zugang und Verwendung. Konsequenzen bei Datenmissbrauch müssen vorab offengelegt und klar geregelt sein. Ein Verweis auf die Gesetzeslage und deren Sanktionsmöglichkeiten sind nicht ausreichend.

Die Zuschreibung und Klassifizierung der Verwendung von (aggregierten) Datensätzen ist oft entscheidend. Daran misst sich auch, wie wichtig und elaboriert die ethischen Einordnungen und daraus folgenden notwendigen (Kontroll )Maßnahmen sind. Das heißt, die Veränderungen der Verantwortlichkeiten im Gesundheitswesen in Bezug auf den Zugang, die Information und die Bearbeitungsrechte der Daten sowie die Legitimation der Zuordnung („personenbezogene Daten“, „Gesundheitsdaten“, „Forschungsdaten“, „klinische Daten“, „medizinische Daten“) sind konstitutiv für ihre Bewertung, sowohl hinsichtlich ihrer Verwendung als auch des damit verbundenen Risikos. Insbesondere in einem vernetzten Gesundheitssystem bleiben die Daten nicht in einer der verschiedenen Zuordnungen, sondern verändern sich mit jeder neuen Nutzung. Das heißt konkret, dass obwohl eine vermeintliche Übereinstimmung und Klarheit hinsichtlich der relevanten Aspekte eines verantwortungsvollen und damit ethisch akzeptablen Umgangs mit Datenaustausch und Sekundärnutzung besteht, dennoch eine progressive und dynamische direkte ethische Begleitung und Kontrolle (bspw. nach Risikoklassifizierungen) notwendig ist. Als Beispiele hierfür seien an dieser Stelle Versuche im Bereich der Normung Künstlicher Intelligenz (DIN u. DKE 2022) angeführt.

Ausblick

Im Gesundheitssystem gibt es viele relevante, für die Forschung nutzbare, aber noch nicht einbezogene Daten. Diese sind jedoch über zahlreiche Akteure und Institutionen verteilt und aufgrund rechtlicher und technischer Hürden nur schwer zugänglich und verknüpfbar. Zudem ist es für den Erfolg einer datengetriebenen Medizin, Gesundheitsforschung und Versorgung entscheidend, dass Menschen bereit sind, ihre Daten für die Forschung zur Verfügung zu stellen. Es ist sinnvoll und auch geboten, eine koordinierte Nutzung dezentraler Forschungsdaten anzustreben. Vertrauen der Bevölkerung in die Institutionen, Personen und Abläufe, die Gesundheitsdaten erheben, verarbeiten und analysieren, ist dabei von größter Bedeutung (Lesch et al. 2022). Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen genießen ein hohes Maß an Vertrauen. Im Gegensatz dazu wird die Verwendung der Daten durch kommerzielle Forschung deutlich negativer betrachtet.

Um die vielen Vorteile der datengetriebenen medizinischen Innovationen zu nutzen, braucht es eine Kultur des Datenteilens und ein Bewusstsein für die ethische Problematik eines Unterlassens und Ignorierens.

Die beiden zentralen Ziele der datengetriebenen Medizin und Versorgung – Translation und Personalisierung – sind ohne eine langfristige Einbindung einer Vielzahl von Patientendatenbeständen und deren nahezu unbegrenzte Verwendbarkeit für Forschungszwecke nicht erreichbar. Auch die immensen Vorteile des Einsatzes der Integration von Anwendungsmöglichkeiten auf Basis Künstlicher Intelligenz (Deutscher Ethikrat 2023) sind nur auf einer sinnvoll zusammengestellten Datenbasis vertretbar. Die Datenspende kann dazu wesentlich beitragen.

Zentral muss nach wie vor die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger sein.

Im Zentrum muss dabei weiterhin die Datenhoheit und informationelle Selbstbestimmung des einzelnen Bürgers bzw. der einzelnen Bürgerin stehen. Doch das Ermöglichen eines Wie zur Veränderung des Status quo im Zuge der Erweiterung von Datenspenden als Verbesserung der medizinischen Versorgung ist unabdingbar notwendig. Eine begründete Abwägung hin zu einer dynamischen Integration der Datenspende ist demnach ethisch geboten.

Literatur

Beauchamp T, Childress J (2013) Principles of biomedical ethics. 7. Aufl. Oxford University Press, Oxford
Bundesgesundheitsministerium (2024) Daten für die Forschung und Versorgung. URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/digitalisierung/daten-fuer-die-forschung-und-versorgung (abgerufen am 10.06.2024)

Deutscher Ethikrat (2017) Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Stellungnahme. URL: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf (abgerufen am 10.06.2024)

Deutscher Ethikrat (2023) Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz. Stellungnahme. URL: https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-mensch-und-maschine.pdf (abgerufen am 10.06.2024)

DIN und DKE (2022) Deutsche Normungsroadmap Künstliche Intelligenz (Ausgabe 2). URL: https://www.din.de/go/normungsroadmapki (abgerufen am 10.06.2024)

Dössel O, Lenarz T (Hrsg.) (2023) Gesundheitsdatennutzung – sicher und souverän. acatech IMPULS München. DOI: 10.48669/aca_2023-10

Kalkman S, van Delden J, Banerjee A et al. (2019) Patients’ and public views and attitudes towards the sharing of health data for research: a narrative review of the empirical evidence. J Med Ethics. pii: medethics-2019-105651

Lesch W, Richter G, Semler S (2022) Daten teilen für die Forschung: Einstellungen und Perspektiven zur Datenspende in Deutschland. In: Richter G, Loh W, Buyx A, Graf von Kielmannsegg S (Hrsg.) Datenreiche Medizin und das Problem der Einwilligung. 211–226. Springer Berlin, Heidelberg. DOI: 10.1007/978-3-662-62987-1

McLennan S (2022) Die ethische Aufsicht über die Datenwissenschaft im Gesundheitswesen. In: Richter G, Loh W, Buyx A, Graf von Kielmansegg S (Hrsg.) Datenreiche Medizin und das Problem der Einwilligung. 55–69. Springer, Berlin, Heidelberg. DOI: 10.1007/978-3-662-62987-1

McLennan S, Shaw D, Celi L (2019) The challenge of local consent requirements for global critical care databases. Intensive Care Med 45, 246–248

Medizininformatik-Initiative (2020) Über die Initiative. URL: https://www.medizininformatik-initiative.de/de/ueber-die-initiative (abgerufen am 10.06.2024)

Strech D, Graf von Kielsmansegg S, Zenker S, Krawczak M, Semler S (2020) Wissenschaftliches Gutachten „Datenspende“ – Bedarf für die Forschung, ethische Bewertung, rechtliche, informationstechnologische und organisatorische Rahmenbedingungen. Erstellt für das Bundesministerium für Gesundheit (Version 1.1). Bundesministerium für Gesundheit Berlin

Rechtsquellenverzeichnis

Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1–88). URL: https://eur-lex.europa.eu/DE/legal-content/summary/general-data-protection-regulation-gdpr.html (abgerufen am 10.06.2024)